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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

doch in ihrer Construction ein Volk, das den größten Theil des Tages unter freiem Himmel zuzubringen geneigt war. Nach der Straße zu findet sich immer ein ganz bescheidener Eingang, die Räumlichkeiten an beiden Seiten hatte der Hausherr gewöhnlich an Kaufleute, Krämer, Wirthe vermiethet, was ihm, nach den Wandinschriften zu urtheilen, einen guten Pfennig abgeworfen haben muß. Der Rest des Hauses erscheint, wie das Leben der Römer, in zwei Theile getheilt, einen öffentlichen und einen privaten. Im ersteren eine offene area von einem Säulengang umgeben, darin dann wieder ein oder mehrere Zimmer zum Warten und die Loge des Thürstehers; darauf das atrium, die Halle, wo der Patricier seine Clienten zu empfangen pflegte; die Wände sind mit Gemälden und Arabesken geziert, der Fußboden stets von Mosaik; an den Seiten zuweilen noch kleine Zimmer, alae, sowie Gemächer für Fremde, hospitia. Im zweiten, inneren Theil ist ein geräumiger, in der Mitte ganz freier Hof, peristylium, um den eine bedeckte Colonnade geht, die den doppelten Zweck erfüllt, zu den verschiedenen Zimmern zu führen und bei Regenwetter zur Promenade zu dienen. Hier finden wir den Garten, mit Statuen und einem Fischbehälter, die Wohn-, Schlaf- und Badezimmer und den Salon. Kein einziges dieser Häuser hat jedoch einen Kamin aufzuweisen, obschon man Kohlen vorgefunden hat; auch eigentliche Armenwohnungen fehlen bis jetzt ganz – sollte Pompeji keine Armen gehabt haben? – und ebenso Ställe oder Remisen; die Pferdeskelette, die man aufgefunden, lagen im Hofraum der Wirthshäuser. Die chirurgischen Instrumente deuten auf einen hohen Grad medicinischer Bildung, doch ist von einem Spital keine Spur. Künftige Ausgrabungen werden wohl ein Licht hierauf werfen.

Die Gräberstraße, welche den westlichen Ausläufer der Stadt bildet, hat einen durchaus römischen Charakter. Der vor dem Herculanumthor liegende Theil derselben bildet eine Art Vorstadt, wie es scheint, das aristokratische Viertel; hier ist die Villa des Diomedes, eine der größten Privatwohnungen, die eine reiche Ausbeute an Schmucksachen, Hausgeräthe, Statuetten, Gemälden und Münzen gegeben; zwei menschliche Skelette wurden bei der Gartenthüre, achtzehn andere, zum Theil mit goldenen Hals- und Armbändern, im Innern gefunden. Die geringe Anzahl der im Ganzen in Pompeji entdeckten Leichen läßt vermuthen, daß es den meisten Einwohnern gelang, sich zu retten. Auch deuten die vielen in die Mauern gehauenen Löcher darauf hin, daß die Bewohner durch dieselben in’s Freie gelangten, wenn man nicht jene Oeffnungen auf Rechnung späterer, interessirter Nachgrabungen schreiben will.

Mit Ausnahme weniger Frescogemälde, Amphoren, Statuetten u. s. f. sind alle hier gefundenen Sachen längst nach Neapel in’s Museo Borbonico gewandert, wohin auch heutzutage noch alle neu entdeckten Kunst- und Alterthumsschätze kommen, einschließlich sogar der Wandmalereien, die man mit ihrem Grund recht geschickt auszubrechen versteht.

Gegenüber der Villa des Diomedes ist ein Wirthshaus, und weiter hinauf, sowie jenseit des Thores, sind Grabdenkmäler der angesehensten Familien. Auch Cicero’s Villa, das Haus der Vestalinnen mit seinem gastlichen Salve an der Schwelle, dessen innere Verzierungen indessen nicht sehr vestalischer Natur sind, und ein Zollhaus sehen wir in dieser Straße. Besonders bemerkenswerth, außer den genannten Wohnungen, sind noch: das Haus des Sallust, des Pansa, des Centauren, die Schenke in der Mercuriusstraße und das höchst wichtige Haus des M. Lucretius. Die neuesten Ausgrabungen in der Nähe des großen Theaters haben noch mehrere sehr interessante Wohnungen mit gut erhaltenen Gemälden bloß gelegt.

Von den öffentlichen Gebäuden zieren die meisten die Südseite von Pompeji. An der Großartigkeit der Ausfassung, dem Reichthum und dem Kunstsinn in der Ausführung erkennen wir den großartigen, stets auf das Allgemeine gerichteten Sinn der Alten.

Von den Tempeln nennen wir nur den säulenreichen des Jupiter, aus Ziegelsteinen und Tuff errichtet; er wird an imposanter Schönheit nur übertroffen von dem Tempel der Venus, 150 Fuß Länge, bei 75 Fuß Breite, der von einem 12 Fuß breiten Porticus mit 48 dorisch-korinthischen Säulen umgeben ist; ferner den sogenannten griechischen, auch Neptun- oder Hercules-Tempel, das älteste Gebäude der Stadt, leider fast ganz zerstört; und den Tempel des Augustus oder das Pantheon, mit vielen Statuen und reichen Decorationen, aber auch mit einem Ueberfluß an Speisen und Getränken versehen, deren Ueberreste hier gefunden wurden. Ebenso deuten die culinarischen Wandgemälde stark darauf hin, daß hier zu Ehren der Götter zuweilen tapfer getafelt wurde. Das Iseon, oder aedes Isidis, weil der Isis-Cultus, gesetzlich verboten, nur geduldet werden konnte, ist besonders für Alterthumsforscher interessant; hier wurden viele Skelette gefunden, unter andern das eines Mannes, der sich mit dem Opferbeil durch zwei Mauern einen Weg gebahnt hatte und umkam, ehe er die dritte durchbrochen. Im Innern des Heiligthums steht ein langes, hohles Piedestal für Statuen, mit niedrigen Seitenthüren an der Treppe, durch welche der Priester ungesehen hinunterkriechen und dann seine Orakel geben konnte, als gingen sie von der Statue der Göttin aus.

In allen Priesterwohnungen fanden sich ansehnliche Summen Geldes, denn, sagt schon Euripides,

„das Pfaffenvolk war stets nach Gelde lüstern.“

Von nützlichen öffentlichen Gebäuden hat Pompeji eine große Zahl; da sind zwei Bäckereien, in denen Gefäße, Mulden, Korn und Mehl gefunden wurden; eine Musik-Akademie; ein städtisches Aerarium; ein Kornhaus mit den Normal-Maßen für Oel, Korn, Wein etc. – In einem Gefängniß fand man mehrere Skelette mit Ketten an den Füßen.

Ferner sind bemerkenswerth: das Senatshaus; das Forum mit seinen Statuen und Colonnaden, der größte und imposanteste Platz der Stadt; das dreieckige Forum; die öffentlichen Bäder (thermae) für beide Geschlechter, in denen wir die zweckmäßige, bequeme, luxuriöse Einrichtung bewundern müssen; die Basilika oder das Tribunal mit einem unterirdischen Gewölbe für die Verbrecher; ferner ein kleines Theater (Odeon) unt das große Theater. Letzteres konnte über 5000 Personen fassen; man unterscheidet deutlich das Parterre oder den privilegirten Platz, wo die Tribunen, Ritter und andere Vornehme ihren Sitz hatten; das Orchester mit den erhöhten bisellia für die höchsten Beamten; hinter dem Parterre amphitheatralisch aufsteigend die Sitze für die Plebejer; endlich hoch oben, „im Paradies“, nach Art unserer Logen von einander getrennt und durch dünne Eisengitter dem Blicke des Publicums entzogen, saßen die Frauen. Am Ostende der Stadt ist das Amphitheater, wie gewöhnlich in elliptischer Form (die größere Axe hat 430 Fuß), allerdings kleiner und weniger alt als das zu Santa Maria di Capua, doch besser erhalten; die Einrichtung ist noch jetzt deutlich zu erkennen. Nach genauer Berechnung hatten hier über 10,000 Personen Platz. Verbinden wir mit dieser Thatsache die Angabe des Dio Cassius, wonach die Bürger beim Ausbruch des Vesuv gerade im Amphitheater waren, so können wir uns den geringen Verlust an Menschenleben erklären. Der fallende Aschen- und Feuerregen schnitt ihnen den Rückweg in die dem Verderben geweihte Stadt ab, und sie konnten, nach Osten fliehend, sich retten.

Nahe bei dem großen Theater stand die Caserne, in der Waffen aller Art, Schmucksachen, Arm- und Halsbänder gefunden wurden. Letztere Gegenstände lassen unverkennbar auf Damenwelt schließen, die das Haus des Mars noch außer dessen Söhnen beherbergte. Von den 63 Skeletten, die in dieser Caserne ausgegraben wurden, lagen 34 an einem Thoreingange – vielleicht die Wache an jenem Unglückstage, die treu auf ihrem Posten verharrend den Tod fand.

Dies im Allgemeinen die Umrisse der Formen, wie die alte Stadt selber sie uns bietet. Aber Pompeji liegt nicht mehr ganz in Pompeji. Das neapolitanische Museum birgt einen Haupttheil, wir meinen seine Kunstschätze, seine Inschriften, seine Mosaikböden und seine Hausgeräthe. Um die Römerstadt vollständig zu verstehen und ganz zu genießen, ist es unbedingt nöthig, auch hier einige Stunden, ja, wenn man kann, mehrere Tage zu verweilen.

In sieben Sälen des museo borbonico Neapels (jetzt museo nazionale) sind die verschiedenen Geräthschaften, Schmucksachen und Waffen, und in mehreren Hallen und sonstigen Räumen die Gemälde und Statuen aufgestellt. Es würde zu weit führen, wollten wir mit unseren Lesern einen Gang durch all diese Dinge aus der alten Welt anstellen. Wie würde die weibliche Welt bewundernd anhalten vor den prachtvollen geschnittenen Steinen, vor den eleganten Schmucksachen in etruskischem Style und endlich vor den Ueberbleibseln, die Küche und Keller und Conditorladen der staunenden Nachwelt geliefert! Hier das zierlich gearbeitete Glasgefäß mit den eingemachten Früchten, da die zum Dessert reichlich aufgeschichteten Nüsse und Mandeln, hier wieder der achttheilige Kuchen mit dem Namen des Bäckers oben aufgedrückt, dort die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_775.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)