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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zu widmen. Schelten Sie mich nicht exaltirt, theurer Freund, es ist nun einmal so und kann nicht anders sein und werden. Ich bin dem Leben und der Kunst zurückgegeben und trete nun mit neuer Kraft, mit belebtem Muth allen Plagen entgegen, die meiner noch bis zum Spätherbst warten.“

„Berlin, 6. October 1846.

„… Nun wollen Sie als theilnehmender Freund auch wissen, wie es mir geht? Gut und schlecht! Gut, weil Sie nicht ganz Unrecht haben, daß „die kleine Welt von Glück, die ich mein eigen nenne“, eine Gleichgültigkeit gegen alles Uebrige geschaffen hat, die nur wenige Ausnahmen duldet, unter denen Sie aber oben an stehen, da ich Ihre Freundschaft hoch und werth halte. Schlecht, weil mich meine Verhältnisse zwingen, mit und in einer Welt zu leben, die mich anekelt, da sie die warmen Pulsschläge meines Herzens nicht verstehen kann und nur ausruft: wie spielt sie schön Komödie!! Ich sehne mich nach Ruhe und ungestörtem Genuß dessen, was ich einzig und allein mein Glück nenne.“

1847 ging Wilhelminens Contract mit dem Dresdner Hoftheater zu Ende. Er wurde nicht erneuert; eine Menge kleiner Widerwärtigkeiten und kleinlicher Intriguen, welche die Künstlerin in ihrer gereizten Stimmung doppelt schwer empfand, hatten ihr die alte Heimath verleidet und sie zu dem Entschlusse gebracht, eine längere Kunstreise zu unternehmen.

Zu derselben Zeit waren endlich auch die Schwierigkeiten beseitigt, welche ihre Heirath mit Herrn von Döring so lange verhindert hatten. Ihre Freunde, aufs Höchste bestürzt bei dieser Nachricht, erschöpften sich noch einmal in den eindringlichsten Warnungen – aber Wilhelmine blieb fest in ihrem Entschlusse. Sie nannte Alles Verleumdung, was gegen Döring sprach, und ein Packet von Papieren, durch die sie von seiner Unwürdigkeit überzeugt werden sollte, warf sie ungelesen ins Feuer. Am entschiedensten sprach sich Wilhelminens fürstlicher Freund, der Herzog von …. aus; er schreibt:

„Jetzt muß ich noch ein Wort reden, was mir sehr schwer auszusprechen wird, was ich aber doch aussprechen muß, wenn ich anders Ihr Freund bin. Die Nachricht, daß Ihr Verhältniß mit Herrn von Döring nicht allein noch fortbesteht, sondern sogar zur Ehe führen soll, hat mich mit dem tiefsten Schrecken erfüllt. Von allen Seiten und schon lange ist dieser Döring nämlich als einer der allerverächtlichsten Menschen mir geschildert worden, als ein Mensch, der nur darauf ausgeht Sie auszubeuten und der dabei mit dem Luxus groß thut, den er mit dem Ihnen abgenommenen Gelde treibt. Dies letztere soll sogar seine Cameraden schon mehrere Male zu Deliberationen darüber gebracht haben, ob es ihnen möglich bleibe, mit ihm fort zu dienen. Ich wiederhole, wie weh es mir thut, Ihnen so Schmerzliches sagen zu müssen; ich wiederhole aber zugleich nochmals, daß, wenn ich Ihr wahrer Freund bin, ich das Gesagte nicht verschweigen durfte.“

Dieser Brief ist am 29. August 1847 geschrieben; an demselben Tage wurde Wilhelmine in Kleinzschocher bei Leipzig mit Herrn von Döring getraut. Ob das nicht geschehen wäre, wenn sie den Brief zur rechten Zeit erhalten hätte?

Vor der kirchlichen Ceremonie unterschrieb Wilhelmine den von Döring vorbereiteten Ehecontract, ohne ihn gelesen zu haben. Ihrer Meinung nach mußte sie dem vielverkannten, vielverleumdeten Manne das unbedingteste Vertrauen zeigen. Mit der linken bedeckte sie die letzten Zeilen, um auch nicht ein Wort zu lesen, und schrieb ihren Namen, ohne Ahnung, daß sie mit diesem Federzuge Alles was sie besaß und je besitzen würde, sogar die Hälfte der Pension, die sie vom Dresdner Hoftheater beziehen sollte, Herrn von Döring zuschrieb.

Es war eine entsetzliche Zeit, die nun folgte. „Ich war in die unwürdigsten Bande geschlagen“, schreibt Wilhelmine, „an einen Mann gefesselt, der mich um mein sauer erworbenes Vermögen gebracht hatte und der Jahre lang ein teuflisches Spiel mit meinen heiligsten Empfindungen trieb, denn während er mir in’s Antlitz Liebe heuchelte, war, wenn er von mir ging, Hohn und Spott mein Lohn für alle Opfer, die ich ihm brachte. Und nachdem ich ihm das Letzte gegeben hatte, was ich noch besaß, nachdem ich mich ihm gerichtlich fast mit Leib und Seele verschrieben hatte, warf er die Maske ab und stand vor mir, ein vollkommener Teufel.“

Wilhelmine war nahe daran, in Verzweiflung und Selbstverachtung zu Grunde zu gehen, während sie der Welt gegenüber den Schein des Glückes zu behaupten strebte und auf’s Angestrengteste in ihrem künstlerischen Berufe thätig war. Im Herbst trat sie eine Kunstreise an, die sie gen Norden führte. Petersburg war das Ziel, dem sie zustrebte; aber die Unterhandlungen mit der dortigen Theaterdirection führten zu keinem Resultate. Nachdem sie in Kopenhagen die glänzendsten Triumphe gefeiert hatte, ging sie nach Riga, wo sie als Romeo am 29. December 1847 das Publicum zum letzten Male zu begeisterter Bewunderung hinriß. Sie ahnte nicht, daß sie die Bühne nie wieder betreten würde. Von Riga ging sie nach Dorpat, und hier erfolgte im Februar 1848 ein vollständiger Bruch mit Herrn von Döring. Nun erst erfuhr sie die Bedeutung des Ehecontracts, und während Döring nach Sachsen zurück ging, um seine Ansprüche an Wilhelminens Eigenthum geltend zu machen – er belegte sogar ihre Möbel mit Beschlag – blieb die unglückliche, verlassene Frau in der Fremde. „Ich war vernichtet, zertreten, eine Bettlerin!“ schreibt sie, „an Leib und Seele todtkrank, und ohne Hoffnung, mich jemals wieder aus meinem Elend erheben zu können.“

Ende Februar kehrte Wilhelmine nach Deutschland zurück, um den Schutz der Gesetze gegen Herrn von Döring in Anspruch zu nehmen. Sie ging zuerst nach Berlin, wo eben der Nachhall der Pariser Ereignisse alle Gemüther durchbebte. Zu jeder anderen Zeit würde auch sie auf’s Gewaltigste davon ergriffen worden sein; aber sie war jetzt so müde von den Stürmen, die in der letzten Zeit über sie hingegangen waren, daß sie sich über ihr persönliches Leid nicht zu erheben vermochte. Und hatte sie sich auf Augenblicke davon losgemacht, fing sie an in die Weite zu sehen, so wurde sie durch die zahllosen Widerwärtigkeiten, die ein Ehescheidungsproceß unvermeidlich mit sich bringt, immer wieder auf das alte Leid zurückgewiesen.

Damit war übrigens das Maß ihrer Schmerzen noch nicht erschöpft. Im Mai erhielt sie die Nachricht, daß ihre Tochter Sophie Devrient, die in Hannover bei dem Vater lebte, gefährlich erkrankt war. Sie eilte sogleich zu ihr und fand eine Sterbende. Am vierten Tage nach ihrer Ankunft verschied das arme junge Wesen unter namenlosen Qualen in den Armen der Mutter, und Wilhelmine kehrte vollständig gebrochen nach Berlin zurück. Noch im Juli schrieb sie ihrem langjährigen Freunde, dem Kammerherrn von Dokop in Detmold:

„Berlin, 20. Juli 1848.

„Wie soll ich Ihnen für die freudige Ueberraschung danken, mein werther Freund, die Sie mir durch den Empfang Ihres lieben Briefes bereitet haben? Er war in meinem ganz freudlosen Dasein ein Lichtpunkt. Nehmen Sie meinen innigen, aufrichtigen Dank für Ihre Theilnahme, die mir in meiner gegenwärtigen Lage doppelt wohl gethan hat. Goethe läßt seinen Harfner singen:

„Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ach! der ist bald allein.
Ein jeder lebt, ein jeder liebt und läßt ihm seine Pein!“

So geht es auch mir. Ich bin todt für diese Welt, und nur mit sehr wenigen Ausnahmen fragt man nach mir.

Indessen bin ich damit ganz zufrieden, denn zum Glück brauche ich die Welt nicht, und vermisse sie daher auch nicht. – Was Sie fürchten, muß ich Ihnen bestätigen, ich bin verstummt und zwar für immer – und was Sie hoffen, wird nicht in Erfüllung gehen, denn ich werde weder als blutdürstige Lady Macbeth noch als racheschnaubende Medea auftreten, und ständen mir selbst in Wirklichkeit die Zauberkräfte der Letztern zu Gebot, ich würde keinen Gebrauch davon machen, denn mein Jason ist keiner Verfolgung werth! Ich war und bin über allen Ausdruck unglücklich, und die grausigen Geschicke, die in dem letzten halben Jahre gleich schweren Gewittern sich über meinem Haupte entluden, haben eine so vollständige Zerstörung sowohl in meinem Innern als Aeußeren hervorgebracht, daß schon darum an ein vollkräftiges neues Auftreten in der Welt für mich nicht mehr zu denken ist. Meine Seele ist todeswund, und jede leise Berührung macht ihr Schmerzen. Seit einem halben Jahre singe ich nicht mehr, da ich kaum Musik hören kann. Diese Seelenzustände haben nur zu deutliche Spuren auf meine äußere Erscheinung geprägt – ich bin elend und krank – aber frei!! Den Gnadenstoß hat mir der Tod meiner Tochter gegeben, die am 22. Mai in Hannover in meinen Armen verschieden ist.

Seit drei Monaten lebe ich hier in dem bewegten Berlin ganz allein, abgeschieden und vollständig vereinsamt

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