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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Der Gartenlaube![1]
Von Friedrich Rückert.


Alle groß und klein,
Freunde, tretet ein!
Hier ist Lustverein;
Traulich girrt die Taube

5
In der Gartenlaube.


Nach des Tages Müh’n,
Nach der Sonne Glüh’n,
Ruhet aus im Grün!
Purpurn reift die Traube

10
An der Gartenlaube.


Des Geschäftes Drang
Rollt die Welt entlang;
Hier lockt Becherklang;
Fern vom Straßenstaube

15
Grünt die Gartenlaube.


Mag der Winter auch
Plündern Baum und Strauch,
Nie dem kalten Hauch
Fall’ ein Blatt zum Raube

20
Unsrer Gartenlaube.


Stets einhelliger
und geselliger,
Stets gefälliger,
Schattiger belaube

25
Sich die Gartenlaube!


Die Tochter des Fälschers.


Von Carl Heigel.
(Fortsetzung.)


Wieder läuteten die Glocken; das Kirchenthor entließ die Gemeinde, und in buntem Gewirr strömten Männer, Frauen, Bürger und Landleute über den Marktplatz. Amanda, von der Rede ihres Geliebten tief bewegt, mischte sich unter eine Schaar blühender Mädchen, die über Sonntagspläne lebhafte Debatten pflogen, und war bald der lautesten und fröhlichsten eine, ohne dabei die Kirchenthüre aus dem Aug’ zu verlieren, durch welche der junge Pastor kommen mußte. Denn Reinhold pflegte nach dem Gottesdienst die fürstliche Herrschaft zum Wagen oder bei heiterem Himmel auf’s Schloß zu geleiten.

Jeder kleinstädtische Marktplatz bietet an schönen Wintersonntagen nach der Predigt ein ebenso bewegtes als anmuthiges Bild. Der Schnee liegt glänzend und flimmernd auf den spitzen Giebeldächern der alten, wunderlichen Häuser, wie frischgewaschene Schlafmützen. Auch die Menschen sehen im Sonntagsputz frischer und zufriedener aus. Der Winterhauch giebt den Gesichtern gesunden Glanz; das Bewußtsein des freien Tages verleiht ihren Bewegungen eine größere Gemessenheit und Würde, ihre Rede ergeht sich breiter und behaglicher als im Drang der Werktage. Vor den Gasthäusern stehen die abgeschirrten Fuhrwerke benachbarter Forst- und Amtleute; diese selbst unterhalten sich auf dem Platz mit befreundeten Städtern, alle kennen sich und plaudern in gemüthlichen Gruppen über Zeitereignisse und Marktpreise. Die junge Männerwelt, die Provinzialdandies, stolz in vorjähriger Modekleidung, lugt nach den Mädchen, den zierlichen Beamtentöchtern und drallen Bürgerkindern. Arm in Arm schlendern die Dragonerofficiere der Garnison durch den bunten Schwarm. Die Kaufleute öffnen ihre Lager, und die Weinstübchen hinterm Laden füllen sich.

Schon stand Amanda mit der Tochter des Kreisgerichtsraths nunmehr allein und verabschiedete sich eben auch von dieser, welche sie zum Besuch auf den Nachmittag eingeladen hatte, als das Fürstenpaar mit dem Pastor aus der Kirche trat. Jene erwiderten die Complimente der Mädchen mit freundlichem Gruß; länger, feuriger ruhte das Auge Reinhold’s auf dem freudestrahlenden Antlitz seiner Braut. Während diese vier Menschen, Amanda in respectvoller Ferne folgend, die sanft sich senkende Straße nach dem Thor gemächlich hinabschritten, stand Scybylski im Zimmer der Superintendentin. Nach kurzem gleichgültigem Gespräch faßte die greise Frau ihn plötzlich scharf in’s Auge.

„Sie waren gestern Nachmittags mit den Herren vom Gericht beim Rendanten?“

„Sie wissen …?“ stotterte Scybylski.

„Glaubten Sie, eine so geheimnisvolle Versammlung bliebe in unserer Stadt unbesprochen?“

„Man weiß also – ?“

„Was weiß man? Ohne Zweifel, daß der Rendant sein Testament gemacht hat.“



  1. Wir erfreuen die Leser und Freunde der Gartenlaube mit dieser Ehrengabe für dieselbe gewiß um so mehr, als sie von dem letzten großen Dichter aus der classischen Zeit unserer Literatur kommt, der seit Jahren die Blüthen und Früchte seines rastlosen stillen Schaffens dem Auge der Oeffentlichkeit entzieht.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_033.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2020)