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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sie wohl bald auf die Erlangung einer neuen, ihrer würdigen Lebensstellung hoffen. –

Es war am späten Nachmittag. Lucy war von der Wirthin des Hauses, dem ihr Beschützer sie zugeführt, mit einer Herzlichkeit aufgenommen worden, die ihr in ihrer augenblicklich ungewissen Lage doppelt wohl that, und die Erzählung des Gemüsehändlers von der Weise, mit welcher sie dem „Amerikaner“ ihre Stellung klar gemacht, war sichtlich nur dazu geschaffen, die Achtung der Frau vor ihr zu erhöhen. Beide schienen, einzelnen Aeußerungen nach, sie vor Allem die übele Aufnahme, welche sie bei ihrem ersten Eintritt in die Stadt gefunden, vergessen machen zu wollen. Es war ihr ein Zimmer zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer des jungen Ehepaars eingeräumt worden, und als endlich die mannigfachen Erkundigungen und Theilnahmsbezeigungen ihr Ende gefunden, hatte sich Lucy dahin zurückgezogen, sich in den Schaukelstuhl geworfen und überdachte, in den umzogenen Himmel vor ihrem Fenster blickend, ihre Lage und die nächsten für sie nothwendig werdenden Schritte.

Da klang ein Ton in dem anstoßenden Wohnzimmer, der wie elektrisch alle ihre Nerven berührte und sie aus ihrer bequemen Stellung aufschnellen ließ. Steif und mit angehaltenem Athem, alle Sinne in ihrem Ohre vereinigend, lauschte sie.

„Ich möchte Sie fragen, Sir,“ klang eine tiefe, sonore Stimme, und das war keine andere als die des Majors Wood – Lucy hätte nur eine Sylbe zu hören brauchen, um sie zu erkennen! – „ob Sie mir nicht sagen können, wohin sich die junge Dame gewandt, welche unter Ihrem Schutze mein Haus verlassen hat. Es ist mir von äußerster Wichtigkeit, sie noch einmal zu sprechen, und es liegt auch vielleicht in ihrem eigenen Interesse.“

„Mag wohl sein, Sir, daß es Ihnen von Wichtigkeit ist,“ ließ sich Reinert hören, „aber ich kann mir nicht denken, daß die Miß so schnell Ihr Haus geräumt und Sie in Unwissenheit über ihren Aufenthalt gelassen haben würde, wenn sie überhaupt noch Jemand aus Ihrer Gegend sprechen wollte. Ich denke, Sir, Sie lassen sie, wo sie ist, und machen ihr nicht mit Ihrer Anwesenheit neue Unannehmlichkeiten; sie hat deren schon genug gehabt, nur was ich mit angesehen –“

„Ich weiß es, Sir, wenn ich auch vor kaum einer Stunde erst davon in Kenntniß gesetzt wurde,“ folgte die drängende Antwort, „und ich bin nur gekommen, um ihr eine volle Genugthuung zu bieten. Seien Sie so freundlich, mir ihre Adresse anzugeben, und glauben Sie, daß Sie damit nur in Miß Hast’s Vortheile handeln.“

„Ich denke doch, wir lassen sie allein, Sir,“ erwiderte der Gemüsehändler in unzerstörbarer Ruhe, „ich habe genug gesehen, um zu wissen, um was es sich handelt, und glaube nicht, daß ihr mit neuen Auseinandersetzungen ein Gefalle geschehen kann.“

„Aber, Mann, Sie wollen doch nicht die Verantwortlichkeit auf sich nehmen, in eines Menschen Schicksal einzugreifen, wenn Ihnen gesagt wird, daß ein kurzes Gespräch von der höchsten Wichtigkeit ist?“ hörte Lucy des Majors fast leidenschaftliche Erwiderung, und sie wartete die Antwort ihres Landsmanns nicht ab. Mit einem ihr ganzes Innere durchlaufenden Beben, als stände sie vor der Entscheidung ihres Schicksals, erhob sie sich rasch und öffnete die Thür.

„Ich werde den Gentleman sprechen, Mr. Reinert,“ sagte sie, „er hat vielleicht das Recht, eine bestimmtere Erklärung, als ich sie zurücklassen konnte, von mir zu fordern. Uebrigens,“ setzte sie hinzu, ihrem etwas verdrießlich dreinschauenden Wirth die Hand reichend, „danke ich Ihnen herzlich für Ihre wohlgemeinte Sorge!“

Der Angeredete zuckte die Achseln. „Sie haben Ihren freien Willen, Miß, und ich werde Sie allein lassen,“ sagte er deutsch, sich nach der Thür wendend; „denken Sie aber nur daran, was mit den Amerikanern bis jetzt für Sie herausgekommen ist!“

Wood war bei ihrem Eintritt überrascht einen halben Schritt zurückgetreten und hielt jetzt, während das Mädchen mit einem gepreßten: „Setzen Sie sich, Major!“ einen Stuhl herbeirückte und sich selbst niederließ, die Augen wie in tiefem Forschen auf ihre bleichen gehaltenen Züge geheftet.

„Ich danke Gott, Miß,“ begann er, langsam den gebotenen Platz einnehmend, ohne eine innere Bewegung ganz verdecken zu können, „daß ich zeitig genug nach Hause kam, um Sie noch heute aufsuchen zu können; nachdem Ihr Fingerweis mich in den Stand gesetzt, eine volle Einsicht in die Lage der Dinge zu erhalten. Ich komme nicht, Miß, um Sie zu bitten, in Ihr altes Verhältniß zurück zu kehren, ich sehe ein, daß es keine Genugthuung giebt, die Sie dazu bestimmen könnte; aber ich möchte Sie fragen: Sind Sie wirklich mit blutendem Herzen gegangen, wie Sie mir schrieben? nehmen Sie so viel Theil an den Kindern, daß eben nur Ihre angetastete Ehre Sie vermögen konnte, ihnen wieder die Mutter zu entziehen? – und vor Allem eine Frage,“ fuhr er fort, den Blick tief und fest in ihr zitterndes Auge senkend, „bin ich Ihnen wohl selbst etwas geworden in der kurzen Zeit unseres Zusammenseins, so daß die Kraft, welche Sie allen Kränkungen entgegensetzten, nicht nur allein dem Gefühle für die einmal übernommenen Pflichten entsprang?“

„Major!“ rief sie, noch tiefer erbleichend, und wollte sich von ihrem Stuhle erheben, er aber hatte fest ihre Hand ergriffen und hielt sie zurück.

„Halt, Lucy,“ sagte er, „Sie sind kein gewöhnliches Mädchen, das in einer entscheidenden Stunde nicht frei zu einem Manne reden dürfte; wären Sie es, so sähen Sie mich nicht hier mit dem Gefühle, das ich Ihnen frei eingestehe, als sei mir das beste Gut meines Lebens verloren gegangen. Antworten Sie mir gerade und offen: Können Sie sich entschließen, den Kindern eine Mutter für Ihr ganzes Leben zu sein und mich mit dem, was in mir gut und schlecht sein mag, in den Kauf zu nehmen? Ich habe keine andere Genugthuung für Sie, wie für mich selbst, Lucy! Morgen steht mein Haus einsam, denn ich habe es von seinen bisherigen Regentinnen gesäubert – es war das Geringste, was ich für Ihre und meine eigene Ehre thun konnte, und daß die Nachbarn Ihnen volle Gerechtigkeit geben werden, dafür haben Sie selbst besser gesorgt, als Sie es vielleicht wissen. Sprechen Sie, Lucy!“ drängte er, ihre Hand zwischen der seinigen pressend, als sie ihn wortlos, mit seltsam unbeweglichen Zügen anstarrte.

In dem Mädchen aber war es bei seinen Worten aufgegangen, wie ein unendliches Glück, das doch nicht für sie in der Welt sein könne; was in ihr gelebt, seit sie ihre Stellung angetreten und sie über alle Kränkungen hinweggehoben, ihr selbst ein Räthsel, trat mit einem Male in voller Klarheit aus seiner Verborgenheit – die Liebe zu dem Manne vor ihr; was dieser aber sprach, kam so plötzlich, so überwältigend für sie, daß sie meinte, darunter erliegen zu müssen, und als er sie drängte: „Sprechen Sie, Lucy!“ fühlte sie, daß sie es nicht vermochte, es ward dunkel vor ihren Augen, und nur noch wie im Traume fühlte sie seinen Handdruck.

Als sie aber wieder ihrer Sinne mächtig ward, fand sie sich in seinen Armen, blickte sie in sein Auge, das bei ihrem Erwachen wie in vollem Glücke aufleuchtete, hörte sie seine tiefe, wohlthuende Stimme: „Ich wußte es ja, daß es so kommen mußte; hatten wir uns denn nicht beim ersten Blicke schon erkannt?“ –

Es war spät Abends. Draußen goß der Regen herab, wie am ersten Abend, an welchem Lucy eine Zuflucht in demselben Hause gefunden, und wieder lag sie mit wachen Augen in ihrem Bette und verfolgte das Geräusch der fallenden Tropfen auf dem Pflaster der Straße, wieder beobachtete sie die zitternden Streifen des Gaslichtes, welches von außen an die Wände ihres Zimmers fiel; aber heute ruhte sie auf den weichsten Kissen, welche im Hause sich hatten auftreiben lassen, der Regen trommelte einen Siegesmarsch, welcher ein hundertfältiges Echo des Glücks in ihrer Seele hervorrief, und an der Wand meinte sie lachende, tollende Kindergestalten sich entgegenblicken zu sehen. Und wieder stiegen einzelne Bilder aus ihrer erregten Seele vor ihr auf. Es war eine wunderliche Scene gewesen, als der Major den jungen Hauswirth herbeigerufen und gesagt: „Ich heiße Wood, Sir, wie Sie vielleicht wissen werden, und dieses hier wird morgen, wenn uns Gott das Leben schenkt, Mistreß Wood sein, die ich Ihnen auf Leib und Leben anempfehle, bis ich sie abholen werde!“ Der Eingetretene hatte erst, wie halb verdutzt, abwechselnd in die beiden Gesichter des Paares geblickt, dann aber dem Mädchen, wie in einer plötzlichen warmen Regung, die Hand entgegengestreckt und gerufen: „Meinetwegen, Miß, wenn Sie doch einmal nicht von den Amerikanern lassen können! Ich verstehe es nicht ganz, aber Jeder nach seiner Weise und tausendmal Glück! Sind Sie nicht zu meiner Hochzeit gekommen, so lade ich mich doch auf die Ihre ein, denn so halb und halb schein’ ich doch wohl selber dazu geholfen zu haben!“ – Und dann trat das Bild des Majors und jede einzelne Scene, die sie mit ihm durchlebt, vor ihren Geist; sie sah ihn wieder am Gartenhause stehen, und Mary’s Erscheinung stieg auf – jetzt hatte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_751.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)