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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 47.   1861.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Bombardement von Schärding.

Von Herm. Schmid.
(Fortsetzung)


„Unsere eigene Audienz bei Kaiser Franz war sehr kurz; denn er war sehr pressirt und unten wurde schon der Wagen angespannt, um weiter zu reisen. Er ermunterte uns, wir sollten „halt getrost sein, es werde Alles recht werden.“ Damit entließ er uns, und das war auch der Bescheid, den er im Wegfahren mit beiden Händen winkend dem Volke zurief, das sich um den Wagen drängte und in leicht erklärlicher Besorgniß bat, uns nicht zu verlassen.

Wenige Tage darauf ging die Hauptarmee unter dem Erzherzog Karl als Generalissimus über den Inn und rückte auf allen Punkten in Baiern ein. Auch durch Schärding ging es Tag und Nacht über das Brückenthor hinaus, und wer die endlosen Züge von Infanterie, Cavallerie, von Geschützen und Wagen aller Art sah, der konnte wohl hoffen, daß eine so ungeheuere Rüstung nicht erfolglos bleiben werde. Ueberdies war an allen Ecken die Proclamation des Erzherzogs Karl angeschlagen und ermuthigte alle Herzen durch den muthigen, kriegerischen Geist, der daraus hervor wehte. Sie war „an die deutsche Nation“ gerichtet, und wer da las: „Unsere Sache ist die Sache Deutschlands! Seid unsrer Achtung werth! Nur der Deutsche, der sich selbst vergißt, ist unser Feind“ … der mußte hoffen, daß dieser Aufruf zur Einigkeit von den deutschen Völkern nicht werde überhört werden. Wer hätte damals für möglich gehalten, daß derselbe Kriegsheld, der so feurige Worte sprach, in nicht ganz einem Jahre dem feindlichen Kaiser die eigene Schwester als Braut zuführen würde! Wer hätte geglaubt, daß die Deutschen noch einmal sich selber zerfleischen würden! Und doch kam Alles so – gerade wie auf dem Theater, wo die Sache auch meist einen ganz andern Ausgang nimmt, als es Anfangs den Anschein hat – der Unterschied zwischen der Welt- und der Breter-Komödie ist blos der, daß in jener Blut und Thränen wirklich und wahrhaft vergossen werden, während man sie hier glücklicher Weise mit der Schminke wieder abwischen und trocknen kann. –

Es stand nur wenige Tage an, so kamen schon die Hiobsposten und so schnell nacheinander, daß man kaum Zeit hatte, dazwischen gehörig Athem zu schöpfen. Napoleon, den man in Spanien festgehalten geglaubt hatte, war in vier Tagen herbeigeflogen, und hatte er auch nur wenige Franzosen um sich – die Deutschen in unbegreiflicher schmachvoller Verblendung ließen sich von ihm gegen die eigenen Brüder führen. „Ich bin nicht als Kaiser der Franzosen zu Euch gekommen,“ sagte er zu den Baiern, Würtembergern und andern Rheinbündlern vor Regensburg. „Ich bin nur als Beschützer Eures Landes und des rheinischen Bundes in Eurer Mitte. Kein Franzose ist unter Euch! Ihr allein sollt die Oesterreicher schlagen!“ Kronprinz Ludwig von Baiern mußte die Rede verdollmetschen – und sie schlugen gegen einander. Deutsche gegen Deutsche, dem Franzosenkaiser zu Gefallen. Die Schlachten von Thann, Abensberg, Eckmühl entschieden den Rückzug der österreichischen Armee – der Weg nach Wien lag offen, und bald hielt Napoleon dort seinen Einzug.

Wir überzeugten uns bald durch den Augenschein von der Wahrheit dieser Nachrichten. Kein Tag verging, an dem nicht versprengte Schaaren in aller Hast über die Innbrücke hereindrängten, gehetzt und zerfetzt, zum Theil ohne Waffen, zum Theil mit Trümmern, Alles bunt wie in einem Sieb durcheinander gewürfelt. Dazwischen kamen Wagen mit leichter Verwundeten, und jeder Trupp brachte die Nachricht, daß die Franzosen in Eilmärschen heranrückten und ihnen auf der Ferse seien. Obwohl Niemand wußte, wie es uns in der nächsten Stunde selbst ergehen würde, war doch Alles wetteifernd bereit, die armen, erschöpften Leute zu stärken und ihnen dies und das für ihren weitern Marsch zuzustecken. Ich habe es da wie oft bei anderer Gelegenheit erfahren, wie sehr der Mensch geneigt ist, seines Gleichen im Unglück zu bedauern und zu unterstützen; aber im Grunde steckt doch der Schelm dahinter. Der Mensch ist dabei immer eigensüchtig; fremdes Leid rührt ihn nur, so lang es wirklich ein fremdes ist; sobald es ihn mit trifft, ist das Mitleid verraucht, und der Gedanke und die Sorge für das liebe Ich bleibt als schmutziger Bodensatz allein zurück. Aber auch das ist nicht immer wahr; manchmal giebt es doch ein Herz, dessen Fibern blos dazu vorhanden sind, um wie die Saiten einer Aeolsharfe nur von äußerem Anhauch zu beben und zu tönen, für sich selber aber starr und stumm zu sein.

Ein solches Herz hatte ein Trainsoldat, den ich unter den Flüchtigen bemerkte. Es war ein unbedeutender Bursche, der mir unter der Schaar kaum aufgefallen wäre, wenn er nicht einen Andern unterm Arme geführt hätte, einen großen, schwarzgelben Burschen von einem slavonischen Regiment. Der Führer war unverletzt und flink auf den Beinen, aber der Geführte hatte einen Prellschuß an’s Knie bekommen, der ihn anfangs nicht viel belästigt haben mochte, unterwegs aber sich zu einem sehr schmerzhaften Uebel ausgebildet hatte, das dem armen Menschen den Gebrauch des Fußes und damit das Gehen ohne Beihülfe unmöglich machte. Er hatte aus irgend einem Grunde auf keinem der Wagen Platz bekommen und hätte also allein und um so hülfloser liegen bleiben müssen, als er nur sein slavonisch Kauderwelsch zu reden wußte. Der Trainsoldat, der an ihm vorüber kam, konnte es aber nicht über’s Herz bringen, ihn so am Wege liegen zu lassen;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_737.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)