Seite:Die Gartenlaube (1861) 491.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Irrthum auf und wird dadurch nur größer,“ sagte die Herzogin L… dem ehemaligen Genossen des Abbé Lamennais. Der Graf erröthete, und Einer der Umstehenden, der die Taktlosigkeit der Anspielung fühlte, lenkte das Gespräch mit der Gewandtheit eines Weltmannes auf einen anderen Gegenstand. Die ganze Gesellschaft war bemüht, durch das zuvorkommendste Benehmen den Fehler der schönen Herzogin gut zu machen.

Was werden die Hirtenbriefe der Prälaten gegen Napoleon und Cavour, gegen Victor Emanuel und Garibaldi in den Salons des Faubourg St. Germain gelesen, ausgelegt und bewundert! Der Eine zeigt die gelungene Photographie des Bischofs von Orleans und der von Cambray over Tours, welche von Hand zu Hand geht. Der Andere zeigt die Antwort, welche er von einem dieser eifrigen Vertreter der Kirche auf seine glückwünschende Zuschrift erhalten hat. Die wohlgeschulte Gesellschaft bemeistert kaum die Ungeduld, mit der Jeder des geehrten Blattes habhaft zu werden sucht.

In dem Salon des Grafen M… zeigt die Hausfrau ihren Gästen eine Feder. Man fragt, was es mit dem Ding für eine Bedeutung habe, und die Gräfin erklärt, daß sie sich in einem Briefe an den ehrwürdigen Bischof von Poitiers gewendet habe, um sich von ihm die Feder zu erbitten, mit welcher er den denkwürdigen Hirtenbrief geschrieben, der den Kaiser Napoleon mit Pontius Pilatus verglich, der sich die Hände wusch, nachdem Christus gekreuzigt worden war. Mit dem lebhaftesten Beifall empfing die Versammlung die Erklärung der Gräfin, man lobte ihren glücklichen Einfall, sich in den Besitz eines so kostbaren Gegenstandes zu bringen. Jeder will die Feder in der Nähe besehen, und die Fanatischesten küssen sie wie eine heilige Reliquie.

Die Werbungen und Sammlungen für die Armee und den Schatz des heiligen Vaters beschäftigten auf’s lebhafteste die gedachten Pariser Salons. Die jungen Leute aus den vornehmsten Familien wurden zu dem neuen Kreuzzuge gegen die Ungläubigen angefeuert, und die frommen Rekruten, welche sich in Paris befanden, wurden im voraus für künftige Thaten durch die wärmste Anerkennung und durch Auszeichnungen aller Art belohnt; man verkündete sie als Helden, bevor sie noch einen Feind gesehen, bevor sie einen Schuß gehört.

Nach der Niederlage der Päpstlichen bei Castelfidardo, nach der Einnahme von Ancona herrschte tiefe Trauer in den Salons des Faubourg St. Germain, und doch fuhr man fort im Interesse der Partei zu wirken, und da es keine Siege zu besingen gab, besang man Niederlagen. Die Frauen sammelten zum Ankauf eines Ehrendegens für Lamoricière, und die zurückkehrenden Freiwilligen, gleichviel ob sie Stand gehalten hatten oder davon gelaufen waren, wurden mit offenen Armen und als ruhmreiche Märtyrer begrüßt und behandelt. Der ehemalige Kriegsminister der französischen Republik wurde für die Schmähungen, die er von Freunden und Feinden erfuhr, für das Gelächter, welches er im Lande erregte, für das Unglück, das ihn betroffen hatte, durch unbegrenzte Huldigungen in den Salons schadlos gehalten. Ob sich der General durch diese Huldigungen für die Verluste, die er erlitten hat, getröstet fühlt, weiß er allein.

Vor ungefähr drei Monaten war in dem Salon des Marquis C. eine so zahlreiche und glänzende Gesellschaft beisammen, wie man sie nur bei den außerordentlichsten Gelegenheiten findet, und wie sich selbst, als der General Lamoricière von seinen italienischen Niederlagen zurückkehrend empfangen wurde, nicht darstellte. Und in den hell erleuchteten Räumen, wo sich sonst Alles gemessen innerhalb vorgezeichneter Formen bewegt, machte sich eine gewisse Aufregung fühlbar; dort und da fielen die Bemerkungen: „Er wird wohl spät kommen.“ „Es ist elf Uhr vorüber, wenn er nur nicht verhindert wird.“ „Er hat dem Marquis auf’s Bestimmteste zugesagt.“ „Er ist seit zwei Tagen in Paris und begreiflicher Weise von Personen und Geschäften vielfach in Anspruch genommen.“ Der Hausherr wurde fortwährend mit Fragen bestürmt, die sich ebenfalls auf den mit Ungeduld Erwarteten bezogen. Endlich meldete ein Diener: „Herr v. Lamartine“, und ein Geräusch der Befriedigung ließ sich im ganzen Saale vernehmen. Der Mann, den das Schicksal mit den großen Gütern des Lebens, mit Ruhm und Reichthum bedacht und der beide verzettelt hat, trat in den Saal, ein Greis mit grauen Haaren vor der Zeit, durch selbstverschuldeten Kummer, durch selbstverschuldeten Jammer gebeugt, mit einem verloschenen Blick, mit zahllosen Runzeln auf Stirn und Wangen. Viele von den anwesenden Frauen, die den Dichter in seiner Jugend gekannt, da sein blaues Auge von Begeisterung glühte, da die edle, hohe Gestalt die Blicke anzog und fesselte, „da blond sein Haar und frisch sein Sinn noch war“, mochten sich tief erschüttert fühlen von dieser schauerlichen Umwandlung, die ihnen an dem Dichter der Méditations entgegentrat.

Alle Welt, Jung und Alt drängte sich an Herrn Lamartine, um ihn zu begrüßen, um ihm die schmeichelhaftesten Dinge zu sagen, um ihn glauben zu machen, daß die Kränze, welche sein jugendliches Haupt geschmückt haben, noch grün und nicht längst verwelkt und zerrissen seien. Wenn er sprach, wurde mit Andacht zugehört, und was er sagte, wie die tiefste Weisheit hingenommen; zu jeder oberflächlichen Bemerkung nickten die Häupter zustimmend, als ob der Poet etwas Unerforschliches erklärt hätte. Der Abend war für ihn ein Triumph, aber freilich in einem äußerst beschränkten Kreise, der nichts, gar nichts mehr zu bieten hat, als diese vorübergehende unfruchtbare Genugthuung. Die Welt, in der hier plötzlich Herr von Lamartine erschien, ist eine Art Schattenwelt, wie sie die Alten schildern, wo man, vom Leben abgeschieden, ein zweckloses Dasein fortschleppt. Herrn von Lamartine haben sich die Thüren der adeligen Salons verschlossen, als er die „Girondisten“ veröffentlichte, in welchen er Robespierre begnadigt hat, Grundsätze aussprach und vertrat, die ihn zum Mitglied der provisorischen Regierung im Jahre 1848 erhoben, als Frankreich eine Republik wurde. Selbst durch die Erklärung, daß sein Herz legitimistisch, sein Kopf aber republikanisch sei, konnte er den grollenden Faubourg nicht versöhnen, der für seine verlorene Sache nicht nur die Gefühle, sondern auch die Gedanken seiner Anhänger in Anspruch nimmt. Die Verzeihung der Sünden früherer Jahre aber hat das ehemalige Mitglied der provisorischen Regierung mit dem republikanischen Kopfe dadurch erwirkt, daß er in seinen Cours littéraires der italienischen Unabhängigkeit entgegen trat und sich mit dem Vatican und der Wiener Hofburg verband. Durch diese Abtrünnigkeit hat er sich der Aufnahme in die Welt der Abgeschiedenen würdig gemacht und es verdient, daß er von Monseigneur Dupanloup in der Schrift gegen Victor Emanuel, Cavour und Garibaldi citirt wurde. Armer Lamartine! Wer hätte gedacht, daß der Mann, welcher so vielverheißend aufgetreten ist, so schlimm enden würde!

Von einem besonderen Interesse war es mir, zwei Männer im Salon zu sehen, die durch kriegerische Großthaten einen europäischen Ruf erlangt haben, und deren Namen mit der Befreiung Italiens und mit den Heldenunternehmungen Garibaldi’s auf’s Engste verflochten sind. Diese Männer sind die Generäle Türr und Bixio. Ich sah sie beide, obgleich zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen, im Salon des Herrn Szarvady, wo künstlerische Elemente die vorherrschenden sind, wo classische Musik die Hauptrolle spielt und eine eben so gewählte als für Kunst empfängliche Gesellschaft anzieht. Frau Szarvady ist in Deutschland zu bekannt, als daß diese einer weiteren Erklärung bedürfte. Den General Türr sah ich in einem engeren Kreise, was man in Paris en petit comité nennt; nur die dem Hause näher stehen, waren zugegen. Nichts an dem Aeußeren Türr’s läßt auf die außerordentliche Entschiedenheit und Tapferkeit des Mannes schließen, der sich dem großen Italiener anschloß und mit ihm das Unerhörte vollzog, Schwierigkeiten und Gefahren gleich verachtend, der auf allen Schlachtfeldern focht, wo seit dem Jahre 1848 für die Freiheit, für ein höheres europäisches Interesse gekämpft wurde. Er ist von schwächlichem Körperbau, groß und schlank gewachsen, sein Gesicht ist so blaß, daß es einem die Worte in den Sinn bringt, die Shakespeare dem Julius Cäsar über Cassius in den Mund legt. Das blaue Auge blickt sanft und nimmt ein, ohne zu beherrschen. Das einzig Martialische an dieser Persönlichkeit ist der gewaltige Schnurr- und Knebelbart. Wie in der Regel Leute von echtem anerkanntem Verdienst, ist Türr bescheiden und anspruchslos, schlicht und ungekünstelt in Sprache und Benehmen. Ein hervortretender Zug an ihm wie an Bixio ist eine eben so innige, als aufrichtige Verehrung für Garibaldi, in die sich kein Hintergedanke mischt und die sich in absichtsloser Weise bei jeder Gelegenheit kund giebt. Wenn man an den Streit Agamemnon’s mit Achilles vor Troja, an die Eifersüchteleien zwischen dem ersten Napoleon und seinen Feldhauptleuten, zwischen den hochgestellten Kriegern aller Zeiten denkt, die mit einander zu wirken hatten, so kann man nicht leugnen, daß sich in diesem ungetrübten Verhältniß der Freiheitskämpfer zu ihrem Oberhaupt eine ideale Höhe der Gesinnung seinerseits wie ihrerseits ausspricht.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_491.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)