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Eine arabische Fantasia

Es war im Sommer des Jahres 1856, in den letzten Tagen des 40tägigen Ramadhan ober der mohammedanischen Fastenzeit, als ich, nach einer längeren Excursion in die nach der großen Sahara zu gelegenen äußersten Punkte der französischen Besitzungen in der Provinz Constantine, nach Biskra zurückkehrte. Schon bevor ich mit meiner aus Spahis bestehenden kleinen Escorte die Oasis, in welcher Biskra liegt, erreicht hatte, traf ich mit meinem alten Freunde, dem Kaïd von Biskra zusammen, der, von der Zeit meiner Ankunft durch meine Cameraden benachrichtigt, es sich nicht hatte nehmen lasten wollen, mir entgegenzureiten. Nachdem die üblichen, doch von beiden Seiten aufrichtigen und herzlichen Begrüßungen stattgefunden und der Kaïd seinen herrlichen arabischen Rappen neben meinem Grauschimmel nach einiger Mühe in ruhige Gangart gebracht hatte, erzählte er mir, während seine geübten Finger mit bewundernswerther Geschwindigkeit die so beliebte spanische Cigarette rollten, daß am letzten Tage des Ramadhan eine große Fantasia auf der Ebene vor dem Fort Saint-Germain abgehalten werden solle und daß der General Montauban zu dieser Festivität aus Constantine erwartet werde.

„– Also eine Fantasia?“ fragte ich; „und auf wessen Anregung?“

„– Auf die meinige,“ entgegnete Sidi-Soliman-bel-Hadj; „und eine noch unübertroffene,“ fügte er hinzu, indem er mit sichtlichem Behagen die aromatischen blauen Rauchwolken seiner feinen Cigarette beiden Nasenlöchern entströmen ließ. „Wollen Sie mir es glauben, Lieutenant,“ fuhr er nach einer kleinen Pause fort, „daß die Krieger und Reiter meines Stammes begierig sind, ihre Ueberlegenheit und Gewandtheit vor den Fremden (den Europäern) sowohl, als auch den Nachbarstämmen gegenüber geltend zu machen? Ich gebe Ihnen mein Wort, es wird etwas ganz Außerordentliches geleistet werden, und Sie selbst sollen eingestehen, daß Sie etwas Ueberraschenderes noch nicht gesehen. Uebermorgen ist der letzte Fasttag, die Fantasia beginnt um 8 Uhr früh, Abends mit Einbruch der Dunkelheit findet ein großes Feuerwerk statt und um 9 Uhr beginnt der Ball im Officier-Cercle. Nun, pas trop tôt,“ schloß der nicht allzustrenggläubige Muselmann seine Mittheilung, „nun wird man endlich wieder anfangen das Leben zu genießen.“

Sidi-Soliman, Kaïd von Biskra, war ein schöner, in der vollsten Manneskraft stehender Araber, sehr reich, sehr in Gunst beim General-Gouverneur, energisch in seinem Handeln, streng, doch gerecht gegen seine Untergebenen und ein entschiedener Freigeist. „Wenn der Prophet.“ sagte er oft, „den Château-Margaux, den Château-Lafitte, den Cliquot u. s. w. gekannt hätte, er würde ihn seinen Gläubigen nicht verboten haben. Nehmen wir daher an, sein Verbot rührt eben blos von dieser Unkenntniß her, und thun wir dem edlen Safte, den Gott hat für seine Menschenkinder werden lassen, möglichste Ehre an.“ Und er hatte einen exquisiten Weinkeller, der brave Kaïd, ich habe oft Gelegenheit gehabt ihn kennen zu lernen. Auch machte er kein Geheimniß aus dieser steten Uebertretung der Gesetze des Propheten; sie schadete auch dem großen Ansehen und dem noch größeren Einflüsse nicht, deren er bei seinen Glaubensgenossen sich erfreute. Und doch schmückten drei grüne Seidenquasten seinen Burnus, untrügliches Zeichen einer dreimaligen Pilgerfahrt nach dem Grabe des Propheten. Auch französisch sprach Sidi-Soliman, und zwar so fertig, daß nur wenig in seiner Aussprache den Nicht-Franzosen verrieth. Doch schwärmte er für Alles, was geeignet war den Ruhm und die Nationalität seines Volkes hervorzuheben, und deshalb bot er auch jetzt Alles auf, um seine „Fantasia“ so glänzend als möglich herzustellen.

„Was ist eine arabische Fantasia?“ wird der bei weitem größere Theil der verehrten Leser der Gartenlaube fragen. – Ich will versuchen, in Kürze ihnen ein Verständniß dessen zu geben, was der Araber unter diesem Worte begreift.

Der Araber – und vorzugsweise derjenige des französischen Algerien – kann sich kein öffentliches Fest, keine allgemeine Volksbelustigung oder Feier der Anwesenheit hoher und berühmter Gäste ohne eine solche Fantasia denken. Auf einem weiten, je nach den Umständen und Erfordernissen ebenen oder auf coupirtem Terrain belegenen Platze versammeln sich zahlreiche Reitertrupps in kriegerischer Rüstung und führen Kampfspiele, Scheingefechte, verwegene Reitkunststücke und Exercitien vor den Augen der Zuschauer aus. Eine erhöhte Tribüne, welche sich gewöhnlich im Centrum des Schauplatzes befindet und ringsumher einen freien Blick gewährt, dient zur Aufnahme der Ehrengäste und Notabilitäten, während die große Masse des schaulustigen Publikums in einem weiten Kreise den Platz umgiebt. Es ist selten, daß eine solche Fantasia ganz ohne Unglück, ja ohne Todesfälle abläuft; ja oft ist es vorgekommen, daß ein fanatischer oder hinterlistiger Bursche die Gelegenheit benutzte, um sich eines persönlichen Feindes zu entledigen. Doch nehmen wir unsere Erzählung wieder auf; sie wird am besten ein Bild einer solchen arabischen Festfeier geben.

Am frühen Morgen des vom Kaïd bezeichneten Tages strömten von allen Seiten größere und kleinere Trupps berittener Araber auf das Fort St.-Germain zu, welches, nur um einige hundert Schritte nördlich von dem eigentlichen Biskra belegen, Sitz der Militair-, Justiz- und Verwaltungsbehörden des Bezirks ist, deren obere Leitung sich in der Person eines Obersten vereinigte, welcher Chef des Kreises von Biskra, ich glaube des umfangreichsten von Algerien, ist. Doch nicht im Innern des Forts hielten die schwarzen, braunen und weißen Krieger ihre meist unansehnlichen, aber darum nicht minder ausgezeichneten Pferde an, sondern draußen, gegenüber dem nördlichen Eingangsthor des weitläufigen Forts, auf einem weiten, sandigen Platze, in dessen Mitte eine mit der französischen Tricolore gezierte kolossale Tribüne sich befand. Einige dieser Reitertrupps kamen weit her und hatten mehrere Tage gebraucht, um an ihren Bestimmungsort zu gelangen, andere hatten kaum tausend Schritte zurückzulegen gehabt.

Zu Fuß, in Begleitung des Kaïds und mehrerer Officiere unseres Bureau’s oder von den verschiedenen, im Fort garnisonirenden Truppentheilen, hatte ich mich früh schon auf den Weg gemacht. Wir wollten vor dem Beginn der Spiele die Contingente der verschiedenen Stämme in Augenschein nehmen. Der Kaïd ließ uns schlauerweise erst alle die nicht seinem Stamme angehörenden Pferde und Reiter besichtigen, und erst dann wurde uns das Glück zu Theil, seine eigenen, allerdings mehr imponirenden Leute zu sehen.

Wie traurig und unbeweglich stand die Mehrzahl der kleinen, dürren Pferde da, als wollten sie einschlafen ober drohten jeden Augenblick vor Erschöpfung umzusinken! Einer unserer Officiere, seit Kurzem erst in Afrika angekommen, machte eine hierauf bezügliche, halb spöttische Bemerkung. Schlau und verschmitzt lächelte Sidi-Soliman, und erst nach Beendigung der Besichtigung näherte er sich jenem Officier mit den französisch gesprochenen Worten: „Wenn es Ihnen gefällig ist, mein Herr, so sagen Sie mir Ihre Meinung über diese Pferde nach der Fantasia.“ – Und ihn weiter keines Wortes würdigend, noch seine Antwort abwartend, führte er uns nach der großen Tribüne, wo auch bald der Divisions-General und Commandeur der Provinz anlangte, welcher expreß aus dem neun Tagesmärsche entfernten Constantine zu dieser Feierlichkeit eingetroffen war, gefolgt von seinem Stabe, allen Officieren, welche nicht durch den Dienst behindert waren, und was sonst an Standespersonen augenblicklich anwesend war. Auch ein reicher Damenflor nahm auf den vordersten Plätzen der Tribüne Platz.

Nun endlich begann die Fantasia. In geschlossenen Reihen defilirten zunächst die sämmtlichen Trupps, je nach ihren verschiedenen Stämmen geordnet. Die Einen waren mit der langen orientalischen Flinte, Andere mit langen Lanzen, wieder Andere nur mit dem arabischen Schwerte bewaffnet. Der Kleidung nach ließen sich die Stämme ebenfalls leicht unterscheiden. Da sah man die braun- und schwarzgestreiften Burnusse der Beduinen, die schneeweißen des Stammes Beni-Otta, die schwarzen und dunkelbraunen der Gebirgsvölker von der tunesischen Grenze und die weißen, jedoch schmutzigen der nomadisirenden Araber; endlich kam auch ein Trupp ohne Burnusse: es waren Kabylen, braune, dürre, jedoch markige Gestalten, einen schmutzigen rothen Fez auf dem kahl geschorenen Kopfe, ein Haïk (Hemde) auf dem Leibe, welches, ohne Aermel und nur leicht in der Schulter- und Halsgegend zusammengeheftet, den kräftigen, muskulösen Arm unbekleidet sehen ließ; dieses Hemd und ein weites, unter dem Kniee geschürztes orientalisches Beinkleid von weißem Baumwollenstoff werden zusammen durch eine bunte, bald seidene, bald wollene Schärpe um die Taille gehalten. In dieser Schärpe stecken kurze Waffen aller

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_727.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)