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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Gespräch ward durch Margaret’s Eintritt unterbrochen, welche rasch auf den Gast zutrat. Dieser hatte sich erhoben, hatte nur einen einzigen Blick in ihre Augen, die wie in einer stummen Frage auf ihm ruhten, geworfen und dann die ihm entgegengestreckte Hand an seinen Mund gezogen, ohne diesmal Widerstand zu finden; er wurde sich dessen aber erst später bewußt, denn mit des Mädchens Herantritt war ein Wiederschein der ganzen Befangenheit, wie sie sich während des letzten Zusammenseins mit ihr seiner bemächtigt, über ihn gekommen, und jeder Versuch, die Herrschaft über sich zu gewinnen, schuf nur einen Zwang in seiner äußerlichen Kundgebung, dessen er sich völlig bewußt war, ohne ihn von sich streifen zu können. Er folgte der Aufforderung zum Pianospiel; er spielte aus seiner Erinnerung, verwebte diese mit seinen eigenen Gedanken und gab Allem, was in ihm lebte, Ausdruck; aber es konnte nicht immer gespielt sein, und als er sich erhob, überhörte er fast des alten Frost anerkennende Worte vor Margaret’s wunderbar tiefem Blicke, der an ihm hing, aber zu Boden floh, als er sein Auge traf. Und eine sonderbare Unterhaltung war es, welche jetzt folgte. John hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen, schien zu beobachten und ließ nur hie und da ein Witzwort hören; Reichardt hatte eine Bemerkung des alten Frost aufgegriffen und bestrebte sich etwas zu sagen, ohne doch zu einem freien Gedanken gelangen zu können, und der alte Gentleman unterbrach ihn, um seiner Ansicht selbst den rechten Ausdruck zu geben; Margaret lauschte den gesprochenen Worten, bald aber stockten diese gänzlich, und John meinte endlich, es werde dieser Unterhaltung nicht viel schaden, wenn sich Reichardt noch einmal an das Piano setze, eine Aufforderung, welcher der junge Mann mit erleichtertem Herzen nachkam. Als er sich aber zuletzt wieder erhob, hielt er es für das Beste, nicht noch einmal den Versuch zu einem allgemeinen Gespräche abzuwarten und sich bei Zeiten zu verabschieden. Der alte Frost bedauerte, daß er schon so früh aufbreche, drückte ihm aber mit einer Herzlichkeit die Hand, welche dem Deutschen bis tief in die Seele wohlthat. John meinte, Reichardt sei der wunderlichste Heinrich, der ihm noch vorgekommen. Margaret erhob sich leicht, als er sich gegen sie verbeugte, ohne indessen das Auge vom Boden zu heben, und als Reichardt die Straße erreicht und sich zum Heimweg wandte, fühlte er eine Anwandelung sich selbst zu ohrfeigen. „Was können sie über mich denken, als mich für einen gesellschaftlichen Simpel zu halten?“ brummte er vor sich hin, „und wie mag sie urtheilen?“ klang es in ihm, er sprach es aber nicht aus, und erst nach einer geraumen Weile begann er wieder einen Halt in sich zu fühlen. „Mögen sie es doch,“ brummte er auf’s Neue, „so bin ich wenigstens vor ferneren Einladungen sicher, kann jedem neuen Kampfe aus dem Wege gehen und erhalte Ruhe –“ aber es war dennoch ein tiefer, halbunterdrückter Seufzer, welcher dieser Selbsttröstung folgte.

Von diesem Zeitpunkte an schien jeder lichte Punkt aus dem Einerlei seines täglichen Arbeitens und Lebens gewichen zu sein. Sein Verhältniß zu dem Cassirer blieb genau dasselbe, nur daß dieser ihm mit jedem Tage mehr Arbeiten zuschob und selbst oft mehrere Stunden die Office verließ. Der Deutsche fand dann beim Aufsehen stets einen Zettel auf dem Rande seines Pultes: „Mr. Reichardt wird mich bis zu meiner Rückkunft vertreten,“ und sah den Schlüssel zur Casse im Schlosse. Oft glaubte er aber, wenn er in das Gesicht des rückkehrenden Cassirers blickte, fast mehr Hohn als Vertrauen in der übergebenen Verantwortlichkeit zu finden, besonders da Bell meist Stunden zu seinen Ausgängen wählte, in denen er erfahrungsmäßig am wenigsten vermißt werden konnte. John aber schien den jungen Deutschen kaum mehr zu bemerken, und wenn sich ja einmal Beider Augen trafen, begegnete der letztere einem Blicke, den er sich nur in ein stillbedauerndes Kopfschütteln zu übersetzen vermochte.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Aus dem nordamerikanischen Lagerleben. Das fünfte pennsylvanische Regiment, das auf den schönen Fluren Virginiens sein Feldlager, „Camp McDowell“, aufgeschlagen hat, weiß sich die Zeit der Unthätigkeit und des langweiligen Friedens mitten im Kriege dadurch zu verkürzen, daß es eine Zeitung herausgiebt, eine Zeitung, geschrieben, redigirt, gesetzt und gedruckt in den Kriegszelten. Das Blatt trägt den Namen des Regiments: „the Pennsylvania Fifth“; es stattet den genauesten Bericht über alle Ereignisse im Lager ab, giebt Aufschluß über den militairischen Stand der Dinge, ergeht sich in poetischen Ergüssen und wird von jedem einzelnen Soldaten an Eltern und Liebchen, an Geschwister und Freunde daheim anstatt der Briefe gesandt. Sein Inhalt ist abwechselnd geharnischt und zart idyllisch gehalten und sowohl in deutscher als englischer Sprache geschrieben. Seine erste Nummer flog mit einem Gedicht an bethaute Blumen in die Welt hinaus.

Bis dahin war es nicht Neues, daß die Pioniere, wenn sie in die Wildnisse des Westens zogen, das Inventar einer ganzen Druckerei mühsam mit sich fortschleppten und Kasten und Presse beim ersten Block ihrer Hütte aufschlugen, der Ansiedlung den Namen gaben und denselben mit dem ersten Morgenroth aus der freien Presse des Urwalds der übrigen lebenden Welt verkündend hervorgehen ließen. Eine Zeitung aus dem Kriegsgetümmel, geschaffen unter Trommelschlag und Musketengeknatter, von den Händen der kriegerischen Helden, war noch nicht dagewesen, und es gebührt der Ruhm dafür einem deutsch-amerikanischen Regiment Pennsylvaniens. Diesem praktischen Anfang werden noch viele folgen, und wir hoffen manch siegverkündendem Blatt aus dem freien Lagerleben von Columbia’s Fluren zu begegnen und es zu begrüßen mit einem: „Heil der freien Feldpresse!“


Der Matrose und die Schauspielerin. Die englische Herzogin von St. Albans war früher Schauspielerin. Sie ist eine sehr vernünftige Dame, die sich in ihrem Glanze ihres früheren Standes nicht schämt, sondern gern mancherlei Anekdoten aus jener Zeit erzählt. Eine derselben ist folgende. „Als ich,“ erzählt sie, „ein armes Mädchen war und für meine dreißig Schillinge hart arbeitete, ging ich während der Feiertage nach Liverpool, wo ich stets freundlich empfangen wurde. Ich sollte in einem neuen Stücke auftreten, etwas gleich den hübschen, kleinen, rührenden Dramas, die sie jetzt auf unsern geringen Theatern geben, und stellte in meiner Rolle ein armes, freundloses Waisenmädchen vor, welche zu dem allerelendesten Zustand der Armuth heruntergesunken ist. Ein hartherziger Handelsmann verfolgt die betrübte Heldin wegen einer bedeutenden Schuld und besteht darauf, sie in’s Gefängniß zu bringen, wenn nicht Jemand für sie Bürgschaft leiste. Das Mädchen antwortet: „Dann habe ich keine Hoffnung. Ich habe keinen Freund in der Welt.“ – „Was?“ fragt der finstere Gläubiger, „will Niemand für Sie bürgen, um Sie vor dem Gefängniß zu retten ?“ – „Ich habe es Ihnen ja gesagt, daß ich keinen Freund auf Erden habe,“ war meine Antwort. Gerade als ich diese Worte sagte, sah ich einen Matrosen von der obersten Gallerie über das Geländer klettern und sich von einer Logenreihe zur andern niederlassen; Orchester und Lampen wurden von ihm übersprungen, und im Augenblick stand er an meiner Seite. „Ja, Du sollst wenigstens einen Freund haben, mein armes, junges Weib,“ rief er mit dem größten Ausdruck in seinem ehrlichen, sonnverbrannten Gesichte. „Ich will für Dich zu jedem Betrag Bürge sein. Was Euch betrifft,“ sich zu dem erschrockenen Schauspieler wendend, „wenn Ihr Euch nicht drückt und Euern Ankergrund wechselt, Ihr Lümmel, so wird es Euch um so schlimmer ergehn, wenn ich in Euer Takelwerk gerathe.“ Jedermann im Hause stand auf: es war ein unbeschreiblicher Aufruhr, schallendes Gelächter, Aufschrei des Schreckens, Stimmen der Violinen vom Orchester, und mitten in all diesem allgemeinen Lärm da stand die unwissentliche Ursache von dem Allem mich beschützend, „das arme, trostlose Weib“, Hohn und Verderben athmend gegen meinen Theater-Verfolger. Er konnte nur überredet werden, die Sorge für mich aufzugeben, durch den Theaterdirector, der that, als ob er eben angekommen sei, mich vermittelst eines Ueberflusses von Theater-Banknoten zu erlösen.“


Eine komische, wahre Affengeschichte wurde mir vor nicht langer Zeit von einem aus Indien zurückgekehrten Deutschen erzählt, der Capellmeister bei einem indischen Regiment gewesen war. Einer der Sepoys von seinem Regiment hatte Urlaub erhalten, seine Verwandten zu besuchen, und trat zu Fuß die Wanderung in seine Heimath an. Erschöpft von der Hitze des Tages lagerte er sich an einer Quelle, die ein kleines sehr tiefes Wasserbecken bildete, welches von Bäumen überschattet wurde. Da er Hunger fühlte, so langte er Lebensmittel aus seinem Sack und fing an zu essen. Sehr bald gesellte sich einer der in jener Gegend heilig gehaltenen Affen zu ihm, die sehr dreist und unverschämt sind, da ihnen Niemand etwas zu Leide thut. Der Affe wollte mit dem Soldaten frühstücken und langte ohne Umstände zu. Der Indier hatte aber nur gerade genug für sich, und als der Affe zu zudringlich wurde, gab er ihm eine Ohrfeige. Der beleidigte, geheiligte Affe sprang plappernd und Gesichter schneidend davon und kletterte auf einen der Bäume. Der Soldat dachte nicht weiter an den Affen und schickte sich an, sein Mittagsschläfchen zu halten, wobei er seinen Turban abnahm und als Kissen benutzte. Er hatte nicht lange geschlafen, als er durch ein Geräusch im Wasser erweckt wurde, und zugleich erregten vergnügte Töne über seinem Kopfe seine Aufmerksamkeit. Da saß der ungastlich behandelte Affe, boshaft lachend, möchte man sagen, hielt in seiner Hand das Tuch mit der ganzen Baarschaft des Indiers, welchen er aus dessen Turban gestohlen hatte, und fand ein teuflischen Vergnügen darin, eine Rupie nach der andern von der Höhe herab in das tiefe Wasser zu werfen. Der Soldat war außer sich und gab sich alle mögliche Mühe, den Affen zum Mitleid zu bewegen; er machte die versöhnlichsten Zeichen und Gebehrden, hielt die verlockendsten Bissen hin, allein Alles umsonst, der rachsüchtige Affe blieb ungerührt, und als er endlich das Tuch der letzten Rupie nachgeworfen hatte, sprang er sehr zufrieden davon.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_496.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)