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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

die Bäuerin ab, die ihm flüchtig zuwinkte und zunickte und flüsterte: „Sei gut mit ihm, Vater, und mach’s nit zu scharf!“

„Wo kommst her, Mentel?“ fragte er mit künstlicher Gelassenheit. „Hast Dich ja schon gewaltig früh aus den Federn gemacht! Oder,“ fuhr er in gesteigertem Tone fort, als der Sohn nicht augenblicklich antwortete, „bist vielleicht gar nit in’s Bett’ kommen? Bist herumgestreunt die ganze Nacht wie ein Landstreicher? Red“ schrie er aufspringend und ließ seinem Zorne freien Lauf. „Stier nit so vor Dich nieder auf den Boden, wie ein rechter verstockter Sünder – red’, wo bist gewesen?“

Mentel stieg es blutroth in’s Gesicht, aber er schwieg; es widerstrebte ihm zu lügen, und er wußte nicht, wie er die Wahrheit vorbringen sollte.

„Sag’ es,“ schrie der Bauer heftig, „oder soll ich Dir die Zung’ lösen und vorerzählen, wo Du gewesen bist? Soll ich Dir sagen, ob der schmuzige, zerrissene Janker und das verschundene Gesicht ein Aufzug ist für einen ordentlichen Burschen, für einen Bauernsohn und für meinen Sohn?“

„Und wenn ich’s sag’, was thät’s nutzen, Vater?“ sagte Mentel zögernd. „Es ist doch, wie’s ist!“

„Und ich will’s wissen! Ich will, daß Du’s sagst!“

„Ich bin doch kein Schulbub mehr, der sich muß ausfragen lassen!“ entgegnete Mentel trotzig und steigerte dadurch noch die Entrüstung des Alten.

„Ich hab’ ein Recht zum Ausfragen, kecker Bursch!“ rief er. „Bist Du mir nit Gehorsam schuldig als Deinem Vater? Bring’ mich nit auseinander, Mentel – gieb mir Antwort auf meine Frag’, damit nit ein Anderer über Dich kommt, der Dich zum Antworten zwingt! – Wo bist gewesen, Mentel?“

Der Sohn sah störrisch und finster zu Boden. „So red’,“ sagte die Mutter, indem sie ihm schmeichelnd die Hand auf die Schulter legte, „thu’ dem Vater seinen Willen und sag’s – es wird ja nichts Unrechtes sein!“

„Nichts Unrechtes?“ rief der Bauer. „Schau’ ihn an, Mutter, ob ihm nit das Unrecht auf der Stirn geschrieben steht: – so schaut das böse Gewissen aus! ... Mentel, wenn ich denken müßt’, daß das, was heut’ Nacht geschehen ist, Dich auch anging’, wenn ich denken müßt’ ...“

„Ich bin kein Schwärzer!“ sagte Mentel unwillig.

„Aber ein Wildschütz – ich kehr’ die Hand nit um zwischen Beiden! – Also ist es gewiß und wahr,“ fuhr er etwas gemäßigter fort, „und kann ich mich darauf verlassen, daß Du nichts davon weißt?“

„Ich weiß davon,“ antwortete Mentel, „aber ich bin nit dabei gewesen. Ich bin auf dem Weg gewesen, hab’ mich auf den Hundstod auf ein Gambs anpürschen wollen – da haben’s mich versprengt, und ich bin die ganze Nacht in einer Kohlhütten versteckt gewesen!“

„Wenn man Dich gefunden, wenn sie Dich mit den Schwärzern erwischt hätten!“ rief der Alte und schritt hastig die Stube auf und nieder. „Es wär’ mein Letztes! So lang mein Vater und mein Großvater auf dem Bühelhof gehaust haben, liegt kein Buchstaben beim Landgericht oder im Prälatenstock. Sie können kein Protokoll aufweisen von uns, und wenn mein Sohn der Erste wär’, der aus der Art schlagen thät ... Herrgott, Herrgott ... ich glaub’, ich müßt’ ein Narr werden!“

„Sorg’ nit, Vater!“ sagte Mentel. „Ich bin nit dabei gewesen und in Zukunft –“ er zögerte und das Kommende schien ihn offenbar Ueberwindung zu kosten ... „in Zukunft will ich das Wildschießen bleiben lassen... Die Nacht, wie ich so allein gewesen bin und hab’ mir vorgestellt, wie es hätt’ gehen können und wie nah’ ich hingestreift bin an’s Erwischtwerden ... da hab’ ich mir’s vorgenommen, daß ich es lassen will...“

„Mentel! Bub!“ rief der Alte und blieb stehen und streckte wie versteinert die Arme nach ihm aus.

„Siehst, Vater,“ sagte die Mutter zwischen Lachen und Weinen: „er ist doch ein gutes Kind – er will’s lassen!“

„Bub!“ rief der Alte wieder, und seine Stirne war sonnenhell und in seinem Auge schimmerte eine Freudenthräne. „Wenn das wirklich Dein Ernst wär’ – eine größere Freud’ könntest Du mir nit machen... Alles sollt’ verziehen und vergeben und vergessen sein!“

„Ich habs gesagt, Vater, und ich halt’s!“ erwiderte Mentel fest und streckte dem Alten die Hand hin, in die dieser freudig einschlug.

„Ich nehm’ Dich beim Wort!“ rief er. „Wirst es nit bereuen! Glaub’ mir, es wär’ noch einmal Dein Unglück geworden! Bleib’ dabei, Mentel, und wann Dir die Versuchung kommt, dann arbeit’ tüchtig und bet’ ein Vaterunser... und es geht vorbei, ich weiß es ja von mir selber! – Meinst, ich bin nit auch einmal jung gewesen? Meinst, es hätt’ mich in Deinem Alter nit gejuckt, wenn ich die Hirsch’ und die Gams’ g’seh’n hab’ im Wald und auf den Bergen, und hab’ gewußt, daß ich beim Scheibenschießen allemal in’s Schwarze hineing’langt hab’ und daß es nichts braucht, als den Finger rühren, so schnellt’s das schöne Thierl nieder? ... Da schau hinaus dort auf dem Abhang, wo sich das dichte Buschwerk nach dem Graben hinunter zieht... da bin ich einmal an einem Abend gestanden und hab’ auf einen Rehbock gepaßt, den ich am Tag zuvor gespürt hab im grünen Korn. Es hat auch keine halbe Viertelstund’ gedauert, so ist der Bock heraus’kommen, dort an der Waldspitz auf zwei Ackerläng’ und hat sich kerzengerad’ hingestellt, daß ich ihn nur hätt’ hinaufbrennen können, mitten auf’s Blatt. … Ich duck’ mich und spann’ den Hahn und will just auffahren, – da hat’s in der Ramsauer Kirche angefangen Ave Maria zu läuten... ich hab schon losdrucken wollen – da hat sich was Eigen’s gerührt in mir, und ich hab’ mir ’denkt, was gescheidter ist, zuerst schießen und dann beten oder zuerst beten und nachher schnallen lassen. … Das Beten geht doch vor, hab’ ich mir ’denkt und hab’ abgesetzt, bis das Läuten zu End’ gewesen ist – ich mach’ gerad’ das Kreuz und will wieder nach meiner Büchs langen ... da kracht’s auf einmal neben mir, der Bock stürzt, und der Jäger kommt keine dreißig Schritt’ von mir aus dem Gebüsch. … Hätt’ ich geschossen, so hätt’ er mich auf der That erwischt. … Das Vaterunser hat mich vom Zuchthaus gerettet, und das Wildpretschießen ist mir verleidet gewesen für alle Zeit! – Merk’ Dir’s, Mentel, und gieb mir noch ’mal Deine Hand darauf, daß es Dir Ernst ist mit dem Vorsatz!“

„Völliger Ernst!“ erwiderte Mentel und schüttelte dem Vater die Hand, der nun ebenso feurig in der Freude war, als er sich zuvor in Unmuth und Besorgniß ausgesprochen hatte.

„Dann will ich auch Ernst machen mit dem Vorsatz, den ich schon lang in mir herum trag’!“ rief er aus. „Was meinst, Bäuerin, wenn wir nächste Woche nach Bertelsgaden hineinfahren thäten und thäten uns beim gestrengen Herrn Landrichter einen Tag ausbitten? Wir geh’n in Austrag miteinander, der Mentel soll das Gut übernehmen und heirathen!“

Ueber Mentel’s dunkles Angesicht flog der Wiederschein einer freudigen Erregung, die zu rasch kam, als daß er vermocht hätte, sie zu bewältigen. Die Mutter aber trat zu dem Alten und sagte mit gerührtem Tone: „Ich will, was Du willst, Vater – der Mentel wird ja ordentlich sein, wird gut thun und wird uns gewiß in Ehren halten!“

Dem Bauer war die Gemüthsbewegung des Burschen nicht entgangen. „Schau, schau,“ rief er lachend, „wie ist denn das? Du bist ja auf einmal wie umgewandelt, und Deine Augen funkeln wie Pfenning-Lichteln! Ich hab’s also getroffen? Du hast Dir wohl gar schon was ausgesucht?“

„Wär’ das möglich?“ sagte die Mutter. „Ich hab’ doch gar nichts gemerkt!“

„Ja, Vater,“ sagte Mentel zutraulich und warm, „ich hab’ mir Eine ausgesucht, die ich für mein Leben gern hab’... und wenn Du mir doch übergeben willst, Vater – die will ich zur Bäurin machen auf dem Bühelhof! ... Sie wird Dir wohl recht sein..?“ setzte er etwas unsicher und zaghaft hinzu.

„Warum sollt’ sie mir nit recht sein?“ sagte der Bauer fröhlich. „Ich hab’ nichts dagegen! Du wirst Dir Keine ausgesucht haben, die man zum Spatzenschrecken brauchen könnt’... und dann, Du mußt mit ihr hausen, Mentel, nicht ich! Auf’s Geld brauchst Du, Gott sei Lob und Dank, nit aufzupassen, und sonst weißt Du ja so gut wie ich, was Brauch ist in der Ramsau!“

„Und brav und ordentlich,“ schaltete die Mutter ein, „wird sie ohnedem sein!“

„Ob sie brav und ordentlich!“ rief Mentel begeistert. „Es ist keine auf sieben Meilen Wegs...“

– Die Thüre ging auf und Evi trat ein. „Es ist Zeit zum Kochen,“ sagte sie zur Frau, indem sie einen raschen verwunderten Blick auf die vergnügte Gruppe der Anwesenden warf. „Du sollst das Schmalz zu den Nudeln hergeben“

„Ich hab’ jetzt wahrhaftig keine Zeit,“ sagte diese und reichte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_211.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)