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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 43.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Unter Fremden.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius

Ein finsterer, schwerer Himmel lag über der Häusermasse der amerikanischen Stadt, daß die Gaslichter in den endlosen schnurgeraden Straßen kaum ihren nächsten Umkreis zu erhellen vermochten und die dunkeln, schweigenden Gebäude in unerkennbare Fernen hinauf zu wachsen schienen. Es war schon spät; nur dann und wann noch klang durch die Stille ein verschwindendes Wagengerassel oder das Lachen einer verspätet heimkehrenden lustigen Gesellschaft, während in langen Zwischenräumen raschen Schritts ein einzelner Fußgänger, vorsichtig sich von den Häusern entfernt haltend, den Seitenweg entlang eilte.

Da bog um die Ecke einer der breiten Straßen eine dicht verschleierte weibliche Gestalt, hielt scheu ihren Schritt an und schien auf ein ihr nachfolgendes Geräusch zu horchen, um dann fliegenden Schrittes und scheinbar unbekümmert um die eingeschlagene Richtung den sich vor ihr aufthuenden Weg zu verfolgen, und erst als sich ihrem Auge ein noch erleuchtetes Kellerlocal gezeigt und sie einen Blick durch die unverhüllten Fenster geworfen hatte, blieb sie stehen, athemschöpfend und dann wie unentschlossen bald durch die erhellten Scheiben, bald in die einsame Straße hineinblickend.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Glasthür des Locals, um eine kräftige, untersetzte Figur in langer Schößenjacke und groben, leinenen Beinkleidern, die sich in den Schäften der starken Stiefeln verloren, hindurch zu lassen. Pfeifend schritt der Mann die kurze, steinerne Treppe hinan und prallte hier leicht vor der Frauengestalt zurück, welche einen raschen Schritt nach dem Eingange gethan hatte.

„Um Gotteswillen, Sir,“ begann die Letztere in geläufigem Englisch, ihren Schleier halb zurückschlagend, „können Sie mir nicht sagen, wo das Unionhotel ist? Ich habe mich in der Stadt verloren und finde Niemand, der mich zurechtweist.“

Der Angeredete maß die Sprecherin einen Augenblick vom Kopfe bis zu den Füßen, und ein eigenthümliches Lächeln glitt dann über das derbe, noch jugendliche Gesicht. „Verstehe verdammt schlecht Englisch, Miß,“ sagte er, „und nach Ihrem Unionhotel werden Sie wohl wo anders suchen müssen, als hier. ’s ist übrigens schon ziemlich spät dazu!“

„O, so verstehen Sie Deutsch!“ rief sie eifrig, in ein reines Hochdeutsch überspringend, als habe sie nur den ersten Theil seiner Antwort vernommen, und schien jetzt erst aufmerksamer die Gestalt des vor ihr Stehenden zu überfliegen, „ich möchte Sie herzlich bitten, nur eine kurze Strecke mit mir zu gehen, bis ich nicht mehr fehlen kann; ich bin schon mit Mühe nur den größten Unannehmlichkeiten aus dem Wege gegangen.“

„Kenne das, Kind!“ erwiderte der Andere, mit einem halben Lachen sich zum Gehen wendend, „solche Unannehmlichkeiten passiren eben nur nach Zwölf. Es thut mir ordentlich leid, daß Sie so hübsch deutsch sprechen können!“

„Noch einen einzigen Augenblick,“ rief die Fremde, welcher plötzlich der Sinn der erhaltenen Antworten klar geworden zu sein schien, während es sichtlich wie ein nervöses Zittern ihren Körper überlief, „ist nicht eine Frau hier unten?“

„Eine Frau?“ erwiderte der junge Mann, sich, wie von ihrem Tone betroffen, zurückwendend und nochmals ihre ganze Erscheinung musternd, die trotz ihrer Einfachheit eine tadellose Eleganz zeigte, „eine Frau ist nicht hier, aber wollen Sie mir wohl sagen, was Sie so spät auf der Straße zu thun gehabt? – es ist kaum eine Zeit zum gemüthlichen Spazierengehen!“

„Mein Gott,“ erwiderte Jene, als dränge sie gewaltsam einen Thränenstrom zurück, und schlug den Rest ihres Schleiers bei Seite, „ich bin vor einer Viertel- oder einer halben Stunde, ich weiß es selbst kaum mehr, mit dem Dampfboote angekommen und habe den Gepäckmann, der mich nach dem Unionhotel führen sollte, in der Dunkelheit verloren; nachher ist mir von mehreren Männern der Weg vertreten worden, ich habe mich in eine Nebenstraße geflüchtet und geglaubt, irgendwo einen Schutz zu finden, die Menschen haben aber meine Spur nicht verlassen, bis ich alle Richtung verloren –“ sie hielt inne, als wolle die Erinnerung ihre Fassung überwältigen.

Der Mann warf einen prüfenden Blick in das schwarzumrahmte bleiche Gesicht, in welchem die innere Erregung noch im Kampfe mit der äußern Controle zuckte, und trat einen halben Schritt näher. „Well, Miß, so habe ich wohl eine Dummheit gemacht, und nichts für ungut!“ sagte er zögernd, „bei der Nacht hat sich aber der Mensch vor Fledermäusen zu hüten! – Unionhotel!“ setzte er hinzu, mit der Hand unter seinen grauen Filzhut fahrend, „wenn Gott nicht besser weiß, als ich, wo es ist, so sieht es schlimm mit ihm aus, und nebenbei,“ fuhr er fort, einen plötzlich niedergefallenen Regentropfen von der Hand schleudernd, „wird’s keine fünf Minuten dauern, so bekommen wir ein Bad ohne Bestellung, wenn wir bis dahin nicht ein Unterkommen für Sie finden können. Gleich um die zweite Ecke von hier ist etwas wie ein Hotel, freilich nicht sehr vornehm; ich denke aber, es wird Ihnen wenigstens ein reinliches Nachtquartier geben.“

„Aber mein ganzes Gepäck ist nach dem Unionhotel gegangen!“ unterbrach sie ihn unschlüssig.

„Nun, morgen giebt es hoffentlich noch einmal einen Tag,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_673.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)