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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

flehend, „ich spreche so ernst, wie vielleicht noch niemals in meinem Leben.“

„Es ist Ihr Ernst, daß Sie von uns wegwollen? jetzt gleich wegwollen?“ fragte der Erstere, langsam jedes Wort betonend, „und auch nicht einmal einen Grund dafür angeben wollen?“

„Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich mein altes Geschäft wieder ergreifen möchte und soeben eine günstige Chance dafür habe –?“ erwiderte der Deutsche, aber vor John’s festem, klarem Blicke stockte seine Stimme.

„Sie haben es ja nicht gelernt, Flausen zu machen, eben so wenig als ich, Reichardt!“ sagte der Andere nach einer kurzen Pause. „Ich weiß, daß etwas Störendes in Ihrer Seele liegt, ich habe es in so Manchem, das Ihr Wesen zu einem ganz eigenthümlichen machte, wahrgenommen; aber Sie hatten mir versprochen, mein Freund zu sein, und so meinte ich immer, die Zeit werde kommen, wo ich Sie ganz verstehen würde. Ich weiß auch jetzt, daß Sie mit dem alten Bell auf einem Fuße gestanden haben, der Jedem das Geschäft hätte verleiden müssen – er hat es selbst in seiner steifen Ehrlichkeit heraus gesagt und auch seinen Versuch, Sie zum Kirchenmitgliede zu machen, nicht verschwiegen – Bell ist indessen seit heute Morgen beseitigt; er ist in der Marine-Bank zum Cassirer ernannt worden, ein Posten, nach dem er lange gestrebt – wahrscheinlich hat der Kircheneinfluß auch sein Bestes dabei gethan, und er wird endlich seine fromme Wirthin mit ihrem Grundbesitz heirathen. Wenn ich nun auch noch nicht weiß, was Vater beabsichtigt, so glaube ich doch kaum, daß nach dem, was Ihnen das Geschäft seit letzter Nacht schuldig ist, an einen neuen Cassirer gedacht werden wird –“

„Sie sagen da etwas, John, was Sie wohl kaum verantworten können,“ unterbrach ihn Reichardt, in dessen Gesicht das Blut aufstieg und wieder ging; „wäre es aber auch wirklich so, ich ginge doch – müßte gehen, John, und Sie sollen auch nicht vergebens mich an unsere Freundschaft erinnert haben. Mit der Stunde, in welcher ich New-York verlasse, wird mein Inneres klar vor Ihnen liegen, und Sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, werden sagen: Er hatte Recht und er konnte nicht anders!“

In dem Blicke des jungen Amerikaners begann es plötzlich wie eine Art Verständniß aufzusteigen, sein Auge wurde größer und dunkler und mit eigenthümlicher Betonung, sagte er: „Sie wissen jedenfalls schon, daß Harriet Burton hier ist?“

„Harriet Burton?“ entgegnete der Deutsche, merkbar überrascht, „woher soll ich das wissen? Ihre Ankunft würde mir unter andern Umständen allerdings interessant sein – aber was habe ich jetzt mit ihr zu thun?“

John ließ den Blick lang und tief in dem Auge des Andern ruhen. „Reichardt,“ sagte er dann, während sein Ton weich wurde, „Sie erinnern sich vielleicht unseres ersten Gesprächs im Astorhause – fühlen Sie wirklich nichts für das Mädchen? Sagen Sie nur Ja oder Nein, ich weiß, Sie können nicht lügen!“

Einen Augenblick trat es wie eine Art Verwunderung in die Züge des Deutschen ; dann erwiderte er mit einem leichten Lächeln, das alle Gespanntheit aus seinem bisherigen Gesichtsausdruck zu nehmen schien: „Was ich einmal mit Bestimmtheit sage, John, das mögen Sie als sicher hinnehmen: Harriet ist ein vorzügliches Mädchen in jeder Beziehung, aber unsere Naturen passen zu einander wie Feuer zum Wasser, und ich würde mich nie mehr für sie interessiren können, als für jeden andern reichen Charakter.“

„Jedenfalls aber müssen Sie in einer bestimmten Beziehung zu ihr stehen,“ entgegnete der Andere, wie noch nicht völlig überzeugt, „denn trotz der Erneuerung meiner frühern, ziemlich speciellen Bekanntschaft mit ihr war ihre erste Frage nach Ihnen – Margaret hat ihr sicher von Ihren letzten Schicksalen Nachricht gegeben – und als ich Sie gestern noch spät aufsuchen wollte, geschah dies eben nur Harriet’s wegen: sie scheint mir so viel auf Sie zu geben, daß ich ein längeres Gespräch mit Ihnen haben wollte, ehe ich mich bestimmt gegen das Mädchen aussprach.“

„Jedes Gespräch über sie aber, das nicht einmal zu etwas führen könnte, wird unnöthig, sobald ich gehe,“ sagte Reichardt. „Glauben Sie mir doch, John, daß mir mein Entschluß einen langen, bittern Kampf gekostet hat, einen Kampf, den Sie noch völlig verstehen sollen, und so gewähren Sie mir doch den letzten Freundschaftsdienst, um den ich Sie gebeten, und erschweren Sie mir nicht durch andere Angelegenheiten einen Schritt, der der schwerste meines ganzen Lebens ist!“

„Aber –“ Der junge Amerikaner schlug sich mit der Faust auf den Schenkel, dann zündete er langsam die erloschene Cigarre wieder an, wanderte einige Male das Zimmer auf und ab und blieb dann vor dem Deutschen stehen. „Sie können nicht so formlos von hier weg, Reichardt,“ sagte er, „mögen auch Ihre Gründe sein, welche sie wollen. Ich muß erst meinen Vater davon benachrichtigen, und auf jeden Fall nehmen Sie Ihr Mittagsbrod mit uns. Sie werden sich den Mädchen gegenüber, die Sie erwarten, nicht zum auffälligen Sonderling machen wollen, denn ich hätte nicht einmal eine Erklärung für Ihr Ausbleiben. Ich werde mit meinem Vater sprechen, und das Uebrige findet sich nachher.“

Auf Reichardt’s Gesichte spiegelte sich ein Kampf der verschiedenartigsten Empfindungen, bald aber schien sich ein Entschluß daraus hervor zu ringen. „Ich werde kommen, Sir,“ versetzte er, „und wenn Sie jetzt hier bleiben, werde ich sogleich die Zeit benutzen, um mich umzukleiden.“

„Ich halte Sie nicht, wenn Sie nicht bleiben wollen,“ erwiderte John, während ein Ausdruck von Trauer in seinen Mienen aufstieg, „Sie wissen indessen, daß Sie bis drei Uhr Zeit haben!“

„Ich weiß es, aber es ist jedenfalls besser, wenn wir unser Gespräch enden. Ich habe Ihnen gesagt, John, daß Sie mich völlig verstehen werden, und so lassen Sie uns abbrechen.“ Der Redende hielt dem jungen Amerikaner die Hand hin, welche dieser schweigend, aber mit einem leisen Kopfschütteln drückte, und Jener verließ das Zimmer, den Weg nach seinem Boardinghause einschlagend.

Obwohl jetzt der erste, schwerste Schritt für sein Ausscheiden gethan war, so fühlte sich Reichardt fast noch beklommener als vorher. Er hatte in einer Art Trotz gegen seine eigenen Gefühle zugesagt, in Frost’s Hause zu sein, er hatte gemeint, daß die Gewißheit, Margaret zum letzten Male zu sehen und dann allen Kämpfen mit sich selbst entrückt zu sein, ihm die nöthige Sicherheit geben werde, daß Harriet’s Gegenwart ableitend auf seine Stimmung wirken würde. Als er sich jetzt aber das Bild der beiden Mädchen vor die Seele hielt, meinte er noch niemals die Tiefe seiner Liebe für Margaret so empfunden zu haben, wie in diesem Augenblicke, und es überkam ihn ein Bangen vor diesem letzten Begegnen mit ihr, das ihn noch jetzt hätte wortbrüchig werden lassen, wenn es nur irgendwie angänglich gewesen wäre. Erst als er die nöthige Toilette gemacht und, nach der Office zurückgekehrt, den jungen Frost nicht mehr anwesend fand, raffte er sich zu dem erforderlichen Muthe, seinen Entschluß fest und mit der rechten Ruhe durchzuführen, auf. Seine Erklärung dem alten Frost gegenüber, wenn sie nothwendig werden sollte, fürchtete er nicht: er wußte, daß er von diesem vielleicht mißverstanden werden konnte, aber nicht durch Fragen gequält werden würde.

Als es Zeit zum Gehen war, steckte er die Cassenschlüssel zu sich, sagte dem ältesten Clerk im vordern Zimmer, daß er binnen zwei Stunden wieder zurück sein werde, und bald hatte ihn ein Wagen der Pferde-Eisenbahn in die Nähe von Frost’s Haus gebracht. Dort wies ihn der öffnende Diener nach dem vordersten Zimmer, und von einem Sessel am Fenster sah er Margaret sich erheben und ihm langsam entgegentreten. Ein Blick durch den Raum hatte ihn überzeugt, daß er allein mit ihr war, und alle Selbstcontrole in sich aufrufend, sprach er die gewöhnlichen Worte der Begrüßung. Er hatte kaum dabei aufgesehen, aber der leise Klang ihrer Antwort ließ ihn den Blick heben. Das Mädchen stand seltsam bleich vor ihm, während doch ihr großes Auge still und dunkel auf ihm ruhte; nur zwei Secunden lang hingen Beider Blicke ineinander, Reichardt aber meinte darin eine halbe Welt voll Empfindungen in sich aufsteigen zu fühlen; ein Gedanke, keck und vermessen, durchfuhr sein Gehirn: ihr Hände zu fassen, ihr mit aller Gluth seines Herzens zu sagen, was in ihm lebte, was er für sie fühlte; er ging ja doch, was konnte ihm noch Schlimmeres werden? und dann hatte er doch einmal sein Herz geleert aber der Klang der ersten Worte, mit welchen sie ihn anredete, ließ ihn alle kühnen Entschlüsse vergessen.

„Sie wollen uns verlassen, Mr. Reichardt?“ begann sie.

„John sagt. er könne nicht mit Ihnen fertig werden, und hat einen Verdacht, daß Harriet’s Ankunft Sie zu Ihrem Entschlusse gebracht – Niemand weiß doch aber besser als ich, daß sie keinen Einfluß auf Sie übt, und so habe ich, da wir heute eine halbe Stunde später essen werden, auf Sie gewartet –“ sie stockte vor

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_515.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)