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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Sie nahmen an der Kahlheit unseres Salons nicht nur keinen Anstoß, sondern fanden denselben und unsere Toilette hie und da noch zu luxuriös, und überzeugten uns praktisch, wie wenig davon ganz unentbehrlich ist.

Darüber mochte es Mittag geworden sein, und der ungestümste aller Mahner und Gläubiger, der Magen – hier in einem ansehnlichen Pluralis vertreten – begann seine Befriedigung immer dringender zu fordern. Als es etwas ruhiger geworden war, machte ich mich aus unserm Versteck heraus und ging auf’s Fouragiren aus. Bei der Bäuerin war wenig mehr zu haben, denn auch ihr waren Kisten, Kasten und Truhen geleert worden. Sie wischte sich die Augen mit dem Rücken der Hand aus – mit dem Schürzenzipfel konnte sie nicht, weil sie keine mehr besaß. „Geben kann ich Euch nichts,“ sagte sie, „Ihr müßt halt suchen, wo Ihr noch was findet!“ – Ich ging also mit Hansen auf Entdeckungsreisen aus und war so glücklich, einen Brodwecken zu erwischen, den ein Franzose im Uebermuthe wieder weggeworfen haben mußte, denn er lag seitwärts vom Wege im Schmutz. Hans war im Stadel herumgekrochen und hatte das improvisirte Nest einer Henne entdeckt, mit einer Anzahl Eier gefüllt. Damit war für den Hunger gesorgt; wie triumphirend kamen wir mit unserer Beute herbei, und im Augenblick hatten die Frauenzimmer wie in ruhiger Zeit das Geschäft übernommen, den Tisch zu beschicken. – Wie es nun immer geht, daß man sich mit dem, was man hat, nicht begnügen will, kam mir der Gedanke, daß wir die Eier ohne Salz essen sollten, und ich sprang daher nach der Küche hinüber, uns diesen Luxus zu verschaffen.

Damit aber war uns, oder wenigstens mir, die ganze Mahlzeit versalzen. Kaum setzte ich den Fuß aus der Küche wieder heraus, als mir der dicke Bierbrauer Waninger um den Hals fiel und mich an seine Brust oder eigentlich an seinen Bauch drückte, daß mir fast der Athem ausging. „Gott sei Dank!“ rief er dabei ein über das andere Mal, „Gott sei Dank, daß ich Sie antreffe, verehrtester Herr Controlor! Ich habe eine schwarze Henne zur heiligen Mutter Anna verlobt, wenn ich Sie finde!“ Mir ahnte schon nichts Gutes, denn hinter dem Dicken sah ich ein Piquet Grenadiere stehen, die er sich offenbar nicht aus Spaß zur Begleitung erbeten hatte. Ehe ich aber zu fragen vermochte, war ich vollständig aufgeklärt. „Der Marschall Massena ist unten in der Stadt,“ fuhr Waninger fort, indem ihm fortwährend die Thränen über die runden Backen kugelten. „Er ist beim Weißmannbräuer einquartiert und ist außer sich vor Wuth, daß Niemand von den Beamten aufzufinden ist. Er will den Maire haben, denn wir sollen Contribution zahlen, und wenn er in einer Stunde nicht gefunden ist, will er die Stadt der Erde gleich machen und Alles über die Klinge springen lassen. Ich Mann des Unglücks habe ein Wörtchen davon fallen lassen, daß ich Sie gestern Abends noch in der Stadt gesehen habe, und seitdem habe ich diese sechs Teufel hinter mir, die mich nicht eher loslassen, bis ich den Herrn Amtscontrolor zur Stelle geschafft habe.“ „Herr,“ fuhr ich auf ihn los, „für den Freundschaftsdienst danke Ihnen der Teufel! Was soll ich bei dem Marschall in der ausgeraubten und ausgebrannten Stadt? Sagen Sie nur um Himmelswillen, wie Sie mich ausgekundschaftet haben!“

„Ach, verehrlester Herr Controlor,“ entgegnete Waninger schluchzend, „werfen Sie deshalb keinen Groll auf mich – ich bin ja selbst nur ein willenloses Werkzeug! Auf die Spur aber hat mir Ihr isabellfarbener Ueberrock geholfen. Es trägt Niemand einen solchen in ganz Schärding, und wie ich in stiller Verzweiflung meine Grenadiere da auf’s Gerathewohl vor’s Thor hinaus spazieren führte, da kam mir ein Franzose mit Ihrem Ueberrock entgegen. Den ließ ich durch meine Schutzengel festhalten, bis er gebeichtet hatte, und aus seiner Beschreibung errieth ich bald, Sie könnten nach der Waitzenau geflüchtet sein. Aber nun kommen Sie nur – es hilft doch einmal nichts, also wollen wir immerhin zusammen in den sauren Apfel beißen!“

Dagegen ließ sich in der That nichts einwenden; auch hatten die Grenadiere bereits begriffen, daß ich der Gesuchte sei, und nahmen mich und Waninger in die Mitte, uns abzuführen. Mit knapper Noth gelang es mir, ihnen begreiflich zu machen, daß ich ohne Stiefel den nassen Weg in die Stadt nicht machen konnte; aber sie wußten Rath, und im Nu hatte ich ein Paar vollkommen wasserdichte Holzschuhe an den Füßen.

Inzwischen war den Meinigen mein langes Außenbleiben aufgefallen; sie suchten mich und kamen nun in weinendem Chore herangestürzt. Das war nun allerdings das Schwerste, was uns getroffen hatte, denn bis dahin waren wir noch Alle unversehrt und vereinigt geblieben. Zudem konnte man nicht wissen, ob und wann ich wiederkommen würde, denn es war nichts Seltenes, daß die Beamten aufgehoben und in entlegene Länder geschleppt wurden, von wo sie gar nicht mehr oder erst nach Jahren zum Vorschein kamen. Auch mir konnte ein solches Loos bestimmt sein; meine Katharina und die Kinder hingen daher an mir, als ob es einen Abschied für’s Leben gelte. Auch mir ging es sehr nahe und ich fühlte, wie mir die Thränen über das Herz herauf schwellen wollten, aber ich drängte sie mit dem Gedanken zurück, daß wir Alle untersinken würden, wenn nicht wenigstens ich den Kopf über dem Wasser behielte. „Beruhigt Euch,“ rief ich, „mir wird kein Leid geschehen! Ich fürchte mich vor dem Marschall nicht, und Ihr sehr nun erst, welch’ angesehener Mann Euer Vater ist, daß ihn ein so großer Herr wie eine Stecknadel suchen läßt. Und dann – so lange Alles drunter und drüber ging, war von Amt und Geschäft keine Rede mehr – aber nun ist Alles ruinirt, da haben wir hinterher vollauf zu thun, und es ist nur meine verfluchte Schuldigkeit, wenn ich gehe. Dabei kann es nie sehr weit gefehlt sein!“

Aber was ich sagte, wollte nicht verfangen, vielleicht weil man dem Redenden anhörte, daß ihm dabei auch nicht ganz wohl zu Muthe war. Zuletzt machten die Grenadiere der Sache ein Ende, indem sie mich und Waninger zum Aufbruch zwangen. Ich schritt mit einer Empfindung hinweg, die sich nur fühlen, nicht beschreiben läßt; aber ich winkte immer mit lachender Miene zurück, so lange ich die Meinigen sehen konnte. Die hingen an einander erstarrt wie ein Bienenschwarm, den beim ersten zu frühen Ausflug der Nachtfrost erreicht hat.

Eine halbe Stunde später schritten wir dem Weißmann’schen Brauhause zu, das so unversehrt dastand, als ob den Tag zuvor anstatt Kugeln Schneeflocken gefallen wären. Das kam aber daher, weil Marschall Massena, als er 1805 in Schärding war, in diesem Hause gewohnt hatte und von den Bräuersleuten, wie auch von der schönen Tochter überaus gut und freundlich bewirthet worden war. Dafür war er so artig und befahl den Kanonieren in diese Richtung nicht zu schießen. Dafür erhielten die übrigen Häuser die verdoppelte Ladung, aber Massena’s frühere Wohnung sammt dem Capuzinerkloster daneben blieb verschont.

Darum herum, im Hofe, im Erdgeschoße und auf den Treppen wimmelte es von Soldaten. Viele drängten sich an uns heran, während wir hindurch marschirten, verhöhnten uns und machten drohende Gebehrden. Ohne Zweifel hielten sie mich für einen Spion, der aufgeknüpft werden sollte, oder wohl gar für den Unglücklichen, der den verhängnisvollen Schuß auf den Parlamentär abgefeuert hatte. Oben auf der Treppe angelangt, wurden wir von unserer Escorte einem Adjutanten übergeben, der sogleich mit uns in den Saal eintrat und uns vor oder richtiger hinter den Marschall führte. Dieser saß an einem mit Karten und Papieren überdeckten Tische, eben beschäftigt, eine Flasche Rothwein zum Dejeuner zu leeren. Er wendete uns den Rücken zu, ich aber sah sein Angesicht in dem gegenüber angebrachten hohen Pfeilerspiegel. Als der Adjutant rapportirte „Monsiour l’a-djoint du maire de Schaerding,“ sah ich, daß der ausdrucksvolle, von dichtem schwarzem Haar umgebene Kopf plötzlich zinnoberroth und dann kirschbraun wurde vor Zorn. Indem der Marschall aufsprang, sah ich schon ein gewaltiges Ungewitter über mich ausbrechen, aber wie er sich umwandte und mich erblickte, zuckte es hell über das dunkele Gesicht, das einen wohl in Verwirrung setzen konnte durch die strengen Züge und das wilde, flackernde Auge. Er lachte und rief, ob das die Robe sei, in welcher hier zu Lande die Maires erschienen. Ich sah allerdings befremdlich aus, denn ich hatte nichts am Leibe als Hosen und Hemd, war barhäuptig, und die Holzschuhe vollendeten meine Toilette in würdiger Weise. Als mir Waninger, der das Französische nothdürftig ratebrechte, die Frage verdeutscht hatte, war all meine Befangenheit verschwunden. Ich verbeugte mich mit allem möglichen Anstande und erwiderte: „Nein, Herr Marschall, das ist die Uniform, die uns Ihr Kaiser hat anziehen lassen!“ Der Marschall schien auf meine Antwort gespannt, denn er blickte fest auf den dolmetschenten Bierbrauer, der aber keines Worten mächtig dastand und sich den Angstschweiß von der Stirn trocknete. „Aber um aller Heiligen willen, verehrtester Herr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_754.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)