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eines eitlen, ja den Hader hervorrufenden Spieles. In Olympia konnten Hellenen ihren Siegen über Hellenen Denkmäler setzen, in Olympia wurde einem Nero der Kranz des Siegers gereicht. Den rechten Sinn erhält und bewahrt der Wettkampf nur da, wo die nationale Idee über ihm steht. Diese aber wirkte hier auf den Wettkampf im Schießen vor Allem durch das Zusammenleben in feierlicher Freude. Von den Festtafeln, von den Bällen, von den Zusammenkünften Abends in Häusern und Schenken, vom Zusammensein mit der Jugend der Turner wurde auch in den Schützen jener rechte Geist vaterländischer Gesinnung genährt, belebt und gehoben.

Die Festtafel bildete ja unsere Rednerbühne; an ihr fanden sich die geistigen Bundesgenossen. Um einem Ueberstürzen der Toaste vorzubeugen, war die Einrichtung getroffen, daß ein Mitglied des Festausschusses den Vorsitz führte und jeder, der sprechen wollte, sich zum Worte zu melden hatte, und dadurch gelang es, eine wohlthätige Ordnung zu erhalten. An dieser Festtafel nahmen alle Stände, beide Geschlechter Theil, nicht blos der fidele Bruder, der gemüthliche Zecher, sondern auch manch bedeutender Mann; der Herzog selbst saß am ersten Tage mitten unter den Festgenossen, neben ihm Gustav Freytag. Und es fiel hier manch zündendes, tief ergreifendes Wort. Entsprang doch jedes aus geweihter Stimmung, sprach doch jedes zu begeisterten Herzen! Mehrere Trinksprüche feierten den Herzog, den Helden des Tages, den deutschen Mann und Fürsten, andere galten den deutschen Schützen und dem deutschen Schützenthum – der Herzog selbst erwiderte damit in einer liebenswürdig gewinnenden Weise –, dem Schützenbunde, dem deutschen Vaterland und seiner Zukunft, seiner Eintracht, seiner Einheit, dem deutschen Reich der Zukunft, den Deutschen im Auslande, den deutschen Frauen, den Kurhessen, den Schleswig-Holsteinern, der Schweiz, der deutschen Flotte. Kaum eine Frage der Nation blieb unberührt, alle ihre Wünsche und Hoffnungen, alle ihre Sorgen fanden einen Ausdruck. Von selbst versteht sich, daß die Stadt Gotha und ihre Bewohner, der Festausschuß und seine Abtheilungen und die sich aufopfernden Ordner nicht vergessen wurden. Berthold Auerbach namentlich war’s – einen andern Trinkspruch von ihm haben wir schon erwähnt – der, tief sinnreich von der „im Verborgenen schaffenden Arbeit“ ausgehend, dem Ausschuß ein Glas brachte.

Die Festtafel war auch der Platz, wo uns die Grüße aus der Ferne trafen, von wo aus sie nach der Ferne gingen. Das ganze Deutschland wollte ja mit uns sein und am Feste Theil nehmen, auch wer nicht kommen konnte! Telegramme wanderten hin und her, sie kamen von Potsdam, von Lauenburg, von Oldenburg, wo der kranke Julius Mosen die Worte abgefaßt hatte, aus Stade, aus Gütersloh, aus Emden, aus Ansbach, aus München, aus Hagenow, aus Bern, aus Hamburg, aus Graudenz, aus Midlum bei Cuxhaven; sie gingen an die eidgenössischen Schützen in Nidwalden, die noch am Abend mit dem Zuruf: „seid einig wie wir!“ dankten, nach Kassel an den Präsidenten der aufgelösten zweiten Kammer, Nebelthau, nach Oldenburg mit den Worten:

„Erharret ruhig und bedenkt,
Der Freiheit Morgen steigt herauf,
Ein Gott ist’s, der die Sonne lenket,
Und unaufhaltsam ist ihr Lauf.“

nach Kiel an die Brüder in Schleswig-Holstein, „in Hoffnung einer besseren Zukunft“, nach Windsor an den Prinzen-Gemahl, Herzog Albert, den Kronprinzen und die Kronprinzessin von Preußen, zum Danke für ihre Ehrengaben.

Das heitere und festliche Leben der Tafel setzte sich am Nachmittage und am Abend fort und verbreitete sich gewissermaßen von der Tafel aus mit deren Genossen über den ganzen Festplatz, namentlich am dritten und vierten Festtage; denn die beiden ersten, besonders der zweite, konnten sich nicht entschließen, dem Feste ein freundliches Gesicht zu zeigen. Da wimmelte es durcheinander, Männer und Frauen, Schützen und Turner, Norddeutsch und Süddeutsch, lachend und ernst, jubelnd und gerührt, unter dem Krachen der Büchsen und dem Donner der Böller. Musikchöre spielten auf drei Plätzen, am Nachmittage des dritten Tages trugen die Männergesangvereine Gotha’s die schönsten deutschen Lieder vor. Abends beleuchteten Gaslampen und bunte Papierlaternen den Platz, die Kränze spendende Germania strahlte vom Gabentempel herab, in dem Wäldchen dahinter, unter den Bäumen vorn, in und vor den Trinkhallen und Speisesälen saßen Tausende bei Wein und Bier, da und dort trat ein Redner auf – einer brachte seinen Spruch ein paar Mal – dort stimmte ein flotter Bursche ein Lied an. Und so war’s auch in der Stadt selbst, nach der ein Theil der Gäste zurückströmte, auch dort herrschte in allen Schenkstätten bewegtes Leben. Hauptsächlich war dies an den Abenden des 8. und 10. Juli der Fall. Denn an diesen beiden Abenden versammelten sich die Festgenossen zum Ball im Theater, am ersten Tag zum „Turnerball“, am zweiten zum „Schützenball“. Hier war über das Parquet und das Parterre ein Fußboden gelegt und dadurch eine Verbindung mit der Bühne und ein großer Saal hergestellt worden, alle Logen, alle sonst benutzbaren Räume, auch die Colonnade an der äußeren Seite standen den Gästen offen, glänzende Beleuchtung, eine geputzte Menge, ein reicher Flor frischer Mädchen, endlich die persönliche Gegenwart und Theilnahme des Herzogs übten einen besonderen Zauber. Aber bald waren die großen Räume so überfüllt, daß nur eifrige Tänzer zurückblieben, wir Andern hingegen in freundlichen benachbarten Hallen unterzukommen suchten.

Bei diesen Bällen, wie beim ganzen Fest, machten die Turner, so zu sagen, die leichten Truppen der Armee. Sie hatten am Vormittag des 8. Juli eine Berathung gepflogen, am Nachmittag desselben Tags fand auf dem schön geschmückten Turnplatz hinter dem Friedenstein ein Schauturnen Statt, bei dem sich die Leipziger Turner, die Turnlehrer Metz aus Hannover und Löhnert aus Coburg, sowie einige Turner aus Pösneck, Zeitz und Gotha hervorthaten. Am anderen Tage, trotz des schlechten Wetters, unternahm der größte Theil der Turner eine Turnerfahrt nach dem Thüringer Walde. Wir übergehen deren Einzelheiten und erwähnen nur den feierlichen Empfang in Waltershausen, die freundliche Aufnahme in Schnepfenthal und die Feier am Grabe von Gutsmuths. Am Abend kehrte die Schaar, vom Regen zwar schwer verfolgt, aber nicht in der Laune gestört, nach Gotha zurück, zog mit Musik und Fackeln unter den abgeholten Fahnen auf den Hauptmarkt und beschloß da mit Rede und Lied das Thüringer Turnerfest. Viele reisten alsbald ab, aber viele, namentlich die aus größerer Ferne, blieben auch noch, schwärmten an den folgenden Tagen auf dem Festplatze unter den standhaften Schützen poculirend und jubilirend, neckend und scherzend umher und trugen nicht wenig dazu bei, daß das Fest den Charakter jugendlicher Frische behielt.

So verliefen die Feiertage von Gotha freudig, aber zugleich ernst, in jener Haltung, die nur aus gehobener Stimmung entspringt. Mancher Becher Wein und manches Seidel Bier wurde geleert, aber kaum war ein Betrunkener zu erblicken. Eine Nordamerikanerin, die auf dem Festplatze anwesend war, soll sich beim Anblick aller Trinkhallen und aller Trinker in beständiger Angst nach Betrunkenen umgeschaut und über nichts mehr gewundert haben, als daß sie nicht einen einzigen zu sehen bekam.

Was in den geselligen Zusammenkünften den Grundton bildete und die Stimmung erhob, das suchte durch die Verhandlungen einen klaren Ausdruck zu gewinnen und ein bleibendes Werk zu gründen. Ueber das Maß des Dienlichen gingen die Ansichten zuerst aus einander. Stimmen aus Süddeutschland drängten auf Volksbewaffnung, wenigstens auf militärische Organisation des Schützenwesens, hin. Andere, unter ihnen namentlich die Ausschußmitglieder von Gotha, waren gegen einen so weit gehenden Plan. Sie wendeten mit Recht ein, daß damit von vorn herein über das Ziel hinausgeschossen werde, daß man für jetzt nur die deutschen Schützen zu einem Bunde vereinigen und dadurch um ganz Deutschland ein neues nationales Band schlingen könne, dagegen, wenn man das Schützenwesen jetzt militärisch organisire, um eine Volkswehr dadurch zu begründen, nur einen Theil der Schützen dazu gewinnen und in das Schützenthum selbst, statt es unter einen Hut zu bringen, gleich bei der ersten Wiederbelebung den Keim der Spaltung lege und der ohnedies mißliebigen Sache neue Gegner erwecke; das Schützenthum sei aber auch in seiner jetzigen Gestalt nicht zu einer Volkswehr geeignet und könne sich erst durch die allmähliche Entwickelung, die der Schützenbund mit sich bringen werde, dazu heranbilden lassen; es fehle endlich für die Auswahl einer Schußwaffe zur Zeit an genügenden Erfahrungen. Nach mehreren Besprechungen wurde am Dienstag (den 9. Juli) Abends eine Vorverhandlung improvisirt, um das Ziel des auf den 11. Juli ausgeschriebenen Schützentages festzustellen. Der Herzog selbst führte den Vorsitz und nahm, wie es in der Natur dieser Berathung als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_542.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)