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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

meistens in ein Gewebe ein, um es so lange aufzuheben, bis sie es bei Gelegenheit aussaugen können.

Auf dieser Grausamkeit beruht denn auch die eigenthümliche Einrichtung, wodurch bei ihnen die Begattung und Befruchtung ermöglicht wird. Die Taster der Männchen sind nämlich löffelartig geformt und verdickt und können in ihren Höhlungen die befruchtende Flüssigkeit aufnehmen. Die Männchen laden diese Taster förmlich, sobald sie sich anschicken, den meist um die Hälfte größeren und stärkeren Weibchen in ihrem Netze einen Besuch abzustatten. „Denn,“ sagt de Geer, „nur zur Zeit der Begattung haben sie mit den Weibchen Gemeinschaft, und haben auch alsdann alle Vorsicht nöthig, um nicht von ihnen gefressen zu werden, welches oft geschieht, wenn sie zu kühn zu Werke gehen. Denn es ist kein Thier in der Welt grausamer und blutdürstiger, als eine Spinne. Indessen findet man auch gewisse Arten kleiner weiblicher Spinnen, die mit den Männchen in ihren Netzen ziemlich vertraulich leben, ob sich diese gleich immer aus Furcht in einiger Entfernung halten. Ich habe die besondere Begattungsart der Spinnen oft mit angesehen, wobei das Männchen ein Opfer der Grausamkeit des Weibchens wurde. Einmal sah ich, daß sich das Männchen einer großen Kreuzspinne dem im Mittelpunkte des Netzes sitzenden Weibchen mit aller Vorsicht und ganz langsam näherte, wie gewöhnlich ein paarmal zurückfuhr und wieder ansetzte, endlich auf einmal auf das Weibchen lossprang, dasselbe umhalsete und sich zum Werke anschickte. Es gelang ihm aber sehr übel. Denn den Augenblick faßte dieses das Männchen mit den Zangen, überspann es, und es wurde nachher rein ausgesogen. Ich wurde wirklich dabei mit Abscheu und Unwillen erfüllt.“

Man kann diese Liebe unter Schrecken nicht selten an schönen Herbsttagen bei den großen Kreuzspinnen beobachten, die an Reblauben so häufig ihre Netze spinnen. Das Männchen nähert sich mit der unendlichsten Vorsicht; bei der geringsten Bewegung des übermächtigen Weibchens schaudert es entsetzt zurück oder stürzt sich an einem Faden zur Erde, und sobald es nur mit seinem Taster die Geschlechtsöffnung des Weibchens berührt und damit die Begattung vollzogen hat, zieht es sich auf das Schleunigste zurück, weil es selbst nach diesem Liebesdienste in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt.

Die Jagdspinnen oder Wolfsspinnen (Lycosida), die man häufig im Nachsommer mit einem Säckchen antrifft, in welchem sie die Eier oder kaum ausgeschlüpften Jungen tragen, erhaschen ihre Beute im Sprunge. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie ein solches Thier einer Fliege nachstellt, die etwa an einer weißgetünchten, von der Sonne hell beschienenen Wand sitzt, an der man die Bewegungen der meist schwarzen Wolfsspinne und der dunkelen Fliege am besten aus der Ferne belauschen kann. Die Fliege sitzt ruhig und putzt sich mit den Vorderfüßen. Die Wolfsspinne rennt augenblicklich auf sie zu, aber in solcher Weise, daß sie stets dem Hinterleibe der Fliege gegenüber steht und von dieser nicht gewahrt werden kann. Die Fliege dreht sich um sich selbst; die Wolfsspinne rennt im Kreise, um stets ihren Posten dem Hinterleibe gegenüber zu wahren. Dreht sich die Fliege mehrmals hin und her, so sieht es gerade aus, als sei die Wolfsspinne mittelst eines unsichtbaren Perpendikels an ihren Hintern gebunden; so genau folgt sie im Kreise rennend und stets sich mehr nähernd den Bewegungen der Fliege. Endlich ist sie nahe genug und dann stürzt sie sich in gewaltigem Sprunge wie ein Tiger auf ihre sorglose Beute, die sie selbst im Fallen von der Wand nicht losläßt und augenblicklich aussaugt.

Zu der Gattung der Wolfsspinnen gehört auch die berüchtigte Tarantel (Lycosa tarantula), welcher italienische Leichtgläubigkeit jene eigenthümliche Krankheit zugeschrieben hat, die Oken nach den Beobachtungen des schwedischen Arztes Kähler im vorigen Jahrhundert folgendermaßen beschreibt: „Wenn ein Mensch stiller wird als zuvor, viel nachzudenken scheint, stets unruhig ist, den Appetit verliert, schwere Glieder bekommt, mark- und kraftlos wird, ein Drücken unter dem Herz, große Beängstigung empfindet, eine gelbliche Gesichtsfarbe bekommt; endlich die Zähne wackelig werden, der Harn häufig und bleich abgeht, und der Mensch allmählich scheu und melancholisch wird; wenn dieser Zustand zwei bis drei Jahre dauert: so glaubt man, die Tarantel habe ihn gestochen, obschon weder er noch Jemand anders etwas davon weiß, und das Uebel müsse durch Musik gehoben werden. Man läßt sodann Musikanten kommen, meistens mit einer Geige oder Cither, welche nun eine eigene Melodie spielen, wozu anfangs der Kranke den Takt giebt mit einem hohlen und jämmerlichen Geschrei, roth im Gesichte wird und endlich in völligen Tanz geräth. Je älter und schwerer die Krankheit ist, desto länger dauert der Tanz und oft zwei Stunden ohne Unterbrechung. Wollten die Musikanten früher aufhören, als der Anfall vorüber ist, so glaubt man, daß der Kranke sterben müsse. Bei einem falschen Ton thut er einen jämmerlichen Schrei, rückt den ganzen Leib und gebehrdet sich, als wenn er die gräßlichste Pein ausstände. Zuweilen wird das Herzdrücken und die Angst so heftig, daß er nicht mehr tanzen kann; dann faßt er mit den Händen einen Tisch oder Stuhl und tritt den Takt mit den Füßen. Ist der Anfall vorüber, so fällt er in starken Schweiß, und man giebt ihm ein Glas Wasser oder Wasser mit Wein und läßt ihn eine Stunde ruhen. Nachher läßt man ihn noch drei Tage hinter einander tanzen, aber immer nach einer besonderen Musik, weil eine andere nicht auf ihn wirkt. Hört er während dieser Zeit zufällig dieselbe Musik, so kann er sich des Tanzens nicht enthalten; nachher aber hat er das ganze Jahr keine Lust mehr dazu, als bis wieder die nämliche Zeit kommt, wo das alte Heilmittel wieder versucht wird. Es giebt Leute, welche 16 bis 25 Jahr getanzt haben. Geht die Krankheit zu Ende, so kommt an irgend einem Gelenk eine Geschwulst, worauf man die Blätter von der Eselsgurke legt, um sie in Eiterung zu bringen. Vornehme Leute halten die Krankheit geheim. Bei meinem Aufenthalte zu Tarent ließ ich zwei Musikanten kommen, um diese Musik zu lernen. Zufällig ging ein Mädchen durch das Zimmer und fing sogleich, als es die Musik hörte, an zu tanzen und hielt damit drei Stunden an, obschon es nichts von einem Tarantelstich wußte. Das ganze Uebel ist offenbar nichts als eine Art Milzsucht, welche durch die sitzende Lebensart, besonders des weiblichen Geschlechts, in der schmutzigen Stadt hervorgebracht wird.“

Leon Dufour, der bekannte Entomologe, dem die Kenntniß der Insecten so viel verdankt, erzählt Folgendes von der Tarantel, die er in Spanien zu beobachten Gelegenheit hatte: „Sie bewohnt vorzugsweise trockene, sandige Gegenden, die der Sonne ausgesetzt sind, und baut sich dort tiefe Höhlungen, in welchen sie lauert. Ein solcher Tarantelbau besteht aus einem cylindrischen Loche, das häufig einen Zoll Durchmesser hat und über einen Fuß tief in den Boden hineinreicht. Anfangs ist dieser Gang ganz senkrecht; aber in vier bis fünf Zoll Tiefe bildet er einen Winkel und setzt sich erst eine Zeit lang in horizontaler Richtung fort, um später erst wieder in die Tiefe hinab zu gehen. In der Ecke dieses Winkels sitzt die Tarantel als Schildwache, um von dort aus wie ein Pfeil auf ihre Beute zu stürzen. Dort sieht man in der Tiefe ihre funkelnden Augen, die wie Diamanten glitzern und wie Katzenaugen im Dunkeln leuchten.

Gewöhnlich findet sich auf dem äußeren Loche ein trichterförmiger Aufsatz, der einen Zoll über den Boden emporragt, zwei Zoll im Durchmesser hat und aus Holzstückchen gebaut ist, die mit etwas Lehm zu einem Ganzen verkittet sind. Der Aufsatz ist sehr fest und von innen mit einem dichten Seidengewebe übersponnen, welches sich durch die Röhre und den ganzen Bau hindurch fortsetzt. Diese kunstreiche innere Auskleidung ist der Spinne äußerst nützlich, sowohl zur Erhaltung der Reinlichkeit, als zur Verhinderung des Einsturzes, wie auch zur Erleichterung des Erkletterns im Inneren, indem die Fußkrallen daran einen sicheren Halt haben. Der Aufsatz fehlt zuweilen, in den meisten Fällen aber ist er vorhanden, und sein Nutzen läßt sich auch leicht einsehen. Die innere Röhre ist dadurch vor Regen und Überschwemmungen geschützt; die heftigen Winde können den Eingang nicht verwehen; der Aufsatz selbst bietet den Fliegen und übrigen Insecten, von denen die Tarantel sich nährt, einen willkommenen Ruhepunkt.

Der Mai und der Juni sind die geeignetsten Monate, um sich Taranteln zu verschaffen. Als ich sie zum ersten Male in der Tiefe des ersten Stockwerkes in ihren Röhren entdeckte, glaubte ich mich ihrer mit Gewalt und lebhafter Verfolgung bemeistern zu können. Stundenlang belagerte ich sie förmlich in ihrer Festung, indem ich mit einem großen Pflanzenmesser Laufgräben anlegte, diese bis zu einer Tiefe von einem Fuß und einer Breite von zwei Fuß ausgrub, ohne jemals die Tarantel erhaschen zu können. Nach wiederholten vergeblichen Versuchen gab ich diese Art des Angriffes auf und bediente mich der List, die mir besseren Erfolg versprach. Ich nahm einen Grashalm, an dessen oberem Ende sich eine kleine Aehre befand, und bewegte diesen leise an der Oeffnung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_584.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)