Seite:Die Gartenlaube (1861) 665.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wozu der berüchtigte § 8 der Schleswig-Holstein octroyirten Verfassung sie vollkommen autorisirte, indem er den dänischen Unterthanen in den Herzogthümern jeden Rechtsweg abschnitt – eine Knechtschaft der Geister und Sprache, Schule, Kirche und Presse, wie Oesterreich sie so niemals in Venetien versucht hat, die kleinlichsten Verfolgungen, ein über das ganze Land ausgebreitetes Netz von Spionage und Denunciation, allmähliches Sinken des Real-Credits, täglich zunehmende Armuth in den Städten bei den Handwerkern und kleinen Bürgern, beide Herzogthümer baar aller politischen Rechte, die Presse überall in den Händen der dänischen Polizei, das Petitionsrecht bis auf die Lächerlichkeit einer Unterschrift herabgesunken, kein Vereins- und Versammlungsrecht, die Communalverwaltung überall auf dem Wege, den Dänen oder ihren Kreaturen in die Hände zu gerathen, oder bereits in ihren Händen, vollkommene Unsicherheit der Person und des Eigenthums vor den unaufhörlichen Angriffen und Versuchen der dänischen Beamten – aber alledem gegenüber der zäheste und trotzigste Widerstand der deutschen Bevölkerung in beiden Herzogthümern, nicht zu wanken und zu weichen und fest zu einander zu halten, zur Ehre Deutschlands, und um den eigenen Widerstand desto kräftiger zu machen. Holstein ist um Vieles glücklicher als Schleswig, die Verbindung mit dem deutschen Bunde macht dort die Dänisirungs-Versuche und dänischen Beamten, Pastoren und Schullehrer unmöglich. Aber was waren das für Beamte, welche Schleswig dänisiren? Der Ausschuß der Juristen, Theologen und Schullehrer, welche die dänischen Inseln besitzen. „Alle unsere Beamten, die noch einen Begriff von Ehre haben, gehen nur mit dem größten Widerwillen und gezwungen nach Schleswig!“ sagte man mir in Kopenhagen. Und ich überzeugte mich von der Wahrheit dieser Worte auf dem Festlande. Ich habe in ganz Schleswig wenig dänische Beamten gefunden, von denen man nicht mit grenzenlosester Verachtung sprach und Dinge erzählte, welche diese Verachtung vollkommen rechtfertigten. Ich übertreibe nicht; was ich sage, ist in Schleswig in Aller Munde, und ein ganzes Volk lügt nicht.

Nur Angeln hatte ich noch nicht gesehen. Ich hatte die Reise durch Angeln aus verschiedenen Gründen bis zum Schluß meiner Untersuchungen der Zustände in Schleswig-Holstein mir vorbehalten.

An einem der letzten Augusttage saß ich bei einem meiner neuen Freunde in dem Staatszimmer oder in dem Salon – wenn man so will – seines im südlichen Angeln gelegenen Hofes. Ich nenne seinen Namen absichtlich nicht, denn ich würde ihn sofort einer Menge Tracasserien Seitens seines Hardesvogtes aussetzen. Wir sprachen über die politischen Verhältnisse in den Herzogthümern und besonders über Angeln. Er theilte mir Manches von dem mit, was ich oben über die Bewohner des Landes erzählt habe. Dann gab er mir die Charakteristiken dänischer Pastoren und Schullehrer in Angeln. Hätte er mir das, was er mir heute Abend erzählte, vor sechs Wochen erzählt, ich hätte es nicht geglaubt, obschon mein Freund einen der ehrenwerthesten Namen in Schleswig trägt und durch seine Wahrheitsliebe, seinen Muth im Widerstande und seine Vertheidigung der Rechte des Landes hochgeehrt ist. Aber ich hatte so viel Unglaubliches gesehen und gehört, ich erstaunte über nichts mehr.

„Sehen Sie,“ sagte er, „wir hatten vortreffliche Prediger im Lande, würdige, gelehrte Männer, hochgeachtet und geliebt von der ganzen Bevölkerung. Die dänische Regierung hat sie sämmtlich fortgejagt, weil sie nicht in dänischer Sprache predigen und nicht das Kirchengebet in der neuen Lesart sprechen wollten. Zwei nur haben wir behalten, es ist der Pastor Juhl in Töstrup und Pastor Röhs in Caleby. Auf die inständigste Bitte der Bauern ihres Kirchspieles, zu bleiben und sich dem Lande zu erhalten, ließen sie sich bewegen, das Kirchengebet in der neuen Lesart zu sprechen, und beten jetzt „für unsern König“. Und nun schickte man uns fast ohne Ausnahme das nichtsnutzigste Gesindel aus Kopenhagen, Säufer, Spieler, Trunkenbolde, liederliche Subjecte, welche nur ein Lebensprincip haben, sich mit ihren fetten Pfarreien zu mästen und ein reiches Wohlleben zu führen, Menschen ohne Gottesfurcht, ohne Bildung und ohne Kenntnisse, ohne Kenntniß unserer Sprache. Sie wissen ja ohnedem, es ist mit dem Studium der Theologie in Kopenhagen nicht weit her. Bloßes Auswendiglernen und Einpaukerei!“

„Ich weiß darum; sprechen Sie weiter!“

„Nun geht kein Mensch mehr zur Kirche. Die Bauern wollen die Prediger, welche sie ihres Wandels und ihrer Unwissenheit wegen so verachten, auch nicht mehr in der deutschen Predigt hören. In manchen Kirchspielen Angelns weiß man Sonntags nicht mehr, ob dänischer oder deutscher Sonntag ist. Wenn unser Volk nicht einen so bedeutend sittlich-religiösen Kern in sich trüge, so wäre es lange moralisch zu Grunde gegangen. Oft predigen die Pfarrer nur vor dem Küster und den Schulkindern, welche in der wörtlichen Bedeutung des Wortes in die Kirche getrieben werden. Zuweilen muß er aber auch von der Kanzel heruntersteigen, und der Küster schließt dann die Kirche, weil auch die Kinder nicht in die Kirche zu bringen sind. Es versteht ja auch Niemand Etwas von der dänischen Predigt. So ist es dem Pastor Hartnack in Norderbrarup häufig ergangen. Er versteht gar kein Deutsch und ist vollkommen unfähig. Neulich kam er in die Schenke und wollte einen Häring essen. Er war nicht im Stande sich in deutscher Sprache auszudrücken, ob er ihn geräuchert oder gepökelt wolle. Endlich brachte man ihm Beide. Kennen Sie seine berüchtigte Leichenrede? Er sprach: „Da liegt er in sein schwarzes Kiste, Ihr habt ihm gekennt, aber ich habe ihm nicht gekennt! Amen.“ So war es wörtlich; Sie können aus diesen Worten die Bildungsstufe ermessen, worauf der Mann steht. Da war ein Pastor Hansen in Kappeln, der Vorgänger des jetzigen Pastor Thieß. Er war ein Säufer und Betr–. Endlich hat sich die Regierung denn doch genöthigt gesehen, ihn wegen seiner Unthaten zu entfernen. Erkundigen Sie sich in Kappeln im Hähn’schen Wirthshaus. Dort sind mit ihm Scenen von Völlerei vorgekommen, welche so ekelhaft sind, daß ich sie nicht erzählen mag.“

„Und die Schullehrer in Angeln?“

„Es ist in Dänemark, wie Sie wahrscheinlich wissen, kein Ueberfluß an Schulmeistern, wie an Candidaten des Predigtamtes. Es kommt der dänischen Regierung aber auch nur auf Verbreitung der dänischen Sprache in Angeln an, nicht auf Verbreitung der Bildung. So hat man uns die unwissendsten Kerle geschickt, welche bei unseren Knechten in die Schule gehen könnten, Menschen, welche früher zuweilen Matrosen oder Soldaten waren, welche sich in Angeln nur damit beschäftigen, den Kindern Gesangbuchsverse nach der Melodie des „tappern Landsoldaten“ einzuüben, zu fluchen, zu saufen und zu spielen. Da ist ein Lehrer Petersen in Moor-Kirchholz – erkundigen Sie sich in Kappeln – er spielt und trinkt Morgens mit den Schweinetreibern im Wirthshaus, er dient der Polizei als Spion, er sperrt die Kinder bei Wasser und Brod ein, und prügelt sie, daß es entsetzlich ist. Alle Versuche der Bauern der Gemeinde Boel, bei der Visitation eine Untersuchung gegen den Menschen zu veranlassen und ihn aus dem Amte zu entfernen, sind bis jetzt vergeblich gewesen. Da ist ein zweites ähnliches Subject in Maaßholm, den seine Gemeinde der größten Unsittlichkeit beschuldigt. Es ist nicht möglich, ihn zu entfernen.“ [1]

Am andern Morgen standen wir vor dem nahe bei dem Hofe gelegenen Posthause. Ich wollte nach Kappeln fahren. Der Postwagen kam. er war besetzt. Drei Angeler Landleute saßen darin und ein hübsches, junges Mädchen in städtischer Kleidung. Die Pferde wurden gewechselt. Die Landleute traten so lange in die Stube. Ich fragte sie, ob sie mich als überzähligen Passagier bis zur nächsten Station mitnehmen wollten, wo die Postverwaltung verpflichtet sei, mir Wagen und Pferde zu stellen.

Sie sahen mich mißtrauisch an und verwiesen mich an den Postillon.

Auch der Postillon machte ein mißtrauisches Gesicht und nahm meinen Freund in eine Ecke.

„Wer is de Hähr?“ hörte ich fragen. „De is wohl uht Berlin?“

Mein Freund nickte.

„Geht nich!“ rief der Postillon. „Ick tho et nich!“

Damit war die Verhandlung zu Ende.

„Sie sehen, Sie sind hier Persona ingrata im Lande. Der Postillon vermuthet, daß Sie umherreisen, um das Land zu besuchen, und das will die dänische Regierung absolut nicht. Warten Sie! In zehn Minuten wird mein Wagen vor der Thüre stehen. Mit meinen Pferden überholen Sie die langsamen Postgäule bis zur nächsten Station um eine halbe Stunde.“

Die drei Landleute stiegen in den Wagen, nicht ohne nochmals einen mißtrauischen Blick auf mich zu werfen. Der Wagen

  1. Hr. Moritz Busch, der im Jahre 1855 Angeln bereiste, fand dort ganz dieselben Zustände. S. Schleswig-Holstein’sche Briefe von M. Busch. Verlag von Gustav Mayer in Leipzig. S. ferner: Die Wahlen zur schleswig’schen Stände-Versammlung im Jahre 1860. Hamburg, 1861.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_665.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2022)