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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Gefahr, daß die dünnen Blechplatten des Kopfes eingeschnürt und abgerissen werden. In diesem Augenblick stehen alle, auch Thomsen, der sich an den Trümmern des Tretrads aufrecht hält, wie zum Sprunge bereit. Plötzlich erschüttert ein dröhnendes Gerassel der verhängnisvollen Kette den ganzen Bau, – sie ist abgerissen – die Luke frei! –

„Will, jetzt ist’s Zeit! Die Luke geöffnet, ehe sie uns noch einmal einschließen!“ – Witt hebt, die Luke öffnet sich, doch erschreckt von dem hereinstürzenden Wasser, läßt er sie wieder fallen. Der Meister aber weiß, daß nun die Rettung sicher ist.

„Auf, Thomsen, jetzt können wir hinaus!“ Mit diesem Freudenrufe führt er den von Mattigkeit Wankenden über den Ballasthaufen und die Rädertrümmer unter die Ausgangsluke, er selbst steigt auf die Treppe, um jenen nachzuziehen, falls ihn die letzte Kraft verlassen sollte.

„Fertig?“ – ruft Witt.

„Ja!“ – Die Luke geht auf, und empor fliegt Witt wie der Pfropf aus der Champagnerflasche.

Jetzt gilt’s dem Meister, Thomsen zu sichern. Er will ihn bei den Haaren fassen, um ihn so mit nach oben zu nehmen, aber die erstarrten Finger versagen den Dienst. Da erblickt er ein Tau am Kopf des Apparats, das nach oben führt. Er erfaßt es, – doch die Luft, vom einstürzenden Wasser jetzt mit ungeheurer Gewalt aus dem Apparat getrieben, ergreift Beide und reißt sie empor, Thomsen in gerader Richtung nach oben, den Meister am Tau entlang nach dem Schiffe hin, mit dem es verbunden ist. –

Eilen auch wir zum Lichte hinauf. Da wimmelt es von Booten und harrenden Menschen. Selbst in die nächsten Seestädte ist durch die Telegraphen die Kunde vom Schicksal des „Teufels der See“ gedrungen und hat Neugierige und Theilnehmende herbeigelockt. Mit dem Reißen der Kette ist hier oben alle Hoffnung zur Rettung dahin, und ein edler Mann der Wissenschaft fordert die Menge auf, für die Unglücklichen zu beten. „Auch sie,“ ruft er, „haben sich für unsere Sache, für Schleswig-Holstein, ja für Deutschland geopfert!“

Da sprudelt ein Wasserberg, und die Todten stehen auf – Witt erscheint, mit den Beinen voraus, an der Oberfläche, gleich darauf Thomsen, zuletzt und abseits von diesen der Meister. Unermeßlicher Jubel begrüßt die Geretteten.

Der Erfinder aber hat ein Zeugniß für sein Werk erlebt und Erfahrungen über die Natur der Luft, des Schalls, des Lichts, des Wassers mit herausgenommen, wie jahrelange Studien sie ihm nicht hätten geben können. Schiller’s Taucher ist zur Prosa geworden, der Molchengrund erschlossen.

Und wer ist dieser Erfinder, dieser Meister Wilhelm?

Es ist der Wilhelm Bauer aus Dillingen in Schwaben, vormals baierischer Artillerie-Unterofficier, dann russischer Submarine-Ingenieur und nun ein verkannter, zurückgesetzter und vergessener Mann in München.

Im Kieler Hafen, wo er am ersten Februar 1851 niederfuhr, liegt noch heute der arme „Teufel der See“. Wilhelm Bauer aber ward mit seiner Erfindung und mit vielen anderen gleich bedeutenden Thaten seines technischen Genies in der Heimath verlassen und in die Fremde getrieben, – ins Elend, nannten’s unsere Väter. Nicht Preußen, nicht Oesterreich vermochten den Mann zu würdigen, die Schätze seines Geistes für den Dienst des Vaterlandes, ja der Menschheit zu heben. Wilhelm Bauer’s Rettungsboot, seine Taucherkammern, seine unterseeischen Kameele zum Heben der größten Lasten aus den Wassertiefen, sein aeronautischer Apparat, sein Kabelschneider, seine Revolverbatterien für Küstenvertheidigung, seine hyponantische Corvette, seine Verbesserungen am Telegraphen etc. – jede dieser Erfindungen fand von Akademien in Baiern, in Oesterreich, in Rußland, in England, in Frankreich die fast allenthalben gleichlautende Anerkennung, daß „sie auf richtigen Principien beruhe und eine hohe technische Begabung des Erfinders beurkunde“ – aber weiter nichts – Ein Deutschland gab es nicht, das sich des genialen Mannes annehmen konnte, in der baierischen Heimath konnte man ihm den Kanonier nicht vergessen, in England betrog man ihn um seine Erfindungen und wies ihm dann die Thüre, in Frankreich zeigte man den Willen dazu, in Rußland baute er zwar einen neuen Brandtaucher, aber auch dort waren 134 unterseeische Fahrten nicht hinreichend, seinem Wirken eine ehrliche Bahn zu sichern, und als in den letzten Tagen das Schwabenmeer hätte die Ehre erleben können, zum ersten Male, so lange die Welt steht, einen versunkenen Dampfer („Ludwig“) einzig und allein durch die Kräfte der Natur gehoben zu sehen, da waren die Augen zu blöd für den Werth einer solchen Ehre, man verließ den Mann im Angesicht des Gelingens seiner großen Erfindung, und so ist der letzte Schlag durch das Schicksal, der den von allem Unglück eines deutschen Erfinders verfolgten Mann traf, noch ein Schwabenstreich gewesen.

Und nun ein Wort zum Schluß.

Ich habe dies Alles nicht erzählt, um unsere Leser zu amüsiren. Ich habe es erzählt, um zu fragen, ob noch viele Männer in Deutschland leben, die so Ungewöhnliches, so Ungeheures für ihr Wirken zu leiden und zu wagen hatten; ob noch viele Männer leben, die für all’ ihr Ringen und Mühen, für so große Opfer so hart bestraft worden sind; ob es ewig das bitterste Loos auf Erden bleiben soll, ein deutscher Erfinder zu sein.

Wir leben in Tagen einer herrlichen, begeisternden Erhebung des nationalen Bewußtseins der Deutschen. Wir sind wieder einmal zu dem in Deutschland so seltenen Entschluß gelangt, von den Worten zum Wirken, von der Rede zur That überzugehen. Noch einmal nimmt die Nation durch ihre entschlossensten Männer die Wahrung ihrer Sicherheit und Ehre selbst in die Hand, sie denkt selbst an den Schutz ihrer Küsten, sie arbeitet selbst für eine neue deutsche Flotte. Sollte in einer solchen Zeit ein technisches Genie, wie das Bauer’s, im Elend verkümmern, sollte im Angesicht solcher Bestrebungen für Küste und Flotte ein Wilhelm Bauer unbeachtet und ungewürdigt zu Grunde gehen müssen?

Es ist die Pflicht der Nation, den deutschen Erfinder in ihren Dienst zu rufen, es ist ihre Pflicht, auszusprechen, nicht: dem Manne kann, nein: dem Manne muß geholfen werden!

Friedrich Hofmann.




Ein oberfränkisches Landschaftskleeblatt.
Von L. Storch.
Nr. 1. Die Plassenburg.

Vom schönsten Frühlingswetter begünstigt, stieg ich im Kulmbacher Bahnhofe aus dem Waggon, von meinem Freunde und seiner Schwester, die wir Frau Sophie nennen wollen, erwartet und auf das Herzlichste begrüßt. Es war ein frischer köstlicher Morgen, und Alles funkelte im jungen Glanz der Sonne, des Thaus, der Frühlingspracht. Die Natur umher, die beiden lieben Menschen in meiner Gesellschaft und ein kleines, aber auserlesenes Frühstück gaben mir jene Elasticität des Geistes, der Seele und des Körpers, die zum wahren poetischen Genuß schöner Gegenden so unentbehrlich ist.

In dieser herrlichen Stimmung gingen wir durch das helle, schmucke, reinliche Städtchen Kulmbach, dessen breiten, schön gepflasterten, mit stattlichen Häusern besetzten Straßen man immer noch die alte patriarchalisch-gemüthliche Fürstlichkeit ansieht, obschon über dritthalb hundert Jahre verflossen sind, seit das Brandenburger Fürstenhaus hier seinen Zweig, die ältere Linie der Markgrafen von Kulmbach (Ansbach-Baireuth), absterben sah. Es ist ein eigenthümlicher Segen, welcher in diesen ehemaligen kleinen Fürstenresidenzen von Geschlecht zu Geschlecht fortwuchert, obgleich die Dynastien, die ihn hervorgerufen, längst in ihren steinernen Fürstengrüften modern; die Saat, die ihre väterliche Hand gestreut, bringt immerdar Früchte, die dem späten Enkel zu gut kommen. Blüthe und Frucht unserer Geistesbildung, unserer milden Sitte, unseres specifisch deutschen behäbigen Gemüthslebens sind zum großen Theil aus diesen kleinen Fürstenresidenzen hervorgegangen. Obgleich Kulmbach und Plassenburg unter dem Fürstenhause, das hier von 1341 bis 1603 residirte, mehr als einmal von schwerem Kriegsdrangsal heimgesucht wurde, namentlich unter dem berüchtigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_651.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2022)