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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Schein, welche den Charakter der Sache weit bestimmter ausdrückt, als in der gewöhnlichen Wirklichkeit. Selbst bei Uebertreibungen in’s Phantastische kann die höhere, poetische Wahrheit, die Sprache der Natur und des Lebens auf’s Treueste wiedergegeben werden. In den Volks- und Kindermärchen finden wir daher trotz der naiven Caricaturen, welche Nebensachen sind, eine Wahrheit, welche rührend und ergreifend ist. Läßt sich der Künstler oder Dichter verleiten, aus Liebe zu seinen sorgfältigen Beobachtungen der Natur und des Lebens, oder aus Eitelkeit, um sein Geschick zu zeigen, die äußere Darstellung zu sehr zu bevorzugen, so geräth er in die realistische Richtung und kommt in Gefahr, durch Vernachlässigung der idealen Komposition platt und gewöhnlich zu werden, während der Idealismus, in’s andere Extrem fallend, seine innere Conception zur Geltung bringen will, ohne den Formen und Zügen der Natur in der Ausführung ihr Recht zu geben, wodurch er leicht rhetorisch, hohl und phrasenhaft wird. Die realistische Richtung in der Malerei und theatralischen Kunst der Gegenwart giebt, obgleich vielfach bewundert und gepriesen, deutlich Zeugniß von dieser einseitigen Geschmacksverirrung.

Bei einer der reizendsten keinen Dichtungen Goethe’s, dem „Fischer“ („das Wasser rauscht, das Wasser schwoll“ etc.), lassen sich, wie mir scheint, Idee, Ideal und Ausführung sehr leicht erkennen, daher ich dieselbe als erläuterndes Beispiel für jene Begriffe für sehr geeignet halte. Die Idee zu dieser Ballade scheint dem Dichter gegeben zu sein durch das unheimliche Gefühl, welches uns beim Bade in einem tiefen Flusse, ober beim Hinunterblicken von einer Brücke in einen rasch dahineilenden Strom ergreift. Die dämonische Gewalt des Elements, welches den Menschen verlockend zu sich hinab ziehen möchte, ist die ursprüngliche Stimmung, welche auch in der Ausführung, im Rhythmus, in Bild und Wortklang fortwährend, bald in süßen, bald in unheilvollen tiefen Tönen sich geltend macht. Die Erfindung ist einfach: das Bild ist ein Fischer, unbefangen („kühl bis an’s Herz hinan“), den die Wasserfrau mit zauberischen Worten und Bildern bethört und in die Tiefe zieht. Die Ausführung ist meisterhaft, man braucht sich nur diese Verse laut vorzulesen, um ihre Musik und die Sirenengewalt der Gesänge jenes „feuchten Weibes“ zu empfinden.

Goethe entnahm die Idee zu seinen Schöpfungen aus den Erscheinungen der Wirklichkeit, um sie vertiefend und verklärend poetisch zu gestalten. Schiller ging den entgegengesetzten Weg. Sein gewaltiger Geist, welcher sich nicht in dieser Weise an die Wirklichkeit hingeben konnte, schöpfte die Idee aus seinem innersten Leben und suchte dann erst – oft mühsam und mit Anstrengung – die passende Erfindung und Form. – –

Dies möge genügen über die Welt des Schönen, welche uns hinaushebt über die Gewöhnlichkeit, diese nothwendige Zugabe zum Leben der Sterblichen, die uns oft lästig, aber vielleicht noch öfter gefährlich wird, weil sie uns niederziehen will, wie die Nixe den armen Fischer, in den Tod des höheren geistigen Lebens.

Lauckhardt.


Blätter und Blüthen.


Geheimnißvoller Auswandererzug. Eine naturgeschichtliche Anfrage. Das Nachfolgende legen wir insbesondere den Männern der Naturwissenschaft zur Prüfung vor. Mitgetheilt wurde es uns von einem Kaufmann, der gegenwärtig in Mannheim lebt und der uns für die Wahrheit seiner Aussage eine Anzahl Zeugen genannt hat, deren Namen, wenn nöthig, veröffentlicht werden können. Wir lassen unsern Gewährsmann selbst reden.

Es war, schreibt er, im Jahr 1855. Ich wohnte mit meiner Frau in dem freundlichen Städtchen Donauwörth. Als ich einst von einer Reise zurückgekehrt war und mich müde zu Bett gelegt hatte, verspürte ich bald am ganzen Körper ein eigenthümliches, unausstehliches, beißendes Jucken oder vielmehr ein Brennen wie von Nesseln herrührend. Ich konnte nicht schlafen, stand auf und untersuchte mein Bett, weil ich mir dachte, ich könne wohl einen unwillkommenen Gast von der Reise mit heim gebracht haben. Da ich jedoch nirgends eine Spur von irgendwelchem Ungeziefer fand, so schob ich die Schuld meiner unheimlichen Belästigung auf irgend einen Körperausschlag und legte mich beruhigt wieder in mein Bett. Aber nach wenigen Augenblicken begann das unerträgliche Beißen von Neuem und dauerte in steigendem Maße fort. Müde und abgespannt erhob ich mich andern Morgens. Beim Untersuchen meines Körpers fand ich die Haut geröthet. Ich ließ sogleich die Bettlade auseinander legen und untersuchte wiederholt das ganze Bett, allein wiederum vergebens. Mittlerweile erschien der Arzt, Dr. P., der jetzt in Ichenhausen wohnt. Auch er war der Meinung, der Schmerz und die Röthung seien die Folgen eines flüchtigen Hautausschlages, der sich bald geben werde. Wirklich verschwand auch im Laufe des Tages das Jucken und die Röthe der Haut gänzlich.

Als es Zeit zum Schlafengehen war, freute ich mich herzlich darauf, das Versäumte der vorigen Nacht wieder nachzuholen. Müde und schlaftrunken sank ich in mein Bett – aber kaum hatte ich die Augen geschlossen, als das abscheuliche Jucken und Brennen am ganzen Körper von Neuem begann. Wiederum dieselbe Untersuchung des Bettes, dasselbe Resultat und abermals eine Nacht ohne Ruhe und Schlaf. Und wie diese zweite begann auch die dritte Nacht. Da sprang ich in wahrer Verzweiflung aus dem Bett, zündete drei Kerzen an und untersuchte wieder mein Lager von oben bis unten. Von dem, was ich suchte, konnte ich zwar auch diesmal keine Spur entdecken, jedoch fielen mir plötzlich auf dem Betttuch und dem Kopfkissen eigenthümliche in’s Graue spielende Streifen auf, die auf den ersten Blick als ein ganz dünner, durch Feuchtigkeit gebildeter Schimmel erschienen. Ich untersuchte die Streifen naher und näher. Da entdeckte ich zu meinem Entsetzen, daß dieser Schimmel sich bewegte und aus Millionen kleiner Insecten bestand, etwa in der Größe einer Stecknadelspitze. Jetzt erst bemerkte ich auch an meinem Körper und am Hemd eine unzählige Menge dieser Thierchen. Mein Hautausschlag war nun erklärt.

Sobald mein Herr Doctor erschienen war, gingen wir sogleich an eine mikroskopische Untersuchung der Schleimstreifen, und diese zeigte uns in den Thierchen eine Art Spinne, beinahe von der Gestalt einer Kreuzspinne. Wir forschten weiter. Wie sind die Thierchen in mein Bett gekommen? – Woher kommen sie? – Da sehe ich an der Tapete über meinem Bette einen etwa 2 Zoll breiten grauen Streifen, der hinauf bis an die Decke führt. Bei genauerem Beobachten erkennen wir in demselben eine Procession von abermals Millionen dieser Spinnchen. Wir stiegen auf einer Leiter bis zur Decke hinan, um zu entdecken, wo die saubere Wanderung hinführe. Sie ging an dem eisernen Kloben eines Schellenzugs durch die Mauer hindurch auf den Gang. Wir begaben uns auch dorthin und sahen nun, daß ein uns Allen sehr liebes – Schwalbennest hier gerade an der Stelle klebte, an welcher der Kloben wieder hervortrat. Dieses Schwalbennest hatten wir stets sehr sorgfältig gehütet und gehegt, weil wir uns so oft an dem Zwitschern und Ein- und Ausfliegen der muntern Vögelchen erfreuten.

Aber wie sah es nun in dem Nestchen aus? – Drei kalte, zum Theil schon halb verweste Schwälbchen lagen darin, umwimmelt von einer Legion dieser Spinnchen, welche ihren Auswanderungszug unaufhörlich nach meinem Zimmer und dem Bette zu fortsetzten. So war nun endlich die Heimath meiner Plagegeister aufgefunden.

Augenscheinlich ist, daß die armen, jungen Schwälbchen in Folge der massenhaften Zunahme ihrer Plagegeister zu Grunde gegangen und daß diese dann von Hunger getrieben waren, Ersatz bei bem nächsten warmblütigen lebenden Wesen zu suchen. Ob sie nun durch etwaige Feinheit ihrer Geruchsorgane oder ob sie durch den Zufall geleitet wurden, gleichviel, das Ziel ihrer Wanderung war mein Bett, weiter war ihr Zug nicht gekommen. Interessant ist noch, daß wir die Thierchen fast gar nicht vertilgen konnten; obgleich wir vier Tage lang alle Fugen des Zimmers verschlossen hatten und einen solchen Höllenschwefeldampf unterhielten, daß alle Fliegen todt an der Erde lagen, so blieb doch ein großer Theil des kleinen Ungeziefers an der Wand und in dem Bette lebendig. Erst nach Wochen war die letzte Spur desselben verschwunden und das Zimmer wieder bewohnbar.

Die Ungläubigkeit, mit welcher man diese meine Entdeckung überall aufnahm, wo man sich nicht, wie in Donauwörth, von der Wahrheit derselben mit eigenen Augen überzeugt hatte, deutet darauf hin, daß ähnliche Erscheinungen bei uns nur sehr selten vorkommen müssen. Ob dies in anderen Gegenden ebenso ist, oder ob es Gegenden giebt, wo diese Thierchen keine solche Seltenheit sind, darüber werden wohl die Männer vom Fach uns Auskunft geben.

W. F.


Herr von Beurmann ist glücklich in Kuka, der Hauptstadt von Bornu, angekommen. Das Gerücht von der Beraubung, wenn nicht Ermordung, des Reisenden ist durch einen Schwindler und Betrüger mit Namen Salemi, der seit acht Jahren unter Aufsicht der türkischen Polizei in Mursuk steht, von Bengasi aus verbreitet worden. Wir schenkten dem Gerücht von Haus aus keinen Glauben, da es aber durch die Zeitungen die Runde machte, durften wir es auch den Lesern der Gartenlaube nicht verschweigen. Indem wir über weiter eingegangene Beiträge zur Fortführung der v. Beurmann’schen Expedition quittiren, erneuern wir unsere Bitte an die verehrten Leser, dies echt deutsche Unternehmen, das aus humanem Pflichtgefühl und wissenschaftlichem Streben betrieben wird, durch weitere Beiträge zu unterstützen.

Vom Gewerbeverein zu Waldheim gingen ein durch den Vorstand, Herrn Rob. Müller, 5 Thlr. – von G. v. d. L. in W. 1 Thlr.

Leipzig, 26. December 1862.

Dr. Henry Lange.


Der getroffene Löwe. Alle Freunde des großen Garibaldi möchten wir auf einen in der Leipziger Modenzeitung erschienenen Stahlstich: „der verwundete Held von Aspremonte“, aufmerksam machen. Das sehr hübsch gestochene Bild stellt den Helden kurz nach dem unglücklichen Gefecht dar, das sorgenvolle Haupt in die Hand gestützt, das getroffene Bein in der Bandage auf einen Feldstuhl ausgestreckt. – Keine Nebenfigur stört den wirksamen Eindruck des Ganzen – der Heiland des italienischen Volkes sitzt im weiten Zelte allein mit seinem Kummer und seinen Schmerzen. Das Bild kostet nur 10 Ngr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_032.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2019)