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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


übrigen Staatsangehörigen, öffnete ihnen alle Staatsschulen und akademischen Würden und hob alle diesem widersprechenden früheren Gesetze auf.

Nicht blos in den beglückten Thälern der Waldenser leuchteten am Abend dieses Tags die Freudenfeuer, die festlich strahlenden Hotels der Gesandten von Preußen, England und Holland in Turin zeugten davon, daß ein Siegesfest der Humanität in Europa begangen werde.

Am besten weiß stets das Volk für lange Volksleiden zu belohnen. Als man am 27. Februar zu Turin die Verleihung der Verfassung großartig feierte, gewährte die Festcommission bei dem Festzuge den Abgeordneten der Waldenser den Vortritt, und hier, wo sie zum ersten Male als berechtigte Gemeinschaft öffentlich auftraten, ging bei ihrem Anblick dem erregten Volke das Herz auf, und freudig begrüßten die von Priesterbanden sich gleichfalls frei fühlenden katholischen Bürger mit tausend Evviva’s ihre „waldensischen Brüder“, ihre „lieben, wiedergewonnenen Brüder“! Dieser Augenblick höchster Erhebung konnte auf Jahre des Jammers den Mantel der Vergessenheit decken. Noch heute ist der 27. Februar ein Festtag der Waldenser.

Wie lange? – Diese Frage wirft uns die jüngste Zeit entgegen. Savoyen und ein Theil des Völkleins der Waldenser sind unter Frankreich gekommen. Seitdem schwebt eine trübe Wolke über dem kaum aufgegangenen Freudenlicht. Wer will heute ahnen, was die Politik, die in diesem Lande regiert, die Politik der Gelegenheit, morgen dem Volke bringt? Braucht der Kaiser die Pfaffen, so opfert er ihnen die Gewissen, und braucht er sie nicht, so schützt er ihre Feinde. Mehr als irgend ein anderes Land, mehr als Rußland und Spanien, läßt Frankreich und Italien uns klar werden, welche Schlange um Hals und Herz der Völker die Verbindung der Politik mit der Religion erzeugt, und dazu haben sie in Rom wie in Paris immer neue Beweise geliefert für eine alte Wahrheit: Je weniger in ihren Regierungshandlungen Spuren zu finden waren von dem Charakter einer wahrhaft christlichen Regierung, um so ängstlicher fesselten sie von je die Völker an ihr Regierungschristenthum.

Wir schließen hier, obwohl unser Gegenstand noch nicht erschöpft ist. Eine neue Reihe päpstlicher Christenverfolgungen entspann sich nämlich aus der katholischen Abwehr gegen die vordringende Wirksamkeit der protestantischen Bibelgesellschaften. Hier begegnen wir nicht mehr Massenverfolgungen, sondern den Quälereien gegen Einzelne. Diesen regierungspriesterlichen Umtrieben, welche durch den großen politischen Umschwung seit 1859 einen plötzlichen Abschluß erhalten haben, und dem gegenwärtigen Stande des Protestantismus in Italien widmen wir einen besondern Artikel.

Auch für diesen werden wir, wie für den vorliegenden, mit aller Anerkennung für den Fleiß des Verfassers den zeitgeschichtlichen Versuch L. Wille’s über „das Evangelium in Italien“ hinsichtlich der Thatsachen zu Grunde legen. Seine Anschauung von Gott wird uns jedoch fremd bleiben, denn wer nach der furchtbaren Weise der Unterdrückung des reformatorischen Geistes in Italien zu dem Ausrufe kommt: „Man kann nicht anders als Gottes rächende Hand erkennen, welche das unglückliche Land in das selbstverschuldete Gericht dahin gab!“ – wessen Theologie noch heute es zuläßt, solch einen grimmigen Judengott auf den Altar der Religion der Liebe zu setzen, wer solche miserable menschliche Leidenschaften, wie Rachsucht, und noch dazu an Unglücklichen und Unschuldigen, am höchsten Wesen wiederfindet, der könnte leicht vor dem priesterlichen Herrsch- und Verfolgungsfieber nicht sicherer sein, als die treuesten Jünger und eifrigsten Diener des armen unbeflecktheitseligen Pio Nono und seines jesuitischen Generalstabs.

Dr. Fr. Hfm.




Das Renchthal und die Klosterruine Allerheiligen im Schwarzwald.

(Schluß)

Am andern Morgen wandern wir zum Städtchen Oberkirch hinaus in’s duftig dämmernde Thal; die Berge rücken uns näher von der Rechten und Linken. Es ist Sonntag. Aus den Seitenthälern, von den Höfen und Weilern an den Thalwänden her strömen festlich geschmückte Gäste zur Mutterkirche. Die Männer und Knaben in rothbodiger Pelzmütze oder breitrandigem, schwarzem Hut, dem schwarzen, weiß oder roth gefütterten Tuch- oder Zwillichrock, der rothen Weste, langen schwarzen Zeughosen oder kurzen Lederhosen mit Halbstiefeln, selten Schuhen mit weißen Strümpfen, die Weiber mit schwarzer Bänderhaube, die Mädchen, unter denen wir manches edle, liebliche Gesichtchen heraus finden, mit unbedecktem, in verschiedene Form geflochtenem Haupthaar, rothem Halstuch, schwarzer, kurzer Leibjacke und blauem Rock.

In einer halben Stunde haben wir Lautenbach erreicht, dessen berühmte, einst von Allerheiligen aus versehene Wallfahrtskirche ein gutes Altargemälde und zur Linken im Hauptschiff ein nicht minder sehenswerthes Oelbild enthält. Hier haben wir die Wahl zwischen drei Wegen nach Allerheiligen, entweder der Thalstraße nach über Oppenau, und von da weitere zwei Stunden das reizende Lierbacher Thal hinauf, ohne Zweifel der bequemste, aber längste, oder von Lautenbach an über den Soolberg, oder durch das Sulzbachthälchen über den Brunnberg. Wir wählen den Letzten.

Nach zehn Minuten biegen wir links in das enge Thälchen ein, in dem wir nach weitern zehn Minuten das Badhaus Sulzbach erreichen. Zwischen den beiden Badhäusern, unter einem bedeckten Gange hindurch, an dem Ausfluß der Quelle vorbei, steigen wir bergauf in eine einsame, wilde, reiche Gebirgswelt hinein. Eine gute halbe Stunde führt uns so der rauhe Bergweg steil im Walde aufwärts, dann öffnet sich vor uns die Waldgegend, mächtige dunkle Berge ragen zur Linken und Rechten empor, tief eingeschnittene Wiesenecken ziehen sich unter ihnen hin; noch fünf Minuten steigen wir empor; Aepfel- und Birnbäume, an deren entlaubten Aesten noch das spätreifende Obst hängt, sind uns die Verkündiger naher Menschenwohnungen, und nach wenigen Schritten stehen wir in dem Gehöfte des Brunnberghofes. Heerden von Schweinen und Kühen ziehen an den Höhen umher, tief über die niedern Fenster hängt das schützende Strohdach, im untern Stockwerke reihen sich die Stallungen für das zahlreiche Vieh, Scheunen und Schoppen aneinander, in den zweiten Stock, zu den Wohnungen der Familie, führt die hohe starke Holztreppe; das Ganze macht den Eindruck einer wohnlichen Stätte in dieser wilden Gebirgseinsamkeit.

Die rothwangige Bäuerin streckt den Kopf zum Fenster heraus und deutet uns die Richtung des Weges an. Wir folgen über eine kahle Bergwiese der angegebenen Richtung. Eine fliegende Nebelwolke hüllt uns plötzlich in ihren feuchten Schooß, aber ein Windstoß jagt sie stäubend über uns hinweg, die blinkenden Sonnenstrahlen drücken sie an die dämmernde Bergwand zur Rechten; wenige Schritte, und wir stehen an dem Saum der Bergmatte, und – eine ungeahnte, wunderherrliche Gebirgswelt liegt, wie aus dem Schooße der Wolke gezaubert, zu unseren Füßen. Es ist das Lierbacher Thal, in dessen Tiefe das Nordwasser rauscht, an dessen Hängen einsame Berghütten nisten oder durch steigende Rauchsäulen ihre Stätte in der verborgenen Schlucht verrathen, über dem gewaltige Bergrücken mit ihren Waldsäumen und Waldkronen, ihren Wiesengründen, ihren Felsenzinnen sich hinziehen – wahrlich ein Anblick, ein Stück idyllisch schöner Schöpfung, wie uns wohl selten ein zweites begegnet, und wohl werth des Schweißes, den uns der Bergpfad vom Sulzbachthälchen herauf gekostet. Noch einmal werfen wir den Blick hinüber auf jene Felsenspitze über dem Thale. Es ist die Felsenkirche, der Siebenschwesternfelsen, einst ein Kirchlein, in welches sich sieben Schwestern vor der Gewaltthat verfolgender Hunnen geflüchtet hatten. In ihrer Noth flehten sie zur Mutter Gottes, welche das Kirchlein in einen Felsen verwandelte und so die Schwestern hinter den Felsenmauern rettete.

Neugestärkt, nichts mehr fühlend von der Beschwerde des Weges hinter uns, durchrieselt von der reinen, kühlenden Berglust, geleitet vom wärmenden Sonnenstrahl, folgen wir langsamen, zögernden Schrittes dem bequemen, in Sommertagen dicht beschatteten Fußpfade, der uns jetzt durch stolzen Buchen- und Ahornwald, jetzt durch dichten, dunkelgrünen Tannenschlag, jetzt an lichten Gebüschen mit dem zarten, seidenblätterigen Berggras, der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_618.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)