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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

vor der Mitte“ – urtheilt der Eine; „Ach Gott bewahre, ein großes Stück hinter der Mitte,“ meint ein Andrer, und Beide haben in ihrer Art Recht.

Man betrachte nur Fig. 4, und es wird in die Augen springen, daß die Größe der Kugel allein schon die Ursache wird, warum scheinbar das oben ausgesprochene Gesetz des Abschlags seine Gültigkeit verliert. Es liegt nämlich der Punkt des Anschlages an die Bande, wenn die Kugel BA in der Richtung nach U hinrollt, nicht in U (wie es nur für eine unendlich kleine Kugel der Fall sein würde), sondern der Punkt B der Kugel trifft bereits in N die Bande. Prallt sie nun unter demselben Winkel wieder ab, so ist natürlich, daß sie rechts vom König vorbei gehen muß und zwar um so weiter, je größer ihr Durchmesser ist, je weiter also der Punkt N von U entfernt liegt. Man müßte also nach einem Punkte zielen, der um so viel wenigstens hinter U liegt, als N nach vorn zu gelegen ist. In Folge einer optischen Täuschung hält man außerdem auch die nach vorn zu liegende Hälfte der Bahn für länger, als die andere, und man wird also um so mehr hinter der scheinbaren Mitte erst den Anschlagspunkt zu suchen haben.

Andererseits kommt dagegen in Betracht, daß die Kugel, sobald sie an die Bande anschlägt, eine Reibung und dadurch die Veranlassung zu einer Drehung erleidet, in Folge deren sie an der Bande hinlaufen möchte. Der Punkt B wird an N einen Augenblick festgehalten, die gegenüberliegende Seite A dagegen drängt nach vorwärts, und die Kugel fängt an sich von rechts nach links zu drehen, als ob sie an der Bande hinlaufen wollte, und ihre Bahn, wie eine Bogenkugel, nach links zu legen. Dadurch erleidet das Gesetz vom Abschlag elastischer Kugeln eine Abänderung; der Abschlagswinkel wird immer kleiner als der Anschlagswinkel und zwar um so mehr, je größer die Kugel und je größer die sie bewegende Kraft ist, und man müßte also, wenn man allein darauf Rücksicht zu nehmen hätte, vor der Mitte anecken. Durch eine entsprechende Drehung mit der Hand kann man diese Abweichung natürlich vergrößern oder verringern, und Mancher, der gegen sich in den unnatürlichsten Grimm verfällt, weil er seine Kugeln nicht von der Bande losbekommen kann, braucht sie beim Schieben nur nach der entgegengesetzten Seite zu drehen.

Es muß ganz natürlich erscheinen, daß bei der Concurrenz so verschiedener wichtiger Bedingungen der Eine hier, der Andere dort aneckt, um denselben Kegel zu treffen, je nachdem er mit einer großen oder einer kleinen Kugel schiebt, je nachdem er viel oder wenig Kraft anwendet, je nachdem er sich über die Dimensionen der Bahn im Klaren ist, und seine Kugel bewußt oder unbewußt in der Hand dreht. Es wird jedem Kegelspieler Vergnügen gewähren, seine empirisch gefundene Methode sich nach dem Gesagten zu begründen; den Ungeübten werden diese Begriffe zwar nicht zu einem Kegelkünstler ersten Ranges machen, aber sie werden ihm die Erkenntniß der Ursachen seiner Ungeschicklichkeit erleichtern und ihm den Weg der Besserung bezeichnen.

Die Bewegung, der Lauf der Kugel ist aber noch nicht der Zweck des Kegelschiebens. Was nützt die schönste Kugel, wenn sie „n’ Ganzen“ oder höchstens „ein Paar“ nimmt, und der nächste Schieber mit seiner laienhaften Unsicherheit „Acht um den König“ und „Alle Neun“ hinlegt!

Die Kugel muß auch richtig in die Kegel hineingerathen, sie muß „greifen“ und möglichst lange in dem Kegelquarré sich herumbewegen. Trifft die Kugel den Kegel voll, gerade in der Verbindungslinie ihrer Mittelpunkte, so schleudert sie ihn vor sich her, ohne eine andere Bahn einzuschlagen. Ein augenscheinliches Beispiel einer solchen Vollkugel ist der sogenante „Stich“ oder „Hamburg“, Fig. 5. Wird dagegen ein Kegel seitlich getroffen, so schlägt die Kugel eben so ab, als ob sie an eine ebene Fläche, die

Stich.

man sich durch den Berührungspunkt gelegt denken kann, angeprallt wäre, und der Kegel fällt in der Richtung, die seinen Mittelpunkt mit dem Berührungspunkt verbindet.

Das Beispiel des feinsten Schnittes ist „der König aus der Mitte“, Fig. 6. Er kann nur durch eine Bogenkugel geschoben werden, die ihren Weg um den vordersten Kegel herum nimmt

König aus der Mitte.

und den König so fein trifft, daß er ganz leise auf die Seite fällt, und die dann selbst zwischen den beiden hintersten Kegeln durchgeht. Der König allein wird sehr selten geschoben. Auf dem geraden Wege und durch unverhüllte Kraft ist ihm nicht beizukommen, am ehesten fällt er noch durch Frauen, welchen ja immer das Schwerste unbewußt durch ihre Schwäche gelingt.

Um „alle Neune“ zu schieben ist es nothwendig, daß die Kugel bald voll die Kegel trifft, bald sie schneidet, und zwar so, daß die fallenden Kegel die stehenden dort mit umwerfen, wohin die Kugel auf ihrem Wege selbst nicht kommt. Eine Art, auf welche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_685.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)