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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zu, was Albrecht von seinem Gefährten berichtete, und als er, sie scharf fixirend, fallen ließ, daß Fano’s Briefe mit einem C und zwei X unterzeichnet seien, veränderte sie offenbar die Farbe, während sie das Gesicht abwandte und, wie es schien, einen sprechenden Blick zu ihrer Dueña im Hintergründe hinüber warf.

Es schien auch. als ob sie von diesem Augenblicke an nicht mehr in der Gemüthsverfassung sei, das Gespräch mit Albrecht fortzusetzen. Der kühle Gleichmuth, den sie mit mehr oder weniger Erfolg während der Unterredung behauptet hatte, war offenbar gründlich erschüttert – sie mußte sich zusammennehmen, um Albrecht zu sagen, daß sie hoffe, ihren Vater von der Harmlosigkeit dessen, was vorgefallen, zu überzeugen, und um ihn dann mit einer unendlich freundlicheren Verbeugung, als womit sie ihn empfangen, zu entlassen.

Albrecht begab sich mit der besten Zuversicht, ja, mit einer gewissen Befriedigung über ein Abenteuer, welches ihn in diese Berührung mit einer so reizenden jungen Dame wie Gräfin Aglaë gebracht hatte, in die Hände des seiner harrenden Feldwebels zurück.




4.

Als der Abend herannahte, füllte sich der Schloßhof von Hohenklingen mit dem Troß des heimkehrenden Jagdzuges an. Der Reichsgraf erschien endlich selbst, ertheilte noch einige Befehle, die nicht darauf deuteten, daß er mit einer gnädigeren Stimmung, als worin ihn am Morgen Albrecht zu sehen Gelegenheit gehabt, zurückgekehrt sei, und begab sich dann mit seinen Beamten in das Innere des Schlosses, um das große Jagdmahl, zu dem die Ehrengäste fehlten, jetzt allein zu verzehren. Albrecht hatte eine leise Hoffnung, daß noch an diesem Abende seine Lage eine Veränderung erfahren und er nicht die Nacht in seiner Gefangenschaft zubringen werde. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Er mußte den Schlaf auf einer nicht eben sauberen Strohmatratze suchen und sich in die anderen Unbequemlichkeiten einer Haft finden, welche, je länger sie dauerten, desto unbehaglicher wurden. Auch am andern Morgen verging eine Stunde nach der andern, bis endlich ein Mensch in einer grünen Jagdlivree über den Hof gestürzt kam und dem Feldwebel, der die Schlosswache perennirend zu befehligen und nie abgelöst zu werden schien, den Auftrag brachte, seinen Schutzbefohlenen sofort zum Grafen heraufzusenden.

Es war ein anderer Theil des Gebäudes, als der von der Gräfin bewohnte, in welchen Albrecht geführt wurde; es war der Hauptbau, der dem Mittelpunkt des Ganzen, einen großen ovalen Speisesaal oder Ahnensaal, wenn man will, umschloß – denn beides war hier in dem einen großen, mit zwei ungeheueren Kachelöfen an den beiden Enden versehenen Gemache vereinigt; wahrscheinlich hatte man die Gestalten der tapfern Ahnen gerade hierhin in den Banketsaal gebracht, um sie Zeugen werden zu lassen, daß ihre Enkel an Großartigkeit heroischer Leistungen ihnen nicht nachgaben und ihrer nicht unwürdig geworden.

Reichsgraf Cosimus schritt in diesem Saale, dessen Fenster geöffnet waren und die Aussicht in einen nach französischem Geschmacke angelegten Garten gewährten, auf und ab. Er stieß dabei dicke Rauchwolken aus, welche er aus einem großen ungarischen Meerschaumkopf hervorqualmte.

Als Albrecht eintrat, blieb er stehen und den Gefangenen, der ihm eine höfliche Verbeugung machte, vorn Scheitel bis zur Sohle mit einem majestätischen Blicke messend, sagte er:

„Komm Er näher!“

Diese Worte wurden mit einer Stimme, die wie ein aus der tiefsten Brust aufsteigendes Donnergrollen lautete, gesprochen. Albrecht fand für gut, weder darauf zu antworten, noch dem Befehl zu folgen.

„Man nennt sich einen Grafen von Werdenfels?“

Der Graf von Werdenfels bejahte diese Frage durch ein stolzen Kopfnicken.

„Haben Sie etwas, was diese Angabe zu beweisen im Stande ist?“

„Ich habe einen Brief an den Reichsvicekanzler Graf Schönborn bei mir.“

„Ich bitte darum,“ antwortete der Graf, der aus der Scala der Höflichkeit immer mildere Töne anschlug.

Albrecht zog seine Brieftasche hervor und überreichte ein großes, mit den Werdenfels’schen rothen Fahnen gesiegeltes Schreiben dem Grafen. Dieser betrachtete es lange, und nachdem er sich von der Richtigkeit des Wappens überzeugt hatte, gab er es Albrecht zurück. „Wenn es Ihnen erforderlich erscheinen sollte, mögen Euer Erlaucht es öffnen.“

„Ich danke Ihnen,“ versetzte die Erlaucht, „es bedarf dessen nicht, Ihre ganze Erscheinung läßt mich nicht daran zweifeln, daß Sie die Wahrheit sprechen, obwohl es befremdlich ist, daß ein Graf von Werdenfels in einem so gründlichen Incognito reist. Aber das ist Ihre und noch mehr Ihres Herrn Vaters Sache. Ich bitte, Herr Graf, nehmen Sie Platz.“

Cosimus wies mit einer leichten Handbewegung auf ein Tabouret, welches in einer der Fensternischen stand, und setzte sich auf ein anderes, Albrecht dicht gegenüber.

„Sie haben mit der Gräfin, meiner Tochter, gesprochen,“ sagte er, „und bei dieser sich wegen des tollen Streichs verantwortet, mit dem Sie sich hier bei uns eingeführt haben. Ich will diese Entschuldigung gnädigst gelten lassen, zumalen es wahr sein mag, daß die Conterfeis, welche unsere Unterthanen in schuldiger Devotion sich von ihren gnädigst regierenden Landesherrn anfertigen lassen, mitunter den Herren Kunstverständigen zum Aergerniß gereichen können. Ich werde ein Edict dawider ausgehen lassen, auf daß hinfüro alle derartigen Maler-Elaborate, wenn sie mich betreffen, hierorts an eine censirende Hofstelle abgeliefert werden, welche sie mit einem Placet zu versehen hat; dann wird ein solcher Casus sich nicht wieder ereignen können!“

Albrecht nickte diesem Beschluß Serenissimi mit lächelndem Schweigen seinen Beifall, froh, daß er seine Schutzrede nicht noch einmal vorzubringen habe.

„Und so wollen wir denn,“ fuhr der Reichsgraf fort, „über diese Sache hinweggehen und gnädigst die bis jetzt erlittene Haft als ein genügsames, kleines Memento für den jungen Herrn gelten lassen … was hat es aber für eine Bewandtniß mit dem Begleiter des Herrn Grafen, dem jungen Italiener, der anitzt, wie anhero berichtet ist, als der Hauptschuldige im Stift Triefalten in Gewahrsam genommen ist?“

„Er ist ebenfalls verhaftet worden?“ rief Albrecht aus.

„So ist es. Von den Stiftischen!“

„Dann retten Sie ihn aus dieser Lage, Erlaucht,“ fuhr Albrecht lebhaft fort, „denn wenn mich nicht Alles trügt, bestehen Beziehungen zwischen Ihnen und dem armen Fano, welche ganz der Art sind, um Sie dazu aufzufordern.“

„Was wissen Sie darüber?“ fiel die dicke Erlaucht ein, indem sie eine furchtbare Wolke Rauchs ausqualmte.

„Fano Solari hat mir gesagt, daß seine Mutter, eine Venetianerin von gutem Hause, Teresa Solari geheißen, daß sie von ihrem Geliebten Briefe erhalten, welche die Unterschrift C. XX. getragen, daß er ein deutscher Cavalier aus Schwaben gewesen sein müsse …“

Graf Cosimus war bei diesen Mittheilungen offenbar in eine äußerst heftige innere Bewegung gerathen, welche er umsonst dadurch zu verbergen strebte, daß er bald rechts zum Fenster hinaus, bald links in die Tiefe des Saales blickte, bald hierhin, bald dorthin spuckte und eine schreckliche Rauchwolke um sich dampfte.

„Hat Derselbige solcherlei Briefe bei sich und kann sich damit ausweisen?“ fragte er endlich.

„Er hat dieselben mir zur Durchsicht anvertraut, und sie stehen zur Disposition, wenn es Euer Erlaucht gefallen sollte, zu gestatten, daß sie in meinem Besitz bleiben, denn ich bin meinem Freunde dafür verantwortlich!“

Die Erlaucht nickte einwilligend, und Albrecht zog noch einmal seine Brieftasche hervor und übergab ein kleines Convolut alter, vergilbter Papiere daraus dem Reichsgrafen.

Cosimus entfaltete mit bewegter Hand die Blätter und starrte sie mit einer Miene an, deren Ausdruck sehr schwer zu beschreiben war. Es stritten sich ein gewisses verschämtes Betroffensein und eine tiefere Rührung darin; er heftete bald seine Augen auf die Handschrift, welche ihn so lebendig in eine längst verschwundene Jugendzeit zurückversetzte, bald wandte er die Blicke mit einem gleichsam verächtlichen Kopfschütteln davon ab, spuckte zum Fenster hinaus und machte ein äußerst martialisches Gesicht, während seine derbe, gebräunte Faust die Papiere in ziemlich zerknittertem Zustande auf das breitgerundete Knie gedrückt hielt. Dann murmelte er allerlei Worte zwischen den Zähnen, die Albrecht nicht verstand, und schielte dabei zuweilen wie mit einer gewissen Aengstlichkeit auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_658.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)