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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Allen, die dort eben fischen, und muß geradezu als dringendste Mahnung für Deutschland betrachtet werden, aus dem Kasernismus, aus dem leeren, unbezahlbaren Kasernismus auf Kriegsschiffen, aus dem hohlen Flotten-Enthusiasmus zur Sache zu kommen. Das kostspielige und spielerige Seecadettenthum, die Renommage mit blauen und goldenen Uniformen, Matrosendolchen und Hemdenkragen, die Uebungsspazierfahrten in schwimmenden Kasernen – die thun’s wahrlich nicht.

Deutschland hat die Ost- und Nordsee. Letztere wird von den Engländern „deutscher Ocean“ genant. Was macht Deutschland mit seinem Meere? Dasselbe, wie mit seinen Flüssen. Es dressirt und drillt auf ebener Erde Pferde, Hunde und Menschen, wofür das Volk tüchtig bezahlen muß, und läßt seine Flüsse versanden, überschwemmen, austrocknen. Englische Fischer kommen in’s „deutsche Meer“, fangen dort unsere Fische und verkaufen sie an uns. Auch kaufen wir unsere Fische von Holländern, Schweden und sogar Dänen. Es ist nachgewiesen, daß der Zollverein während des letzten Vierteljahrhunderts bis 1861 für mehr als einhundertundfünfundachtig Millionen Thaler Producte des Meeres vom Auslande gekauft habe, während derselbe Zollverein, um den „Unterthanen“ Arbeit und Benutzung ihres Geldes zu verschaffen, Tausende von Menschen durch Schutzzölle zwang, natürlich lohnende, gesunde, see- und landtüchtig machende Arbeit aufzugeben oder liegen zu lassen, um in schwindsüchtiger Baumwollen-Industrie etc. auf Kosten eigener Gesundheit zu arbeiten und dabei doch von National-Almosen (dem Betrage der durch Schutzzölle erzwungenen Vertheuerung) zu leben. Das ist eine schöne Wirthschaft zum Wohle des „Staates“!

Die 185 Millionen Thaler wurden an das Ausland bezahlt für mehr als 6 Millionen Centner Thran und Robbenspeck, für 1,178,000 Centner gesalzene, geräucherte, getrocknete und marinirte Fische, für mehr als 7 Millionen Tonnen Heringe, 143,000 Centner Austern, außerdem für mehr als 18 Millionen Centner Salz, das als preußisches Monopol im Inlande nie in gesunder, freier Industrie gehörig gewonnen werden kann. Der Zollverein kaufte während der letzten 25 Jahre 7,000,000,000 Stück Heringe vom Auslande, die alle Jahre in größerer Zahl durch unser deutsches Meer nach Rockall etc. ziehen.

Preußen in seiner noch nicht genügenden militärischen „Machtfülle“ und mit seinen vielen patriotischen „Preußenherzen“ fängt nicht so viel Fische, als die Nordamerikaner als Dünger zu Guano verfaulen lassen.

Wir schwärmten und sammelten für eine deutsche Flotte „unter preußischer Führung“. Die preußische Staatsmacht will zu ihrer erhöhten militärischen „Machtfülle“, der es den Frieden mit dem Volke opfert, noch für etwa 40 Millionen Thaler speciell preußische Flotte mit schwimmenden Kasernen und Cadetten-Häuschen. Dabei mußten und sollen die „Unterthanen“ auch noch das Meiste von den 185 Millionen für Seeproducte an das Ausland zahlen. Diese Millionen hätten wir uns sehr gut selbst aus dem Wasser fischen und dabei noch sehr wohlfeile Fische essen und den Grund zu einer Flotten-Machtfülle legen können, wenn wir gescheidt gewesen wären. Wollen wir’s nicht endlich jetzt werden, gerufen, gleichsam bei der Nase gezogen durch die Bank von Rockall?

Es fehlte bisher den Deutschen an Unternehmungsgeist, an Capital, an Kopf und Regierungs-Unterstützung dazu. Letztere wird von Sturz und andern Patrioten für nothwendig gehalten, weil ja auch die Nordamerikaner und die Franzosen durch Napoleon III. Fischerei-Prämien erhielten, und der Deutsche ohne Regierungs-Aufmunterung am wenigsten seinem Vortheile nachgehen würde. Dies scheint sehr löblich und praktisch; aber bei Lichte besehen ist’s doch nur eine kostspielige Kinderei für Kinder. Die Regierung, die ja selber weder Geld hat noch Geldgeschäfte machen darf, ohne sich und dem Lande zu schaden, müßte doch das Prämiengeld erst andern Leuten abnehmen, um es Fischerei-Unternehmungen zuzuwenden. Dadurch verlieren letztere von vorn herein ihre gesunde, volkswirthschaftliche Grundlage, ihre Freiheit. Jedenfalls ist’s viel gescheidter, wenn Capitalisten und intelligente Köpfe sofort selbstständig sich als Compagnie verbinden und ohne Weiteres eine tüchtige, vereinte Geld- und Geistsumme in einem Seefischerei-Unternehmen mit dem Hauptsitze in Hamburg oder Bremen anlegen. Der neue preußische Jahdebusen, der dazu vorgeschlagen ward, würde nur dann vortheilhaft sein, wenn Preußen eine andere Politik zu Lande und zu Wasser angenommen haben sollte. Mit seinen jetzigen militärischen und Flotten-Bestrebungen würde es einer Seefischer-Flotte keine besondere Gunst und Förderung zuwenden.

Wenigstens sollte Niemand darauf warten und darum betteln. Deutsches Capital und deutsche Capacität, gehörig vereinigt und angelegt, erreichen selbstständig immer mehr, als unter staatlicher Führung. Man denke an den stolzen, wichtigen Kaufmann, der einmal, von einem Bourbonen gefragt, was er für den Handel thun könne, ganz treffend antwortete: „Sire, schützen Sie uns vor Regierungsschutze!“

Die Seefischerei, namentlich jetzt mit der Rockall-Bank vor uns, ist eine sehr einfache und sichere Speculation. Der Zollverein kauft jetzt jährlich für 3–4 Millionen Thaler Seeproducte vom Auslande. Ganz Deutschland braucht vielleicht jährlich für 5 Millionen und wird jedenfalls noch viel mehr dafür ausgeben, wenn der Bedarf, namentlich an frischen Seefischen, wohlfeiler, schneller und massenhafter befriedigt wird, als bisher, so daß man während der kalten Monate auch in Leipzig und Dresden frische Waare aus der Nordsee oder vom Rockall für einen civilen Preis haben kann. Ein Unternehmen oder Unternehmungen, die auf Kunden bis zur Höhe von 5 Millionen jährlich rechnen können, lassen sich leicht berechnen. Wie viel Capital kann man hineinstecken, um besserer Verzinsung sicher zu sein, als in sonstigen rentablen Capitals-Anlagen? Will man noch Patriotismus, Schule für deutsche Seetüchtigkeit, für eine das Land und den Handel schützende Flotte mit einrechnen, desto nobler. Wir müßten eine Seefisch-Flotte von wenigstens 200 Schiffen haben, um die 5 Millionen selbst zu verdienen. Neun Zehntheile davon gehen nach Nordamerika und zwar meist für Producte des Walfisches. Wir bezahlen, wie behauptet wird (ich kenne den deutsch-nordamerikanischen Verkehr zu wenig), diese Summe zum größten Theile mit Geld, nicht mit dem Ueberfluß unserer Fabrikate. Wenigstens können die durch Schutzzölle vertheuerten und verkrüppelten Fabrikate Deutschlands nicht mit den entsprechenden Englands wetteifern. Unsere Rohstoffe haben sie selbst besser und billiger, unsere Fabrikate liefern ihnen (mit wenigen Ausnahmen) andere Länder billiger und besser. Dazu kommt, daß der Schiffsbau an Deutschlands Küsten viel billiger betrieben werden kann, als irgendwo. Auch haben wir keine Colonien auf festem Boden, so daß wir allen unsern schönen Ueberfluß von Arbeits-, Geld- und schlummernden Unternehmungs-Capitalien zur vortheilhaftesten Colonisirung auf fischreichem Salzwasser verwenden könnten. Auch braucht diese Colonie weder erobert, noch beschützt, besetzt und verwaltet zu werden. Rockall gehört der ganzen Welt. Auch hat das Meer eine unschätzbare Eigenthümlichkeit:

„Das Meer, das Meer macht frei!“

Fische, Oele, Thran, Schmiere, Dünger, Kraft, Leben, Freiheit, Reichthum – Alles läßt sich in unerschöpflichen Massen aus dem Meere fischen. Und dabei drückt und drechselt man immer weiter an Budgets- und Verfassungs-Paragraphen, und dressirt unser Junkerthum Pferde und Menschen und Hunde und fischt Deutschland auf seinen Meeren mit zwei Stettiner Schiffen und einem aus Wolgast. Die 200 Hamburger und Bremer Schiffe sind blos Frachtwagen auf dem Wasser. Was man „Flotte“ nennt, das macht „Uebungsfahrten“, wobei auch noch nicht ein einziger Stockfischschwanz gefangen ward.

Nun denn, wollen wir denn nicht endlich eine flotte Nation werden und uns Geld, Fische, Freiheit, Seetüchtigkeit, die Bedingung zur Tüchtigkeit auf dem Lande, aus dem Meere fischen und dabei jährlich 5 Millionen Thaler verdienen? dadurch, den einzig sichern und tüchtigen Grund, die Elementarschule für eine deutsche Flotte gewinnen! Wie viele junge gebildete Kräfte verkümmern jetzt in hungrigem Lungern nach einer Laufbahn, Anstellung, lohnenden Beschäftigung? Wie werden sie mit ihren harrenden Bräuten alt und welk, ehe sie mal ein mageres, abhängiges Pöstchen oder Stellchen mit 300 Thalern erwischen! Denke man sich eine norddeutsche Seefischereiflotte von 200 Schifen als Vorschule zu einer flotten Flotten-Laufbahn – was für Leben, Hoffnung, Streben, Muskelkraft, Production, Beförderung, Wohlstand und Reichthum! Welch neue „Steuerkraft“, ihr Herren Finanz- und Kriegsminister, die ihr nur immer Geld und Leute zum Geldverzehren haben wollt, ohne den Leuten zu erlauben, ihre „Steuerkraft“ frei zu entwickeln! Welch neue blühende Fischerdörfer und Seestädte an unsern Küsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)