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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 45.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Unter Fremden.

Aus dem deutsch amerikanischen Leben
Von Otto Ruppius
(Fortsetzung.)

„Sie haben bereits meine Schwester, sowie die Wirthschafterin kennen gelernt,“ fuhr Major Wood nach einer Pause fort; „Beide halten Ihr Erscheinen hier für einen Eingriff in ihre Rechte, und ich bin nicht dazu gemacht, um Frauen, die in anderer Beziehung ganz ihre Stellung ausfüllen mögen, zur Raison zu bringen. Können Sie Beide vermeiden, können Sie sich hier Ihre eigene Welt schaffen, so will ich meine Maßregeln danach treffen, daß Ihnen in keiner Beziehung etwas fehlen soll, Sie dürfen nur gegen Flora deshalb Ihre Wünsche äußern – im andern Falle aber versieht es sich, daß Ihnen jeden Tag der Austritt mit Beibehaltung Ihren ersten vierteljährlichen Gehaltes offen steht. Mich selbst werden Sie wenig sehen, da mich meine Geschäfte einen großen Teil meiner Zeit vom Hause fern halten, nöthigenfalls werden Sie sich aber durch Flora stets mit mir in Rapport setzen können.“ Er hob langsam den während des letzten Theils seiner Rede leicht gesenkten Kopf nach ihr, und in seinen Augen spielte ein Ausdruck von unsicherer Erwartung, der ganz verschieden von dem gewöhnlichen Charakter seines Blicks war und dem Mädchen eine größere Anhänglichkeit des Mannes an seine Kinder, als er wohl hatte zeigen wollen, zu verrathen schien.

„Ich werde thun, Sir, was in meinen Kräften steht,“ sagte sie mit der Wärme, welche im Augenblick ihren Entschluß beseelte, „und wenn sich dennoch die Unmöglichkeit eines solchen Verhältnisses herausstellen sollte, so sein Sie versichert, daß weder mein Herz noch mein guter Wille die Schuld daran tragen werden!“

Er blickte ihr zwei Secunden wie in halber Selbstvergessenheit in’s Auge, erhob sich dann aber rasch und wandte sich nach dem Schreibtisch zurück. „Gut, Miß, ich danke Ihnen!“ sagte er kurz, dort nach einer augenscheinlich bereit gelegten Banknote greifend, „nehmen Sie hiervon Ihren vierteljährlichen Gehalt und bestreiten Sie mit dem Uebrigen die Ausgaben, welche für die Kinder nöthig werden – berechnen wollen wir uns später einmal – und nun, bitte,“ schloß er, ihr die Hand reichend und die ihre mit einem kräftigen Drucke umschließend, „senden Sie mir Flora!“

Lucy glaubte die Selbstständigkeit ihres Denkens erst ganz wieder zu erlangen, als sie ihr Zimmer betreten. Die Kinder spectakelten in der Nebenstube, sie achtete indessen, nachdem sie die Mulattin weggesandt, im augenblicklichen Drange ihrer Gedanken nicht darauf und trat an’s Fenster. Die nächste Zukunft ihres Lebens war also festgestellt; was ihr aber, dem Major gegenüber, kaum beachtenswerth erschienen, daß sie sich hier ihre eigene Welt zu bilden habe, das wollte bei einem allgemeinen Blicke über ihre Lage eine ganz veränderte Färbung annehmen; es hieß doch nur, sie zu einer völligen Abgeschlossenheit und Einsamkeit, für wie lange wußte sie nicht, verdammen. Daß die Schwester des Majors ihr niemals den Entschluß zu bleiben, niemals ihr directes Verhandeln mit dem Hausherrn und ihre einzunehmende selbstständige Stellung, welche die Autorität Jener völlig bei Seite setzte, verzeihen werde, war ihr beim ersten Blicke, welchen sie in das graue Auge dieser Frau geworfen, klar geworden; daneben hatte ihr auch ihre rasche Auffassung der Dinge gesagt, daß sich ein Einfluß auf den Major nur durch die Kinder erreichen lasse, die nun in ihrer Hand waren – durch diese Frau allein aber wäre es ihr möglich geworden, zu einem irgend passenden Umgänge aus der Nachbarschaft zu gelangen, und so wenig sie auch bis jetzt auf viel Gesellschaft gegeben, so war sie doch jung, war für den Kreis gebildeter Menschen erzogen, und eine Art Sorge, ob sie werde ausführen können, was sie versprochen, überkam sie bei dem Bilde ihres künftigen abgeschlossenen Lebens. Sie hatte indessen einmal ihr Wort gegeben, und fast war es ihr, wenn sie an die letzten Momente ihres Gesprächs mit dem eigenthümlichen Manne dachte, als würde sie es, selbst jetzt, noch einmal geben.

Draußen schien eben Richard unter dem Aufschreien der kleinen Mädchen gymnastische Uebungen anzustellen, und Lucy warf von sich, was sich drückend auf ihre Seele gelegt, mit festem Sinne dem Beginne ihrer Wirksamkeit zueilend. –

Ein eigenthümliches Leben war es jedenfalls, was sich von da ab in dem Hause gestaltete. In den ersten Tagen hatte Lucy genug zu thun gefunden, um nicht auf ihre Umgebung viel achten zu müssen; die Garderobe der Kinder war einer genauen Durchsicht unterworfen worden, und Flora hatte auf ihren kaum geäußerten Wunsch zwei nähkundige Negermädchen herbeigebracht; dann mußte an den Beginn eines regelmäßigen Unterrichts gedacht werden, der jedenfalls schon einmal versucht worden war, da sich die zum Anfange nöthigen Bücher im Hause vorfanden – schon das Wort Unterricht aber hatte die Kinder, die nicht die angenehmsten Erinnerungen daran in sich tragen mochten, völlig rebellisch gemacht, und es bedurfte der ganzen Freundlichkeit und Mühe Lucy’s, um die alten Eindrücke zu verwischen. Als aber eine sichere Regelmäßigkeit in des Mädchens Tagewerk kam, erhielt sie mehr Augen für das, was um sie her vorging. Sie schien für die beiden Frauen im Hause durchaus nicht in der Welt zu sein. Keine achtete bei den nothwendigen einzelnen Begegnungen auch nur mit einem Blicke auf sie; ihr ernster Gruß, den sie niemals unterließ,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_705.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)