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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

auf einem Balle im Stadthause oder anderwärts Frau und Fräulein Mirès mit ihren kostbaren Gewändern, mit ihren Perlen und Diamanten all die Frauen und Töchter der Gerichtspräsidenten, der kaiserlichen Procuratoren, der gesammten Magistratur verdunkelten, so haben diese ihren Zorn den Gatten und Vätern mitgetheilt, der sich nun, da der arme Mirès in ihre Hände gefallen ist, Luft macht. Der Präsident, wie der Staatsanwalt, wie die Richter zeigten sich unerbittlich.“

„Es kann talentvollen und thätigen Rechtsgelehrten,“ bemerkte ein Notar, „in der That nicht angenehm sein, von einem glücklichen Abenteurer ohne Kenntniß, ohne Verdienst überflügelt zu werden.“

„Was hat aber diese Unannehmlichkeit mit der Gerechtigkeit zu schaffen?“ wandte der Bankier ein.

„Freilich, freilich!“ scholl es von allen Seiten, und der Notar hielt es für angemessen, auf diesen Einwurf nichts weiter zu antworten. – –




Aus dem Norden.
Von Dr. Alfred Brehm.
V. Das Morastschneehuhn.

Wir waren noch nicht warm im Fogstuen geworden, als sich uns der meinen Lesern bereits bekannte Jäger Erik mit der Anfrage vorstellte, ob wir nicht auf Schneehühner jagen wollten. Er verstehe, sagte er, die Kunst, die Vögel heranzulocken, und es sei vollkommen gleichgültig, ob wir gut schießen könnten oder nicht; zu Schuß sollten wir kommen, das dürfe er versprechen.

Man kann sich denken, daß wir mit größtem Vergnügen auf das Anerbieten des alten Graukopfs eingingen. Wir hatten bereits vergeblich nach den Morast-Schneehühnern herum gespürt, und ich kann wohl gestehen, daß ich auf keine andern Vögel begieriger war, als auf dieses Huhn. Man hatte mir in Christiania von seiner Balze erzählt, und das war genug, um einen deutschen Vogelkundigen, welcher eben bloß die Balze des Auer- oder Birkhuhns aus eigener Anschauung kannte, zu begeistern, auch wenn derselbe nicht Jäger gewesen wäre, wie ich. Jeder Jäger giebt mir Recht, daß das Wort „Balze“ wie Harmonie durch die Seele klingt und gleichsam den ganzen Menschen wie elektrisch berührt. Und nun hier die Balze eines mir noch neuen Vogels! – mehr bedurften wir nicht, um alle Reisemüdigkeit sofort zu vergessen.

Wir richteten uns also flugs in unsrer Wohnung ein, putzten die Gewehre und ordneten das Jagdzeug für den nächsten Morgen; denn natürlich glaubten wir bei dem ersten Grauen des folgenden Tages von dem Alten geweckt zu werden. Wie groß aber war unser Erstaunen, als Erik bereits ½10 Uhr Abends erschien und uns zur Jagd aufforderte. Es war schon wahr, die Nacht war hell, denn wir befanden uns bereits im Ausgange des Mai, und die Mitternachtsonne, welche um diese Zeit bereits Norwegens nördlichen Theil bescheint, sandte ihr Licht schon wenigstens bis in die Mitte des Landes herab. Aber dennoch wollte das uns gar nicht in den Sinn, anstatt am Morgen vor Mitternacht auf die Balze auszugehen. Doch wir sollten noch mehr erfahren.

Halb ungläubig folgten wir dem alten Jäger, und noch ungläubiger wurde ich, als mir Freund Berghaus verdolmetschte, daß unser Jagdgebiet unmittelbar hinter dem Hause beginne, daß der Alte hoffe, schon in einer Entfernung von wenigen hundert Schritten uns Schneehühner vorzuführen. So wanderte ich kopfschüttelnd dem Gebirge oder vielmehr den Hügelreihen zu, welche auf der bereits mehr als 4000 Fuß über dem Meere gelegenen Hochebene fußten. Unmittelbar hinter dem Hause betraten wir den Sumpf oder Morast, welcher alle ebenen Stellen des Gebirges bedeckt und überhaupt in ganz Norwegen da auftritt, wo das im Ueberfluß vorhandene Wasser nicht schnell genug Abfluß findet. Alle trockenen Stellen eines solchen Morastes sind mit Birken, Wachholder, Weiden und niedrigem Gesträuch und Gestrüpp bewachsen; denn der eigentliche Holzwuchs hat aufgehört, und die Wälder sind längst in der Tiefe zurückgeblieben. Die wasserreichern Stellen des Morastes werden von einem gelblichgrünen Moosteppich überzogen, aus dem sich die frischen grünen Moosbeeren und wenige Gräser erheben, während alle darin zerstreut liegenden Steine mit Flechten bekleidet sind. Der Grund dieser Moräste ist verhältnißmäßig fest, denn das Moos wurzelt gewöhnlich auf einem unnennbaren Steingeröll, welches den Untergrund aller dieser Niederungen bildet; doch finden sich häufig genug sehr schlammartige Stellen dazwischen und unter Umständen größere und kleinere Seeen.

Dies war das Revier, in welchem wir jagen sollten. Gegenwärtig hatte der Morast freilich noch nicht sein sommerliches Gepräge; ein Schneefeld reihte sich an das andere und ließ uns noch eine schwache Vorstellung gewinnen von den ungeheuren Schneemassen, welche der Winter hier zusammengehäuft hatte: denn der Schnee lag noch jetzt so hoch, daß die Wachholderbüsche fast vollständig und die niedern Weiden- und Zwergbirkengestrüppe vollständig bedeckt waren. Demzufolge konnten wir natürlich von dem eigentlichen Morast so gut als Nichts wahrnehmen. Unser Weg führte uns von einem Schneefeld auf das andere, und bei weitem die meisten dieser Ueberreste der Winterdecke waren so fest, daß wir, ohne nur im Geringsten einzusinken, über sie hinweg gehen konnten. An den Stellen aber, wo ein von der Höhe herabkommendes Rinnsal den Schnee unterwaschen oder theilweise aufgezehrt hatte, genossen wir alle Jägerfreuden einer Sumpf- oder Wasserjagd im vollsten Maße; denn dort fielen wir nicht blos bis unter die Arme in den Schnee, sondern wateten auch unter den lebhaftesten Verwünschungen über alle Schuhmacher ganz Deutschlands mit augenblicklich durchnäßten Stiefeln und Gamaschen durch die eiskalten Waldbäche, welche ein förmliches Wassernetz über die ganze Fläche gebreitet hatten.

Der alte Erik hatte ganz wahr gesprochen, als er uns sagte, daß unsere Jagd gleich hinter dem Gehöfte beginnen werde, denn schon auf dem zweiten oder dritten Schneefeld glaubte er einen Versuch seiner Zauberkünste anstellen zu können. Die Nacht war mittlerweile vollständig hereingebrochen, d. h. es war so dunkel geworden, daß man wohl noch im Sitzen, aber nicht mehr mit Sicherheit im Fluge schießen konnte. Der Kukuk, welcher längst eingetroffen war, hatte seinen Abendruf beendet; nur die Wasserläufer und noch mehr die Regenpfeifer ließen sich vernehmen. Von den Hühnern bemerkten wir keine Spur und vernahmen auch keinen Laut, welcher uns an eine Balze hätte erinnern können.

Der Alte lauschte und äugte wie ein Luchs in die Dämmerung hinaus, und es schien uns fast, als habe er mehr durch sein Spürvermögen, als durch Gehör und Gesicht, Kunde bekommen, daß in der Nähe Morasthühner sein müßten. Mit einem Male blieb er stehen und rief einigemal hintereinander mit ganz eigenthümlicher Betonung: „djiak, djiak,“ und „djí-ak, djí-ak,“ in die Nacht hinaus. Unmittelbar nach seinem Lockrufe hörten wir in der Ferne das Geräusch eines aufstehenden Huhnes, und in demselben Augenblick vernahmen wir auch den schallenden Ruf des Thieres, welcher ungefähr wie „Err – reck – eck – eck – eck“ klang. Dann war wieder Alles still. „Aha!“ sagte Erik. „da haben wir sie ja. Ich wußte wohl, daß wir hier Hähne finden würden.“ Und von Neuem begann er zu locken, immer schmachtender, schmelzender, hingebender, verführerischer. Der alte bärtige Geselle wurde zur sinnbethörenden Sirene mit seinen Lockungen, welche, wie ich mich später überzeugte, den Paarungsruf des Weibchens in einer vollkommen täuschenden Weise wiedergaben. Auf das „djiak“, welches den liebeglühenden Hahn aufgerührt hatte, folgte jetzt ein zartes, unendlich schmachtendes und Gewährung verheißendes „gu, gu, gu, gurr,“ und wirklich antwortete der nun noch mehr angefeuerte Hahn im selbigen Augenblick – das Fluggeräusch wurde stärker, – Erik gab ein Zeichen, wir fielen hinter den Büschen nieder, – und unmittelbar vor uns auf der blendenden Schneefläche stand der Morasthahn in voller Balze. Es war ein Anblick zum Entzücken! Aber das Jägerfeuer war mächtiger, als der Wunsch des Forschers, das Schauspiel zu genießen: ich hatte unwillkürlich mein altes, treues Gewehr aufgenommen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_555.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)