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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Male hören, „wir werden bald einen Punkt erreichen, wo Sie nicht mehr fehlen können!“

„Damit Sie mich nicht verlieren!“ klang es in mir nach. Ja, wenn doch das möglich gewesen wäre! Ich hatte ein Gefühl in meinem Herzen, als sei mir in meiner Noth irgend eine wunderschöne Fee erschienen, die, nachdem sie mich gerettet, wieder spurlos verschwunden und mich mit lebenslanger Sehnsucht nach ihr allein lassen werde. Aber der mit Wurzeln durchzogene Weg brachte mich bald zur Wirklichkeit zurück; ich bedurfte aller Vorsicht, um, ohne schmerzendes Straucheln, meiner Führerin, die kaum auf meine Unkenntniß des Wegs Rücksicht zu nehmen schien, zu folgen, und erst als die rothen Lichter des Morgens bereits durch das Laub der Bäume zu dringen begannen, traten wir auf eine breite Landstraße heraus. Da blieb sie, immer noch das Gesicht von mir abgewandt, stehen, als überlege sie die weitere Richtung oder wollte ihre Kräfte von dem raschen Gange sammeln. Als sie sich endlich nach mir wandte, stand sie in der vollen rosigen Morgenbeleuchtung, im grauen, leicht aufgeschürzten, aber die feinen Formen des Oberkörpers knapp abzeichnenden Sommerkleide, den flachen, breitrandigen Strohhut an feinen Bändern hängend in den Nacken zurückgeworfen, und mit einem halb unsichern Blicke der großen, dunkelbeschatteten Augen meine eigene Erscheinung musternd. So mädchenhaft, so anmuthig schön in ihrer Einfachheit hatte ich sie mir nach den Ereignissen der Nacht nie denken können.

„Dies ist Ihre Straße, Sir,“ sagte sie, den Kopf leicht ab-wendend, als wolle sie meinen Blicken ausweichen, „in kaum länger als einer halben Stunde können Sie wieder bei Ihren Cameraden sein!“

„Und nun, Miß, sagen Sie mir um Gotteswillen,“ rief ich im Drange meines erregten Gefühls, „womit ich Ihnen jemals danken kann, was Sie in dieser Nacht an einem Ihnen völlig Unbekannten gethan haben!“

Sie wandte langsam den Kopf; ihr Gesicht war wieder so ernst und bleich, als ich es im Scheine des Mondes gesehen. „Sie haben mir nichts zu danken, Sir!“ erwiderte sie ruhig; „ich hasse diesen Aufstand gegen die gesetzliche Ordnung, der nur den Schmutz der amerikanischen Bevölkerung in unsere friedliche Gegend gebracht hat, und liebe die deutschen und ihre Treue für die Union, wie ich meine eigenen deutschen Großeltern geliebt habe. Was ich an Ihnen vielleicht gethan, habe ich nur meiner eigenen Befriedigung halber unternommen – also lassen Sie uns ohne weitere Redensarten von einander scheiden, Sir!“

„Und Sie geben mir keine Hoffnung, Miß Werner,“ sagte ich nach einer kurzen Pause, in welcher ihr Blick ruhig in meinem erregten Auge geruht, „daß es mir jemals vergönnt werden wird, Sie wieder zu sehen?“

Wie der Schein eines traurigen Lächelns glitt es über ihr Gesicht. „Wissen Sie denn, Sir, wer morgen noch von uns Beiden leben wird?“ gab sie zurück. „Diesen Menschen dort,“ fuhr sie erregter fort, nach der Richtung des Rebellen-Lagers deutend, „gilt weder Alter noch Geschlecht, wenn sie meinen, irgendwo einen Feind ihres wahnsinnigen Unternehmens entdeckt zu haben – und Sie gehen vielleicht heute schon in die Schlacht. Meinen Sie denn, ich hätte unter andern Umständen so jede Rücksicht bei Seite werfen können, wie ich es gethan?“ Ein jähes Roth trat bei den letzten Worten in ihre Wangen, sie wunderbar verschönernd; ich aber faßte, von der Eigenthümlichkeit dieses Charakters hingerissen, nach ihrer Hand, die sie mir nach einem leisen Zucken derselben überließ.

„Gut, Miß Maggy!“ rief ich, „aber wenn es jemals die Verhältnisse gestatteten, daß wir uns wiedersehen könnten, darf ich dann vor Sie treten und Sie an die heutige Nacht und die Dankbarkeit eines Herzens erinnern, das noch niemals so gefühlt hat, wie seit wenigen Stunden?“

Sie entzog mir rasch ihre Hand und drehte sich weg, daß ich nur noch den Schein des hohen Roths, welches augenscheinlich ihr Gesicht übergossen hatte, wahrnehmen konnte. „Gehen Sie, Sir, gehen Sie – beschütze Sie Gott!“ versetzte sie rasch, während sie eine Bewegung machte, sich wieder dem Walde zuzuwenden.

„Und ich darf Ihnen nicht einmal meinen Namen sagen?“ fragte ich unter einer Empfindung, die wunderlich zwischen der Trauer des Scheidens und einem plötzlich in mir aufsteigenden Glücke getheilt war.

Sie hielt in ihrer Bewegung inne wandte sich dann langsam zurück, und ein voller, strahlender Blick, dem dennoch ein eigenthümlicher Ausdruck von Trübsal beigemischt war, traf mich. „Ich weiß ihn bereits, Sir,“ sagte sie mit einem Lächeln, das wie ein halbunterdrückter Sonnenstrahl aus trüben Wolken erschien. „Ihre Feinde nannten ihn meinem Vater bei ihrem Eintritte in’s Haus! Beschütze Sie Gott, Mr. Reuter!“ setzte sie hinzu und reichte mir ihre Hand. Kaum hatte ich diese aber mit dem Ansatze zu einem festem Drucke gefaßt, als ich mir ihre Finger auch wieder entschlüpfen fühlte und das Mädchen mit einigen raschen Schritten, ohne daß sie nur noch einmal den Kopf gewandt, das Gebüsch erreichen und darin verschwinden sah. –

Kaum länger als eine halbe Stunde darauf war ich im Lager und stattete dem General meinen Bericht ab – vier Stunden darauf aber standen wir dem Feinde gegenüber, der – dank unserer gesegneten Artillerie – uns bald den Rücken zeigte und uns freie Bahn zum weiteren Vorrücken ließ.


In der kurz darauf folgenden Schlacht bei Springfield war ich verwundet und mit anderen Unglücksgefährten zuerst nach Jefferson-City, dann nach St. Louis transportirt worden. Ich hatte einen Schuß in die linke Schulter erhalten, welcher für lange Zeit meinen Arm lähmen und mich dienstunfähig machen mußte; indessen hatte ich durch dringende Empfehlungen, die ich zum großen Theile meinem gefahrvollen Kundschaftergange verdankte, nach meiner nothdürftigsten Heilung eine Stellung im Postdienste erhalten, welche mir wenigstens für die nächsten Jahre eine völlig sorgenfreie Existenz gewährte. Da bringen mich außergewöhnliche Geschäfte eines Tages nach dem Eisenbahn-Depot, eben als wieder, wie so oft in den letzten Wochen, ein langer Wagenzug voll Bewohner des innern Staats, welche vor dem Morden und Brennen der verwilderten Secessionisten die Flucht ergriffen hatten, angelangt ist, und plötzlich sehe ich in ein Gesicht, das noch keinen Tag aus meiner Erinnerung gewichen war, sehe in zwei dunkele aufglänzende Augen, in denen mir plötzlich ein ganzer Himmel entgegenwinkt, und habe in der nächsten Secunde – wie es geschehen, weiß ich heute noch nicht – Maggy’s beide Hände in den meinigen. „Ja, es hat doch wohl sein sollen, daß wir uns wiedersahen!“ erwiderte sie auf die unwillkürlichen Ausrufe meiner Ueberraschung und wendete sich dann an einen alten Farmer, der mit sichtlicher Befremdung auf die unerwartete Scene blickte. „Das ist er, Vater, Mr. Reuter, du weißt ja!“

Ich will kurz sein in meinem Schlusse. Als wir die Rebellen aus der Gegend von Werner’s Farm vertrieben, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, das mir so denkwürdige Haus wiederzusehen, hatte der Alte seine bis dahin unterdrückte Sympathie für die deutschen Unionsstreiter offen gezeigt, während sein Sohn, sein Geburtsrecht als Amerikaner höher schätzend als seine deutsche Abstammung, mit den Secessionisten geflüchtet war – und Maggy hatte nicht angestanden, ihren Antheil an meiner Flucht zu bekennen. Beide aber hatten ihre Offenheit bald genug schlimm zu bereuen gehabt. Die deutsche Hauptmacht hatte sich nach andern bedrohten Theilen des Staats wenden müssen, und schnell darauf waren auch starke Streifcorps völlig verwilderter Menschen von Seiten der Rebellenmacht erschienen, Alles plündernd und niederbrennend, was als Eigenthum der unionstreuen Bevölkerung galt, schändend und mordend, was von dieser ihr in die Hände fiel, und der alte Werner, welcher noch zeitig genug gewarnt worden, hatte das Schlimmste für sich nicht abgewartet, sondern sein Geld und was sonst noch zu retten war, gerettet und sich dann mit seiner Tochter nach St. Louis geflüchtet. Es war die höchste Zeit dazu gewesen, denn von Nachkommenden hatte er schon unterwegs vernommen, daß bei der Ersteren Abreise von seinem Hause nichts als die rauchenden Ruinen übrig gewesen seien.

Es vergingen drei Monate, in welchen ich mit der Familie, die sich vorläufig in ein Boardinghaus einquartiert, in stetem engen Verkehr blieb, in welchen aber auch mein Verhältnis zu Maggy völlig reifte, ohne daß es mir indessen gelungen wäre, eine gewisse Rückhaltung des Alten gegen mich, die sich besonders in einem steten bestimmten Ausweichen zeigte, sobald er vermuthen mochte, daß ich mich offen über meine Gefühle für seine Tochter auszusprechen beabsichtige, zu besiegen – da hatte Werner unter den oft eingebrachten Gefangenen von der Rebellenmacht eines Tages einen jungen Mann aus seiner Gegend erkannt und von diesem erfahren, daß sein Sohn bereits vor einem Monate in einem der kleinen,

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