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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


„Bei meiner Liebe, nein, Amanda!“ rief plötzlich eine Stimme, deren Klang beide Frauen im tiefsten Herzen schauern machte. Der Vorhang, welcher den Alkoven verdeckte, rauschte zurück, und Reinhold stürzte zu Amanda’s Füßen.

„Die Liebe kam Ihnen zuvor,“ sagte triumphirend Michaelis zur sprachlosen Superintendentin. „Ich versteckte Ihren Sohn dort zur Bescheerung. Er hat Sie und mich gehört und – entschieden.“

Frau Reinhold wollte entgegnen, aber ihr Sohn sah ihr ernst und fest in’s Auge.

„Mutter,“ sagte er, „ich war ein schwacher, feiger, treuloser Mensch bisher. Die Qualen dieser Zeit waren meine Buße. Jetzt endlich stehe ich über Kampf und Zweifel, fest, unbeugsam fest, und meine Worte sollen ein Schwur vor Gott und Menschen sein: Amanda, wenn Du mir verzeihen kannst, schließ’ mich ein in Dein Herz, fester denn je, als meine Braut, mein Weib!“

„O Theodor –“ flehte Amanda, denn noch immer bebte sie vor ihrem Glück zurück. „Bedenke …“

„Ich habe bedacht ein langes, banges Jahr hindurch! Des Zweifels Ende war der Entschluß, Dich aufzusuchen und Deine Vergebung, Deine Hand zu erflehen! Stoße meine Reue zurück, wenn Du kannst! Fluche mir, Mutter, wenn Du darfst!“

Frau Reinhold sah ihren Sohn mit großen, starren Augen an; ihre Brust athmete schwer, ihre Hände falteten sich krampfhaft. Dann wankte sie kraftlos nach einem Stuhl und sank auf ihm zusammen. „Er, mein Sohn,“ schluchzte sie, „mein einziger Sohn verlangt, daß ich ihm fluche. Gott, Gott! war ich denn wirklich so wenig Mutter, daß mein Kind einen Fluch von mir erwartet!“ – Und sie, die harte, stolze Frau, weinte, weinte wie ein hülfloses Kind. Frau Reinhold war Mutter! Die Flügel des Einen allmächtigen Naturgefühls hoben selbst diese kühle, starre, spröde Seele über Familienstolz und Vorurtheil, Verbitterung und Feindschaft.

Sogar der Arzt ward vom jähen Gefühlsausbruch der Greisin erschüttert. „Verzeihen Sie mir,“ sprach er, indem er ihre Hand ergriff, „was ich Ihnen vorhin sagte; wir haben gegenseitig zu vergeben und zu vergessen! Danken wir dem Geschick, daß wir uns am Glück der Jugend sonnen können! Und nun eine Eröffnung: Amanda ist kein armes Mädchen. Ich betrachte sie als mein Kind. Außerdem aber befanden sich im Nachlaß des Rendanten Lotterieloose. Ich spielte eines davon im Interesse meiner Mündel fort. Das Loos kam mit einem nicht unbedeutenden Gewinn heraus.“

„Dieser gehört nicht mir, sondern meinem Vater,“ sagte rasch Amanda. „Nicht wahr, Theodor, meinem Vater?“ Reinhold drückte statt aller Antwort einen Kuß auf ihre Lippen.

Doctor Michaelis betrachtete mit freudeglänzenden Augen seine Mündel. „Sehen Sie, lieber Reinhold, dies Jahr ist über Ihre Braut dahingegangen, wie der Hauch einer Frühlingsnacht, der die Blüthen weckt. Aber die Knospe, in der wir ein recht luftig rothes, keckes Röslein vermutheten, ist eine schöne weiße Rose geworden. Ja, lacht nur, mich alten Bücherwurm hat sie noch zum Poeten gemacht. Gott segne sie!“



Fleckennatter und Eidechse.


Deutschland beherbergt, abgesehen von der Blindschleiche[1], vier Schlangen, von welchen drei der Familie der Nattern angehören, die vierte aber, die giftige Kreuzotter, eine Viper ist. Letztere gehört zu jener gefährlichen Sippschaft, welche das Volk der Schlangen in so üblen Ruf brachte, so daß man allen ohne Unterschied mit Furcht und Haß zu begegnen pflegt. Jedoch nur der geringere Theil verdient verfolgt und vertilgt zu werden, was dagegen die drei Nattern Deutschlands, nämlich die Ringelnatter, die glatte oder Fleckennatter, sowie die gelbe Natter betrifft, so kann ich für deren Unschuld und Ungefährlichkeit aus eigener Erfahrung einstehen. Es wird zwar nicht viel helfen, denn ihre Verwandtschaft mit der gefährlichen Viper, sowie das von dieser geerbte fatale Zischen macht es schwierig, sie von jeder üblen Nachrede zu befreien oder gar ihnen die Zuneigung der Menschen zu verschaffen. Eine Abhandlung über Schlangen in der „Gartenlaube“ muß sich daher gefaßt machen, vielleicht von vielen der Leser überschlagen zu werden, jedoch hoffe ich durch beistehende Zeichnung, welche den Kampf der Fleckennatter mit einer Eidechse darstellt, die Aufmerksamkeit auf dieses Capitel zu lenken, um einigen aussöhnenden Bemerkungen über die Lebensweise dieser gewiß nicht uninteressanten und schönen Thiere gleichsam durch List Eingang zu verschaffen.

Fleckennatter im Kampf mit einer Eidechse

Am meisten gefällt mir die glatte oder Fleckennatter, welche z. B. in Würtemberg stellenweise ziemlich häufig ist. Sie ist die kleinste und zierlichste unserer Nattern, zwei Fuß lang, kleinfingerdick, von meist röthlichgrauer Farbe; den Rücken entlang verläuft eine Reihe schwarzbrauner Flecken, deren größter das Hinterhaupt ziert. Das feingeschnittene Köpfchen zeigt nahe über der Mundspalte schöne, runde, durch keine Lider umfaßte Augen, deren seitliche Lagerung den Vortheil eines größeren Gesichtsfeldes hat. Es überschaut nämlich die Schlange ihre rechte und linke Umgebung, dagegen entgeht ihr, was unmittelbar vor ihrer Nase liegt, und sie würde diese bald anstoßen, käme nicht die tastende Zunge ihr zu Hülfe. Wer dies nicht weiß, der hält freilich die schmale und


  1. Die schlangenähnliche Blindschleiche gehört zu den Eidechsen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_069.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2021)