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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Augenblicken, die drei Bilder tragend, während der kleine Mann mit dem Zöpfchen allmählich aus dem Zustand äußerster Beweglichkeit und Lebendigkeit in den einer vollständigen Versteinerung vor Schreck und Entsetzen überging.

Fano hatte mit seiner Behendigkeit bereits die Leiter an den Galgen gesetzt und war daran wie ein Eichhorn emporgeklettert, als Albrecht mit seiner Last ihn einholte und ihm eines der Bilder emporreichte. Das Bild hing, bevor eine Minute verflossen war, oben an dem alten Haken, der in dem Querbalken eingeschlagen war.

„Seine Erlaucht der hochgebietende Herr Reichsgraf geruhen zu hängen!“ rief Fano triumphirend aus, während er von der Leiter niederglitt.

Er nahm diese dann wieder auf seine Schulter und stellte sie an der zweiten Seite des dreieckigen Gerüstes auf. Die Reihe zu hängen kam an den regierenden Herrn der freien Reichsstadt Großlingen.

„Seine Wohlweisheit der regierende Herr Bürgermeister, hoch!“ rief der Italiener halb vor Lachen erstickt, als er das zweite Conterfei angehakt hatte.

Es kam die Reihe an den Dritten. Die alten Haken fehlten nirgends. Auch die dritte Seile erhielt bald ihre Zierde. Der Prälat von Triefalten schaute nach kurzer Weile in seiner großen Perrücke finster und melancholisch von seinem hohen Platze herab.

Fano warf nun die Leiter um, klopfte lachend den Staub von seinen Kleidern und sagte dann:

„Der Einfall war vortrefflich – aber es ist jetzt räthlich, an den Rückzug zu denken, denn …“ er unterbrach sich und horchte einen Augenblick, und setzte dann hinzu: „Ich höre Schritte da aus dem Gebüsche her!“ Zugleich eilte er aus der Nähe des Attentats fort, zu der Bude zurück, zog seine Börse, um ein Stück Geld auf das Auslagebret zu werfen, und mit dem Rufe: „Kommen Sie, Albrecht, kommen Sie!“ schlug er eilig den Weg, den sie gekommen waren, ein.

Albrecht hatte erst einen Rundgang um den ganzen Galgen herum gemacht, um noch einmal sich des Total-Eindrucks zu erfreuen, den die Ausführung seines Einfalls hervorbrachte. Als er zu der vordersten Seite zurückgekommen war und einen gerührten Scheideblick auf das ausdruckvolle und majestätisch stirnrunzelnde Antlitz des Reichsgrafen warf, hörte auch er rasche leichte Schritte hinter sich. Er wandte sich um und wurde jetzt durch einen überraschenden und sehr unerwarteten Anblick gefesselt.

Eine junge Dame näherte sich ihm. Ein leichtes coquettes Hütchen von grüner Seide mit Rosabändern auf dem rosigen Haupte, in einer weiten grauen Robe, den Oberkörper in einen grünen Jagdrock gehüllt, der mit goldnen Gallons besetzt war und von goldnen Brandenbourgs zusammengehalten wurde, kam sie auf einem Fußsteige heran und war schon dicht hinter Albrecht. Ihr Antlitz glühte in der frischen Morgenluft und von der Anstrengung des raschen Wandelns den Weg zu der Höhe des Rendezvousplatzes hinauf, und dies rosige Antlitz war so lieblich, so wunderhübsch, und lächelte dem Unglücklichen, der hier oben Henkerarbeiten vollzogen hatte, so freundlich entgegen, daß dieser erstaunt stehen blieb und sich gefesselt fühlte, und daß er für den Augenblick ganz die dringende Nothwendigkeit vergaß, jetzt, bei der Annäherung des Jagdtrosses, die Flucht zu ergreifen – er konnte diesen Jagdtroß bereits im Gebüsche eine Strecke weit hinter der hübschen Jägerin die Höhe heraufkommen hören. –

Und so stand er, in den gefährlichen Anblick verloren, bis die junge Dame, ehe er sich’s versah, ihm freundlich lächelnd mit der Hand einen Gruß gewinkt hatte, der ihn nun vollends festhielt, denn nun konnte er doch unmöglich mehr Reißaus nehmen – im Angesicht der Dame!

Diese wendete sich mit einigen Worten, die sie rasch zu flüstern schien, an einen hinter ihr dreinschreitenden Büchsenspanner, und der Mann antwortete etwas, was Albrecht jedoch ebensowenig wie die Frage verstand.

„Wer sind Sie?“ fragte jetzt das Fräulein mit der freundlichsten Offenheit von der Welt und setzte hinzu: „Ich kenne Sie nicht, und der Andreas hier kennt Sie auch nicht – aber das schadet nicht, wir können doch gute Jagdcameraden werden, wenn mein Vater Sie eingeladen hat – es wird heute ein sehr hübsches Treiben werden.“

Mit einem herzgewinnenden offenen Wesen warf bei diesen Worten die schlanke junge Dame aus den großen braunen Augen einen prüfenden Blick auf die Gestalt des Fremden, und es schien, daß diese edle und anmuthige Jünglingsgestalt vollständig Gnade vor den braunen Augen fand.

Albrecht hatte aber leider in einem Maße, das sehr verhängnißvoll für ihn werden sollte, seine Geistesgegenwart verloren. Er murmelte verlegen einige Worte und wollte mit abgezogenem Hute seinen Rückzug nehmen, als die hübsche Amazone ausrief:

„Was sagen Sie? Sie wollen doch nicht fort? Sie sind nicht geladen? O das schadet nicht … heute ist Alles geladen, bleiben Sie nur – wie heißen Sie? Ich will Sie schon meinem Vater vorstellen; ich höre an Ihrer Sprache, daß Sie fremd sind, und wir lassen Fremde von Distinction … nein, Sie wollen doch gehen, Sie wollen an der Jagd nicht theilnehmen?“

„Entschuldigen Sie mich, meine Gnädigste,“ stammelte Albrecht, „ich bedaure auf’s Tiefste, daß ich leider nicht die Muße habe …“

Er endete den Satz nicht, denn in diesem Augenblicke trat der Büchsenspanner dicht hinter ihn und wies zugleich über seine Schulter fort auf den Galgen hin, wobei er ausrief:

„Schauen die gnädige Comtesse doch einmal da hinauf, was dort hängt,“ sagte der Mensch dabei.

Die gnädige Comtesse warf einen Blick in der angegebenen Richtung – trat darauf erschrocken einen Schritt zurück und sagte erblassend und dann dunkelroth werdend: „Das ist ja … Herr, wer that das?“

Albrecht stand wie mit Purpur übergossen. Er konnte jetzt nicht mehr an Flucht denken – nicht daran denken, diesem schönen und liebenswürdigen Geschöpf gegenüber die Rolle eines ertappten Schulbuben, der sich aus dem Staube macht, zu spielen. Er konnte auch nicht mehr fort, denn um ihn her ergoß sich plötzlich der ganze Schwarm der edlen Waidcumpane. Da waren sie, die hochgemutheten Jagdgäste alle, mit ihren Freunden und Dienern; in ihrer Mitte eine dicke, untersetzte, außerordentlich wohlgenährte Figur in reichem Jagdcostüm und um ihn her viel andere fürnehme, gnädige Herrn, und um diese her, wie die werthlosen Hüllen um den süßen Kern, die dienstbeflissenen Förster, Jäger, Büchsenspanner eine ganze Menschenwoge, die plötzlich theils mühsam keuchend und die Stirnen trocknend, theils leichten festen Schritts, theils lachend und scherzend und theils ehrfurchtsvoll sich zurückhaltend, um den unglücklichen jungen Mann herwogte.


Fortsetzung folgt





Aus den Zeiten der schweren Noth.

Nr. 5.
Buchhändler Palm.
Von Th. Oelckers


Wir sind oft geneigt, fast nur mit einem mitleidigen Staunen an unsere Väter zu denken, wenn wir von „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ zu Anfang dieses Jahrhunderts hören. Man kennt freilich die Thatsachen jener Zeit, sie sind klar und deutlich genug aufgezeichnet, aber man betrachtet sie gleichsam als etwas Fremdes, wie die Ereignisse einer Erzählung aus entlegenen Ländern oder aus grauer Vorzeit, der frische, unmittelbare Eindruck, wie sie ihn auf die Zeitgenossen machen mußten, fehlt, und so versteht man die Lage und die Zustände, die jene Erscheinungen erzeugten, nur unvollkommen, ja, kaum die noch unter uns lebenden Greise, die selbst zu jenen Zeitgenossen gehörten, vermögen sich den Zustand und ihre eignen damaligen Gefühle zum recht klaren Bewußtsein zu bringen. Wir halten jenen Zustand kaum noch für möglich, weil uns der „corsische Tyrann“ bereits zur Mythe geworden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_628.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)