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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

mit in’s Auge. Er erblickt dann in dem Haushahn das Musterbild eines guten Familienvaters, in der fleißigen und unerschöpflichen Eierlieferantin seines Haushaltes, der Henne, zugleich eine treue, sich selbst verleugnende, mit Geduld und Ausdauer, mit Nachsicht und Zärtlichkeit begabte Mutter, in dem Küchlein das sich unter allen lebenden Geschöpfen verhältnißmäßig am raschesten entwickelnde und eins der reizendsten und possirlichsten, in dem Ei aber eines der größten Wunder der Welt. – Von dem letzt angedeuteten Standpunkte aus aufgefaßt, gebe ich meine Mittheilungen und beginne naturgemäß mit dem Ei.

Die erste Entstehung und Entwickelung desselben zu erklären, überlasse ich den gelehrten Naturforschern, ich halte das schon fertige, in’s irdische Dasein gerufene in der Hand und erblicke eine längliche Kugel, die sich kalt und hart wie ein Stein anfühlt. Allein ich weiß schon, daß diese Kugel inwendig hohl und die innere Seite der Schale mit einer weißen, weichen, ziemlich dicken Haut austapezirt ist, schon zur weichen Decke für das zarte Leben bestimmt, welches sich bald aus dieser kalten, harten Kugel entwickeln wird.

Der Raum, den die glatte Tapete umschließt, ist mit einer durchsichtigen, farblosen Flüssigkeit ausgefüllt, in deren Mitte eine etwas abgeplattete gelbe Kugel schwimmt. Diese Kugel besteht aus einer mehr verdickten Flüssigkeit, die durch eine sehr zarte Haut zusammengehalten wird, an deren einem Ende sich einige feine Blutgefäße und ein kleiner ausgekräuselter Faden zeigen, der seinerseits wieder noch mit einer trüben, schleimigen Masse überzogen ist.

Aus diesem unscheinbaren Fädchen entwickelt sich nun, wenn das Ei unter den gehörigen Wärmegrad gebracht wird, innerhalb des kurzen Zeitraumes von 21 Tagen ein lebendes Wesen, das nicht nur mit allen Sinnen und Lebensorganen, mit Eingeweiden für des Leibes Nahrung und Nothdurft, mit Knochen und Muskeln, mit Fleisch und Blut, sondern auch mit einem Herzen ausgestattet ist, das sich empfänglich zeigt für Freude und Genuß, für Leid und Verdruß. Ja selbst das Kleid bringt das Küchlein sich schon fertig mit auf die Welt, das bestimmt ist, es nicht nur zierlich zu schmücken, sondern auch gegen Nässe und Kälte auf das Beste zu schützen.

Schon am 19. Tage darf man die bebrüteten Eier nur vorsichtig in ein hinlänglich mit warmem Wasser gefülltes Gefäß legen, um sofort zu erfahren, welche unter ihnen lebende Küchlein in sich schließen. Denn diese beginnen alsbald sich zu drehen, auf- und abzuhüpfen, oder tanzend zu kreisen, während die unbefruchteten sich zwar oben schwimmend, aber doch gänzlich still verhalten, die verdorbenen aber sogleich zu Boten sinken. Diese kann man dann getrost wegwerfen, während man gut thut, diejenigen, die sich still verhielten, der Bruthenne doch noch wieder mit unterzulegen; denn oftmals ist ein Küchlein zu schwach, oder verspätet sich mit seinen Bewegungen.

Wenn nun aber die Zeit erfüllt ist, so beginnt das kleine Herz zu pulsiren, der Instinct regt sich unter der zarten Hirnschale, und das Küchlein beginnt mit seinem Schnäbelchen gegen die starken Wände seines Kerkers zu pochen, in welchen es jetzt noch als ein fest in einander verpackter nasser Klumpen ruht, den die Federn in der Gestalt von nassen Zwirnfäden zusammenzuhalten scheinen.

Endlich gelingt es dem noch so schwachen, aber emsig arbeitenden Thierchen, die äußere spröde Schale des Eies zu zersprengen, und es zeigt sich ein kleines Loch, das eine mäßiggroße Linse vollständig bedecken würde. Darunter aber zeigt sich jetzt noch die zähe und deshalb bei weitem schwieriger zu durchstoßende Haut. Indessen scheint es, als ob das Küchlein sich schon des hindurchdringenden Lichtes erfreue; denn obgleich noch gefangen, piept es schon fröhlich, ein Ton, auf den die Gluckhenne mit sichtlichem Stolze und froher Ueberraschung horcht.

Von diesem Augenblicke an beginnt sie sich auch schon ausschließlicher mit dem Ei zu beschäftigen. Mit Schnabel und Flügeln rückt sie dasselbe ihrem Herzen näher und ermuntert das Küchlein durch zärtlich lockendes Glucksen, sich die schwere Arbeit nicht verdrießen zu lassen. Jetzt scheinen die Kräfte desselben auch sichtlich zu wachsen, fort und fort hämmert das Schnäbelchen, und endlich ist das größte Hinderniß überwunden, es wird ein Riß in der Tapete bemerkbar. Nun kommen Flügel und Beinchen dem Schnabel auch bald zu Hülfe. Sie versuchen sich zu dehnen, sie stoßen und drängen, und während die Glucke dafür sorgte, daß die erste Oeffnung nach oben zu liegen kam, hat auch sie dem Küchlein sein schwieriges Unternehmen, so viel als ihr räthlich schien, erleichtert. Plötzlich zerbirst die Schale des Eies in zwei Hälften, nur das junge Leben ist nun völlig entfesselt. Doch nun auch todesmatt, versinkt das Küchlein sogleich in einen festen Schlaf, und schriebe ich ein Märchen nur nicht ein Stück. Naturgeschichte, so könnte ich durch eine Mittheilung dessen, was der Traum, dem Küchlein erzählt, die Leser noch eine Spalte lang unterhalten. Allein heute erzähle ich nur Wahres, Selbsterlebtes und Erforschtes, und so überlassen wir das Küchlein klüglich der höchst nothwendigen Ruhe, die es in wenigen Stunden für die neue Lebensperiode befähigt.

Wenn wir es nun wiedersahen, erkennen wir den nassen Klumpen nicht mehr. Die Augen blicken uns schon groß und verwundert und, obgleich noch etwas träumerisch, doch furchtlos an, und versuchen wir, es auf seine Füßchen zu stellen, vermag es schon, obgleich noch etwas schwankend, sich darauf zu erhalten. Auch sind die Federn nun völlig getrocknet und haben sich in einen weichen Flaum verwandelt, der das Küchlein, wie der schönste, feinste Pelz, vollständig, bis auf Schnabel, Augen und Beinchen einhüllt.

Doch immer noch blickt es matt und müde, starr und träumerisch vor sich hin, und versuchen wir das Schnäbelchen in ein Gefäß mit Milch zu tunken, so sträubt das kleine Geschöpf sich kräftig gegen dieses erste und beste Nahrungsmittel, das wir ihm reichen können. Dennoch haben wir ihm mit diesem Versuche schon den besten Dienst geleistet. Das vorher noch verklebte Schnäbelchen hat sich gelöst. Vielleicht ist auch auf homöopathische Weise etwas Milch auf die Zunge gelangt und hat den Sinn des Geschmacks geweckt, genug, wenn wir nach einigen Stunden das Manöver wiederholen, verschmäht unser Pflegling die Milch schon selten, ja, er hebt schon das Schnäbelchen hoch, um sie auf diese Weise in seine kleine Kehle zu befördern, und stellen wir ihn jetzt auf seine Füßchen, so vermag er nicht nur schon steif darauf zu stehen, sondern auch damit schon einige Schritte in die weite Welt zu thun. Wir müssen nun von Zeit zu Zeit den Versuch wiederholen, bis wir endlich uns und das Küchlein der nächtlichen Ruhe überlassen.

Am nächsten Morgen ist bei dem Küchlein vom Gehen nicht mehr die Rede, nun läuft es schon auf das Graciöseste umher, und wenn wir ihm jetzt hart gekochte und dann wieder zerkrümelte Eier, Grütze oder Brodkrumen hinstreuen, so pickt es schon darnach, und noch im Laufe dieses seines zweiten Lebenstages lernt es, sich ganz allein bei Speis und Trank zu bedienen.

Von diesem Tage an macht es überhaupt wahrhaft reißende Fortschritte in seiner Entwickelung. Als ein dreitägiger Knirps ist es schon muthwillig und neckt Mutter und Geschwister, indem es die erstere in Kamm und Augen zu beißen, den letzteren die zarten Daunen ihres Pelzes auszureißen versucht.

Nach acht Tagen kratzt nur scharrt es schon im Sande und sucht nach Futter so eifrig und geschickt wie die älteste Henne. Auch bemerken wir bei dieser Gelegenheit schon Zeichen der Klugheit und Gehorsam an ihm. Wir sehen es vielleicht mit Begierde über das Futter herfallen, das wir ihm stets reichlich spenden, als sich plötzlich die Henne in den Kopf setzt, dasselbe könne dem Küchlein schädlich sein. Sie läßt darauf einen Warnungsruf erschallen, den die Kleinen sogleich hören und verstehen. Sogleich lassen sie das schon mit dem Schnabel erfaßte Futter wieder fallen und vorsichtig, mit weit vorgestrecktem Halse. Verwunderung und Neugierde blicken lassend, treten sie alsbald davon zurück, es ruhig abwartend, ob die zur Prüfung des Futters herbeischreitende Mutter ihnen die Erlaubniß ertheilen wird, sich dem Genuße desselben hinzugeben. Gewöhnlich ist dies alsbald der Fall, indem die Glucke sich zuerst selbst bedient und dann lockend die gehorsamen Kinder aufmuntert, ihrem Beispiele zu folgen. Oftmals aber habe ich es auch erlebt, daß die Henne ihre junge Kinderschaar zusammenrief und sich so weit als möglich mit ihr von der Stelle entfernte, wo die ihr nicht paßlich scheinende Speise lag. Ob dies allemal seinen Grund in ihrer besseren Erkenntniß hatte, oder sie nur ihre mütterliche Autorität gegenüber meiner herrschaftlichen zeigen wollte, ist mir noch immer zweifelhaft geblieben, obgleich ich öfter dies Letztere glauben mußte.

Wieder einige Tage älter geworden, badet das Küchlein schon im Sande, indem es sich bald platt, bald von der Seite darauf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_779.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)