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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

er blieb zurück und wurde der Führer und Krückenstock des Halblahmen. Im Städtchen mußte er mit ihm liegen bleiben, um dem Erschöpften Ruhe zu gönnen, aber als die Franzosen einrückten, galt es, sich wieder auf die drei gesunden Beine zu machen, die Beide mit einander hatten. Dem Trainsoldaten wäre es da ein leichtes gewesen, seinen größern Antheil aus der ungleichen Verbindung zurückzuziehen und sich das Leben zu retten; aber er wich nicht von seinem jammernden Gefährten, mit dem er einmal Halbpart gemacht hatte. So hinkten sie denn zusammen aus dem Thore und kamen zusammen nicht weit. Als ich nach einigen Tagen des selben Weges kam, lagen Beide todt mit zerhauenen Köpfen im Straßengraben, und der treue Trainsoldat hielt den Arm des Slavoniers so fest, als wenn sie Beide nur schliefen und er nach dem Aufwachen sein Führeramt gleich wieder antreten müßte.

Endlich hörten die Durchzüge auf, eine Handvoll Grenzer unter General Dedovich faßten in der Stadt mit ein paar Feldschlangen Posto, die nicht viel besser waren als große Schlüsselbüchsen. Die Innbrücke war kaum abgeworfen, als es am andern Ufer schon lebendig ward und bald darauf, wie unabsehbar, von Uniformen und Waffen durcheinander wimmelte und blitzte. Es war Massena mit seinem ganzen Corps und einer solchen Uebermacht, daß jeder Widerstand hinter den wurmstichigen Mauern und Thürmen eine Thorheit gewesen wäre. Da Dedovich dennoch mit solchen Gedanken umzugehen schien, eilte die geängstigte Bürgerschaft zu ihm und suchte ihn davon abzubringen. Der wollte aber nichts davon hören, und so gingen die Parlamentäre zwischen den beiden Ufern hin und her bis zum Nachmittag. Die Franzosen drüben waren indessen nicht müßig, sondern marschirten und zogen hin und her, als hätten sie irgend was Großes im Sinn. Nachmittags gegen vier Uhr war ich eben auf das flache Dach des Landgerichtsgebäudes gestiegen, weil man von dort aus das ganze jenseitige Innufer übersehen konnte. Die Franzosen waren nun ruhig und standen, soweit die Stadt reichte, gegenüber in einer langen, langen Reihe, wie unbeweglich. Das Einzige, was sich rührte, waren einige Feldjäger und Adjutanten, die hin und her liefen und ritten. Ein Parlamentär, der das weiße Fähnlein in der Hand hielt, sprengte gegen die Innbrücke vor. Es galt offenbar, die Stadt noch ein letztes Mal zur Uebergabe aufzufordern. Mir ward ordentlich schwer um’s Herz, denn zum ersten Male dachte ich so recht heiß daran, was uns Allen und den Meinigen mit bevorstünde, wenn es zu Feindseligkeiten kommen würde. Bis dahin war kein Zweifel in mir aufgestiegen, daß es mit einer friedlichen Uebergabe und mit den deshalb geminderten Drangsalen eines feindlichen Durchzuges abgehen werde.

Unwillkürlich wandte ich mich wie zu meiner eigenen Beruhigung ab und sah über die Dächer in der Richtung hin, wo das Haus lag, das wir bewohnten. Im angenehmen Gegensatze zu der feindlichen Unruhe da drüben stieg der wohlbekannte Giebel ruhig und friedlich in den kühlen, aber heitern Aprilhimmel empor, und über demselben hing wie ein leichtes Kränzchen eine gekräuselte Rauchwolke. Sie verkündete mir, daß das die Stunde sei, in der meine gute, liebe Katharina die Kinder alle mit etwas Obst und einem Stückchen Brod, sich selbst aber mit einem Schälchen Kaffee regalirte. Verlockt von den schwebenden Rauchringen ließ ich meine Phantasie durch den dunkeln Schornstein bis in die trauliche Wohnstube hinuntergleiten. Da saßen sie Alle in dem behaglichen, wohleingerichteten Raume, vergnügt, gesund und sorgenlos, und ich wollte mich eben im Geiste mitten unter ihnen niederlassen – da weckte mich ein Schuß aus meiner Verzückung und setzte mich aus dem weichen Wolkenwagen ziemlich unsanft auf den derben Boden der Wirklichkeit nieder. Ich wendete mich nach dem feindlichen Ufer – und sah den französischen Dragoner, der als Parlamentär vorgeritten war, sich noch einen Augenblick schwankend im Sattel halten und im nächsten mit schwerem Fall von dem bäumenden Schimmel herabstürzen. Ich schrie laut auf und streckte die Arme aus, als wenn ich im Stande gewesen wäre, den Gefallenen wieder aufzuheben, der regungslos liegen blieb, während der Gaul an der Fronte hinabjagte. Man hat nie erfahren können, welche boshafte oder unüberlegte Hand den unglückseligen Schuß losgebrannt hatte; es hätte auch nichts genutzt, denn er war gefallen, und wer es gethan, der hat wohl auch ungekannt die ärgste Strafe in sich selbst herumgetragen. Die Wirkung davon war so rasch, als auf einen Ruf der Wiederhall von den Bergen zurückkommt – in einem Nu schwenkte die ganze Reihe in Abtheilungen nach innen und ließ eine ebenso lange Linie von Geschützen aller Art sichtbar werden, die also schon für alle Fälle dahinter aufgestellt gewesen war. Ich sah, wie die Kanoniere die Lunten bewegten, und mein unfreiwilliger Angstruf verhallte in dem krachenden Gebrüll, das mit einem Male losbrach, als wenn die Erde einen Sprung bekommen hätte. Zugleich hörte ich auf allen Seiten um mich herum, wie von den einschlagenden Kugeln die Balken krachten und das Mauerwerk splitterte. Aus der Tiefe der Straßen scholl der Schreckensruf der so entsetzlich enttäuschten Einwohnerschaft herauf, ein Schrei, so wild und kreischend, daß ich den Ton nicht vergessen würde und wenn ich noch einmal siebzig Jahre alt würde. Instinctmäßig hatte ich mich der Stadt zugewendet und sah den Gipfel unseres Wohnhauses halb eingestürzt. War ich bis dahin verblüfft gewesen, so gab mich dieser Anblick mir selbst wieder und damit auch die alte Freudigkeit des Gemüthes. „Die Deinigen bedürfen Deiner,“ rief’s in mir; „Du bist der Mittelpunkt ihres Daseins! Was soll aus ihnen werden, wenn auch Dir der Kopf dreht und Du das Herz nicht auf der rechten Stelle behältst?“ Wie eine gedrückte Uhrfeder richtete sich mein ganzes Inneres schnellkräftig auf, und diese Schnellkraft theilte sich auch meinen Beinen mit, denn ich weiß heute noch nicht, wie ich die thurmhohen Stiegen des Landgerichtsgebäudes herunterkam. Hier standen alle Thüren sperrangelweit auf und zeigten nichts als leere Zimmer, aus denen Alles in wilder Eile geflohen war. Auch ich hielt mich nicht länger auf, als nöthig war, um das große, eichene Hofthor des Eingangs hinter mir in’s Schloß zu werfen. Mit einem Satze stand ich dann unter der gegenüber liegenden offnen Säulenhalle des Rathhauses, von wo ich die Straße und meine Wohnung übersehen konnte. Es war eine erbauliche Lage. Während das Ohr von dem Gebrüll der fast ununterbrochenen Schüsse nicht zur Ruhe kam, hatte die Gasse das Ansehen, wie bei starkem Platzregen, wenn die Tropfen so heftig auffallen, daß sie wieder in die Höhe springen. So rutschten, hüpften und pfiffen die Kugeln auf dem Pflaster umher; groß und klein, ganz und halb ausgewachsen. Die Franzosen trieben wahren Luxus mit den eisernen Bällen, die sie uns im muthwilligen Spiele auf die Köpfe warfen. Die Wirkung zeigte sich überall. Dort klirrten Fenster, hier polterte eine zusammenstürzende Wand, auf der einen Seite krachten und brachen die stärksten Dachbalken wie Besenstiele, und auf der andern schlug das grelle Kreischen empor, mit welchem eine zitternde Familie die eisernen Gäste begrüßte. Staub wirbelte empor, und an manchen Stellen zeigten schwarze qualmende Rauchwolken das Herannahen eines noch schlimmeren Feindes – des Feuers. Ueber all dem Getöse und durch das Kanoniren hindurch wimmerten und klangen auf den angeschossenen Kirchthürmen die Glocken, als wären sie die Stimmen und das Schmerzensgeschrei derselben.

Gegenüber unter der Thür meines Wohnhauses sah ich die Meinigen alle miteinander stehen; zwar verwirrt und betroffen, aber wohlbehalten. Ich sah Katharina, Constanze, sah meinen Hans, der eben vor ein paar Tagen von Kremsmünster in die Osterferien gekommen war, sah die Kleinern alle und rief ihnen zu getrost zu sein. „Mir ist nichts geschehen,“ rief ich, denn ich sah wohl, daß sie deshalb unter der Thüre standen, um nach mir auszusehen. Sie hatten mich bald ebenfalls erblickt und da sie sahen, daß ich Anstalt machte, über die kugelbesäete Gasse zu ihnen zu kommen, da riefen und winkten sie mir ab, denn es war in der That wahrscheinlicher, daß ich zehn Mal getroffen würde, ehe ich einmal hinüberkam. Ich ließ mich aber nicht irre machen, denn in der Rathhaushalle und unter der Hausthüre konnten wir beiderseits doch nicht immer stehen bleiben. Ich paßte also ab, wie gerade wieder eine recht tüchtige Bescheerung auf die Steine niedergeprasselt war. Nun, dacht’ ich, müssen die Kanoniere doch Athem schöpfen und wieder laden, und mehr als einige Secunden bedarf ich nicht, um hinüber zu kommen. Ich begann also meinen Marsch, ungefähr in der Weise, wie ich einmal gelesen habe, daß der Eiertanz getanzt wird, nur mit dem Unterschied, daß ich nicht zwischen Eiern, sondern zwischen Kugeln ging und daß sie nicht blos ruhig am Boden lagen, sondern in allerlei anmuthigen Bewegungen darauf herumsprangen und mir die Tanzmelodie vorpfiffen.

Dennoch kam ich unversehrt hinüber und landete in den Armen der Liebe, wie ein zweiter Leander, freilich ohne die Anwartschaft, so oft besungen zu werden, wie jener. Es war ein Wiedersehen eigener Art; mein Weib fiel mir weinend an’s Herz, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_738.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)