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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nimmt. Man muß die Wichtigkeit, die wirkliche Innigkeit und Andacht angehört haben, mit welcher der englische Sportsman seine Angelkunst und seine Cricketspiele, seine Segelfahrten und sein Waidwerk wie die höchsten Fragen des Staatswohles und des Heiles seiner Seele discutirt, um zu verstehen, daß es sich in der That dabei um mehr als eine gewöhnliche flüchtige Lust, daß es sich um ein bleibendes Stück des Menschen handelt. Und jenes außerordentliche Interesse kann bei einem Volke des Geldes unmöglich in die Brust gebannt bleiben; es muß einen klingenden Ausdruck finden. Nichts als das ist die Wette, welche fast unzertrennlich zu allen Arten des Sport gehört, bei denen ein Preiskampf stattfindet, ganz besonders aber bei den Pferderennen wahrhaft ungeheuerliche und nicht selten an Tollheit grenzende Dimensionen erreicht. Die Wette, soll ich mich so ausdrücken, ist nur die Uebersetzung eines großen Interesses in ein anderes, welches den Gedanken des Engländers nicht minder nahe liegt und seinem Wesen nicht weniger eigenthümlich ist.

Eine vollständige Beschreibung aller einzelnen Arten, eine umfassende Theorie und Anleitung zur Praxis, mit anderen Worten eine Erschöpfung des Gegenstandes würde die Aufgabe eines vielbändigen und eigentlich nie abzuschließenden Werkes sein. Uns aber kommt es nicht auf eine solche Erschöpfung an, nicht auf eine Durchwanderung des ganzen, unabsehbar weiten Gebietes. Wir haben genug, wenn wir uns, so zu sagen, einige der Höhenpunkte aussuchen und von da eine oberflächliche Umschau halten. Als die hervorragendsten Charaktere des Sport, denen wir eine Betrachtung im Einzelnen zuwenden können, wurden schon oben Cricketspiel, Segeln, Jagd und Fischfang und Pferderennen genannt.

Das Cricketspiel ist eine Verbindung verschiedener Hantirungen, welche Körperkraft und Geschicklichkeit in gleichem Maße üben und auf die Probe stellen. Werfen und Fangen, Schlagen und Laufen sind gewissermaßen die Grundelemente, aus denen das Spiel zurecht gemacht ist. Es wird regelmäßig von zwei gegeneinander streitenden Parteien unternommen, welche je elf Mann zu zählen pflegen. Auf einem ebenen Rasengrund sind in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritt zweimal drei Stäbe senkrecht in den Boden gesteckt, auf denen ein vierter querüber lose aufliegt. Dies sind die beiden sogenannten Wickets, welche den eigentlichen Gegenstand des Streites bilden. Jede Partei strebt mit dem Ball das Wicket der andern zu treffen, so daß der unbefestigte horizontale Stab herunterfällt. Die Abwehr des Balls geschieht durch einen Schläger oder Preller, mit welchem derselbe abgefangen und zu der Partei, die ihn schickt, zurückgeschlagen wird. Während dieser Zeit, die hingeht, bevor der Ball von der andern Partei wieder gefangen ist, darf der Spieler, welcher ihn zurückgeschlagen hat, zu dem andern Wicket hinüber und zu dem seinigen zurück, überhaupt so vielmals als möglich hin- und herlaufen. Nur muß er es so abmessen, daß er in dem Augenblick, wo der Gegner den Ball wieder in der Hand hat und im Begriffe steht, ihn auf’s Neue nach dem Ziele zu werfen, entweder neben seinem eigenen oder dem fremden Wicket steht, um den Ball in einem Falle abschlagen, im andern die Absendung verhindern zu können. Die Zahl jener Läufe, welche eine Partei vor der andern voraus hat, entscheidet schließlich das Spiel. Die Regeln und Vorschriften im Einzelnen sind ziemlich verwickelt. Alle Umstände und Verhältnisse sind vorgesehen und durch eine Art Gewohnheitsrecht geordnet: so die Entfernungen, die Art und Weise wie geworfen und gefangen werden muß, namentlich auch die Beschaffenheit des Balls und der Schläger. Letztere bestehen in einem flachen Stück Holz, am untern Ende in einen runden, zweihändigen Griff zugeschnitzt. Der Verbrauch an diesen Instrumenten ist ungeheuer, da sie zu Dutzenden durch den Stoß des Balles am Griffe abgebrochen werden. Nur altes, ausgelagertes Weidenholz gilt als dazu verwendbar, und auf den öffentlichen Spielplätzen sieht man die Scheite in hohen Schobern aufgeschichtet. Der Ball ist nicht elastisch. Das Material, aus dem er angefertigt wird, ist Strick und Leder, die, in künstlicher Weise zusammengearbeitet, eine Kugel fast von der Härte eines Steines geben. Der gewöhnliche Preis eines solchen Cricketballs ist nicht weniger als zwei bis drei Thaler. Die Wucht und Stoßkraft, womit derselbe auffliegt, ist eine außerordentliche und kann, wenn er den Körper des Spielers trifft, leicht eine schmerzliche Verwundung verursachen. Die Unterschenkel pflegen daher durch eine Leder- oder Korkschiene geschützt zu werden. Die große Geschicklichkeit besteht darin, den mit dem Preller zurückgeschlagenen Ball auf der Mitte der geöffneten Hand zu fangen und sofort die Finger zu schließen. Mancher Anfänger aber muß, ehe er die gehörige Sicherheit erlangt, sein Lehrgeld in einem zerbrochenen Finger oder unglücklichen Falls gar in einem eingeschlagenen Nasenbein bezahlen.

Cricketspiel ist von allen Sports, welche in eigener Ausübung und nicht im bloßen Zuschauen bestehen, der bei Weitem verbreitetste. Es ist buchstäblich nicht zu viel gesagt, daß es keinem Engländer fremd ist, welcher nicht geradezu den ärmeren Classen angehört. Der Knabe wird in die Kunst eingeweiht, sobald er nur kräftig genug ist, Ball und Schläger zu führen, und die Unterrichtung im Cricket ist, beiläufig gesagt, für einen tüchtigen Meister ein gutbezahlter Beruf. Aber das Spiel gehört durchaus nicht allein, ja nicht einmal vorzugsweise, der Jugend. Der erwachsene Mann und selbst der vornehme Mann bewahrt ihm nicht nur ein lebhaftes Interesse, sondern pflegt es und übt es selber fort, und mancher Graukopf tritt noch in die Schranken. Das Cricket ist aber auch, mit seiner kräftigenden Bewegung im Freien, von allen Sports vielleicht der, welcher den Körper am meisten bildet und stählt; jedenfalls ist es, mit seinem Wetteifern in wirklicher Geschicklichkeit, von allen der edelste. Nirgends fühlt sich der Sohn Albions wohler und heimischer, als auf dem Rasenanger, in dem leichten Beinkleide und der flacheingedrückten farbigen Mütze, der Uniform des Cricketspielers, Ball und Schläger in der Hand. Im ganzen Lande umher, in Stadt und Flecken, bestehen Clubs, welche die Pflege dieses Sport zum Zwecke haben; der erste von allen ist der sogenannte Marylebone-Cricket-Club, dessen Spielregeln fast allgemein angenommen sind. Und mehr: – wo den Angelsachsen sein rastloser Unternehmungsgeist hinführt, wo er auch sei auf dem Erdboden, daß er seinen Fuß hinsetzt und ein Haus baut, überall nimmt er sein Cricket mit. Unter Canada’s rauherem Himmel, unter der heißen Sonne des Ganges, in Nord und Süd, überall findet er einen grünen Plan für seinen Sport, der, wie Erholung uns allen, sein Bedürfniß ist.

Die Freude und das Interesse am Spiele steigern sich zu einem höheren Grade bei einem Cricket-Match, das heißt bei einem Wettstreit, welchen zwei übrigens einander fremde Parteien von Spielern auf eine Herausforderung hin um die Ehre und den Preis des Sieges veranstalten. Namentlich pflegen die verschiedenen Clubs sich in dieser Weise zu messen, und während des ganzen Sommers vergeht fast kein Tag, wo nicht irgendwo auf dem Boden Englands einer oder mehrere solcher Kämpfe ausgefochten werden. Der Spielplatz wird bei solcher Gelegenheit abgeschlossen und von den Zuschauern ein Eintrittsgeld erhoben. Ein unparteiischer Schiedsrichter, welcher immer ein gründlicher Kenner des Spieles sein muß, wird bestellt, um die Einhaltung der Regeln zu überwachen und etwa entstehende Streitigkeiten durch seinen Spruch zu schlichten. Der Preis, um den gestritten wird, besteht in Geld oder in einem andern Werthgegenstand, die von Freunden dieses Sport ausgesetzt oder durch Unterzeichnung aufgebracht werden. Der Ruf eines Clubs steht hier auf dem Spiele, und so wird denn von beiden Seiten das Höchste aufgeboten und mit einem Eifer gestritten, als ob es Ehre und Existenz gälte. Das Ballwerfen und Abschlagen wird da oft professionellen Spielern anvertraut, die darin eine außerordentliche Fertigkeit besitzen und nicht selten zehn Guineen und mehr für einen Nachmittag erhalten. Bringt der erste Tag keine Entscheidung, so wird der Kampf ausgesetzt und am folgenden frisch aufgenommen; bisweilen zieht er sich bis zum dritten und länger hin. Auch Absonderliches fehlt nicht, für welches der liebe Gott in dem Geiste der Engländer einen besonders großen Platz gemacht zu haben scheint. Vor nicht langer Zeit erhielt unter Anderm eine englische Gesellschaft von fernen Landsleuten in Australien eine Herausforderung. Welch gefundenes Essen! Die leidenschaftlichen Sportsmen hatten nichts Eiligeres zu thun, als sich mit dem nächsten Dampfer einzuschiffen und auf dem fernen Continent den Match auszumachen, worauf sie umgehends die Rückfahrt nach der Heimath antraten. Dem Londoner Publicum zeigten im vergangenen Sommer die Blätter einen rätselhaften Match unter der Ueberschrift: „Ein Arm wider ein Bein“ an. Tausende von neugierigen Zuschauern fanden sich auf dem Platze ein und trafen eine Gesellschaft von zweiundzwanzig Invaliden aus dem Greenwich-Hospital. Elf von ihnen hatten wirklich nur einen Arm. die Andern nur ein Bein. Mit den wunderlichsten Bewegungen führten die begeisterten Krüppel das Spiel aus, welches eigentlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_233.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)