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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

nicht seine Besonderheiten, seine Specialsitten hätte! Namentlich ist Wien in dem bezahlten Lobhudeleigeschäft schon ziemlich weit vorgeschritten und einige der größern Zeitungen schämen sich gar nicht, bestimmte Preise für Reclamen über dem Redactionsstrich zu fordern.

Wenn der größere Theil des Pariser Publicums, um bekannt zu werden, zu Journalen seine Zuflucht nehmen muß, so sind diese ihrerseits gezwungen, einige tausend Quadratschuh Wand zu miethen und sich durch den Pinsel eines Malers dem Publicum vorzustellen. Das ruft die gemalte Mauerreclame in’s Leben. Doch nicht dem Journalismus allein steht dieser Riesenweg in die Öffentlichkeit offen – es kann ihn betreten, wem’s überhaupt auf einige tausend Franken nicht ankommt. Denn man glaube nur ja nicht, daß etwa der Eigenthümer einer solchen Wand die Malereien darauf als Dinge betrachtet, die seinem Hause zur Zierde gereichen könnten. Bewahre! wer sich weigert, für den Quadratschuh Raum den Satz von dessen ungedrucktem Tarife zu entrichten, kann seine Reclame anderwärts aufführen lassen.

Die vielen riesigen Intelligenzblätter, die in der Seinestadt in Gestalt von siebenstöckigen, buntschimmernden Mauerwänden in die Lüfte ragen, bilden ein eigenes – industrielles – Pariser Blaubuch. Examiniren wir davon das erste beste!

Hoch oben im letzten Plan erinnert ein Zahnarzt mit ellenlangen goldenen Lettern an die Gebrechlichkeit der menschlichen Kauwerkzeuge. Im zweiten Plan von oben findet ein Ehemann Stoff, Betrachtungen über das Wetterwendische der Launen seiner modesüchtigen Frau anzustellen; derselbe enthält ein riesiges Modebild mit der Unterschrift: „Modewaaren“. Daneben figurirt mit schwarzen Buchstaben auf rothem Grunde ein Spirituosenhändler, der das Problem gelöst hat, Liebhabern des materiellen Spiritualismus echten Jamaicarum zu 1 Fr. 50, ausgezeichneten Cognac zu 1 Fr. 20 die Flasche zu liefern – von Bordeauxwein zu 12 Sous der Liter gar nicht zu reden. Das dritte Drittel dieses Planes nimmt ein Parfumeriewaarenhändler ein, gewiß nicht der erste seines Zeichens, der da behauptet, sein Rosenwasser, sein Vinegar, seine Seife sei bisher noch von nichts Aehnlichem übertroffen worden und besitze ausschließlich die Kraft des Verjüngens. Unter Modewaaren-, Spirituosen- und Parfümeriewaarenhändler macht sich eine Gesellschaft breit, die es à tout prix auf das Wohl der Menschheit abgesehen hat, da sie ihr das Pfund Chocolade zu dem erstaunlich billigen Preise von 24 Sous pr. Pfund (hört! hört!) anbietet. Basis der Chocolade, Parfümieriewaaren, Spirituosen, Moden und Zahnausreißerei ist ein gewaltiges Unding von Anzeige, das von einem modernen Naturkünstler (gemeiniglich Photograph) ausgeht, und Schön und Häßlich einladet, sich gegen Erlegung von 1–20 Frcs. und darüber conterfeien zu lassen. Zum Fundament der ganzen riesigen Blattseite aber hat ein Holz- und Kohlenhändler Anlaß gegeben, dem’s mit seinen Brennmaterialien so gut um Hitze und Einheizen zu thun ist wie dem marchand de vins en gros.

Aber auch die unermüdliche, Alles verschlingende Presse ist an den Pariser Mauerwänden vertreten. Dieselbe klammert sich mit ihren Erzeugnissen jedoch nur an Orte an, denen der Wille des Eigenthümers nicht das Schreckenswort „Defense d’afficher“ aufgestempelt hat, dieselben müßten denn schon allgemein interessanten, d. h. politischen Inhalts sein, wie z. B. eine Rede des Kaisers.

Auf einem solchen Felde entwickelt sich der Drang nach Oeffentlichkeit in erstaunlich rascher Weise. Wer einige Groschen für den Truck von Anschlagzetteln zu verausgaben hat, läßt solche drucken und möglichst an die neuesten Häusermauern anschlagen. Berühmte Aerzte, die ein neues Mittel entdeckt haben, den Bandwurm zu tödten; liebenswürdige Insectenpulverfabrikanten, die sich rühmen, Millionen von blutdürstigen Flöhen und Schwaben (Wiener Ausdruck) das Lebenslicht ausgeblasen und dafür diverse Medaillen bezogen zu haben; uneigennützige Schuh- und Stiefelfabrikanten, denen es einzig darum zu thun ist, ihre Mitmenschen bei warmen Füßen zu erhalten, und die für ein Spottgeld von sechs Thalern sich von einem Paar ihrer „Glanzledernen“ oder „Wasserdichten“ trennen; talentvolle Pianisten, die am Hofe Sr. Majestät So-und-so unter der Last der ihnen gespendeten Lorbeerkränze die Auszehrung bekommen haben und vor ihrem Ableben noch das Pariser Publicum beglücken und entzücken wollen; humangesinnte Handschuhmacher, die es sich zur Pflicht gemacht haben, die fashionable Welt stets neue Handschuhe besitzen zu lassen; Allerwelts-Sprachlehrer, die zehn Sprachen „loshaben“ und die leichteren darunter, wie die deutsche z. B., in 25 Lectionen mit derselben Leichtigkeit beibringen, mit der ein Arzt seinen Patienten einen Löffel voll Medicin einnehmen läßt; – doch wir würden nicht enden, wollten wir die intelligenten Geister, welche sich die Verschönerungsgelüste des Pariser Stadtregiments in solcher Weise zu Nutze machen, nur alle beim Namen nennen.

Verliert die gedruckte Mauerreclame schon Etwas von der majestätischen Haltung und „dignité“ der gemalten, so ist dies in einem noch weit höhern Grade der Fall mit der Gassenreclame. Die an allen Ecken und Enden von buckligen und andern Individuen mit und ohne Uniform an die Vorübergehenden ausgetheilten gedruckten Flugblättchen bilden zusammengethan ein Werkchen, das interessante Blicke in das industrielle und überhaupt das öffentliche Leben der französischen Hauptstadt thun läßt, zugleich aber auch die Chronique scandaleuse der Pariser Concurrenz genannt zu werden verdient.

Das bei Weitem überwiegende Element in dieser Chronik bilden die Reclamen der Manufacturisten. Diese Herren ziehen mit einer Todesverachtung gegen einander zu Felde, vor der selbst der Heldenmuth eines Don Quixote in den Hintergrund tritt. In Prosa und in Versen fliegen ihre Wurfgeschosse in die Welt hinein. Um ihre Absicht zu erreichen, bedienen sie sich der abgeschmacktesten und lächerlichsten Mißgriffe. Unter den pompösesten Namen kündigen sie sich auf ihren Prospecten dem Publicum an. Zum Köder ist ihnen nichts zu gering. Der Leser urtheile!

Das Haus „zum guten Teufel“ sagt wörtlich: „Wir geben einen vollständigen Anzug dem, der beweist, daß ein einziger von unsern Artikeln anderwärts weniger kostet!“ – Weiter unten auf demselben Prospect steht: „Wir glauben unserer Kundschaft eine Gefälligkeit zu erweisen, wenn wir ihr ein Volkslied mit in den Kauf geben, das uns von einem unserer Clienten zugeschickt worden.“ Den Refrain in diesem Volksliede bildet natürlich die Aufforderung: „Kauft, kauft beim guten Teufel!“

Da seine Gesellschaft sich aufgelöst hat, so ladet das Haus „zu den Sultaninnen“ die Pariser Damen ein, aus einer Wohlfeilheit Nutzen zu ziehen, die bis Dato noch nicht dagewesen. 50 (sage fünfzig) Procent Rabatt!! Wegen der großen Hitze findet der Verkauf nur von elf Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends statt! Wer zwischen den Zeilen zu lesen versieht, der lese!

In einem Geschäft der Chaussée d’Antin, wo 1/3 unter dem Einkaufspreise abgegeben wird, opfert man aus Liebe zum Publicum 150,000 Kaschmirshawls. Eine solche Opferbereitwilligkeit war selbst bei den alten Griechen und Römern nicht zu Hause.

Der uneigennützigste Mann von der Welt ist der Eigenthümer der „Indischen Ueberlandpost“. Nachdem er mit Fettschrift erklärt hat, daß sein Geschäft das einzige in Paris, welches indische Taschentücher verkaufe, wird er sogar erbötig, jeden Artikel, der aufgehört hat, zu gefallen, ohne Widerrede gegen einen andern wieder einzutauschen.

Schnürleibchen waren von jeher den Aerzten ein Dorn im Auge. Warum nicht gar! Madame Martin bietet den Damen Corsets, die gar keine Naht haben, nicht den mindesten Druck üben und (hört! hört!) den Namen der Kaiserin an der Stirn tragen. Was will man mehr!

In zweiter Linie machen sich die kleinern Restaurants breit. Tag aus, Tag ein regnet es in den Hauptstraßen von Paris, wo man geht und steht, Restaurant-Reclamen, vorzüglich aber in der Stunde, welche der Essenszeit vorhergeht; dann ist es aber auch eine wahre Sündfluth. Die Besitzer der „Petit Rocher de Cancale“ und anderer ähnlicher, zur Sättigung der Hungrigen beitragenden Eßanstalten versprechen ihren Gästen goldene Berge. Ein Mittagsessen zu 1 Fr. 75 Cent. (14 Silbergroschen) z. B. besteht aus einem Teller voll Suppe, einer Portion Rindfleisch, einem Zugericht, einem Gericht Gemüse, einer Portion Braten, einem Teller voll Salat, einer halben Flasche Wein und Brod nach Belieben. Ein armer Teufel, der sich durch den niedern Satz verleiten läßt, hinzugehen, verlangt und erhält auch der Reihe nach das auf der Reclame Verheißene. Aber in was für einem Zustande? Die Suppe – nicht versalzen, aber ohne Saft und Kraft – das Fleisch dürftig, trocken, kurz fabelhaft erschöpft – den Wein – um Gotteswillen, erlassen Sie mir die Analyse – –

Mein Hals, der stets ein Weincanal,
Verwandelt sich zu meiner Qual
In eine Wasserleitung!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_747.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)