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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Schneehuhn.

hinwegzulaufen. Die breiten, dicht befiederten Füße kommen ihm dabei trefflich zu statten; dieselben sind überhaupt ganz vortrefflich für sein Leben geeignet. An den Zehen sitzen wahre Krallen, Nägel von einem halben Zoll Länge, oben stark gewölbt, nach unten tief ausgehöhlt, täuschend an die langen Klauen erinnernd, welche unsere Modenarren zu tragen pflegen. Damit scharrt es im Winter den Schnee weg und gräbt sich tiefe Gänge in demselben, um sich zu schützen und zu seiner Nahrung zu gelangen. Man will sogar beobachtet haben, daß die Nägel wechseln, d. h. bald größer und breiter, bald kürzer und schmäler werden; die Erklärung ist leicht zu geben. Im Sommer nutzt sich der Nagel auf dem harten Boden ab, im Winter, wo der weichere Schnee weniger Widerstand leistet, wächst er vorn rasch nach und über seine gewöhnliche Länge hinaus. Je nach der Jahreszeit ist der Aufenhalt und das Leben des Morasthuhns verschieden. Im Winter treibt es der Mangel zuweilen von seinen Gebirgen herunter, selbst bis an die Meeresküste und dicht heran zu bewohnten Gebäuden, jedenfalls aber in die Birkenwälder, wo wenigstens nicht die ganzen Bäume verschneit sind. Um diese Zeit bilden die Knospen der Birken seine ausschließliche Nahrung, und noch lange im Frühjahr frißt es vorzugsweise Birkenknospen und später Birkenblätter. Nun geht die Schneeschmelze an; die Wasser stürzen brausend zu Thal; die warmen Südwinde räumen oben auf den Bergfeldern auf. Jetzt steigt das Morasthuhn wieder empor, doch niemals zu den Spitzen, nämlich dorthin, wo die Geröllhalden den Gipfel umlagern, – denn dort wohnt das Alpenschneehuhn, ein blos in der Gestalt und Farbe ähnliches, sonst aber durchaus unähnliches Thier. Jetzt sucht unser Morasthuhn vorzugsweise die Birkenbestände auf, und hier beginnt denn auch sein Liebesleben mit all der Lust und Freude, mit all dem Kampf und Streit. Sofort nach der Paarung, und wenn die ärgsten Kämpfe unter den Hähnen ausgefochten sind, zieht sich jedes Paar nach einem besondern Standort zurück.

Die Balze währt noch lustig fort, da hat das Weibchen schon längst seine Eier gelegt. An sonnigen Abhängen der Hochebene, zwischen dem bereits schneefreien Gestrüpp der Haide, der Moosbeeren, der Heidel- und Mehlbeeren, zwischen niederem Saalweidengesträuch, im Gebüsch der Zwergbirken und des Wachholders, hat sich das Weibchen eine flache Vertiefung gescharrt und mit einer Hand voll dürrem Laub, mit Grashalmen und andern trockenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_557.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)