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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

denn sie streckten die sehnigen Nacken und schüttelten fröhlich brüllend die Köpfe, als prüften sie, ob die bunten Kränze auch fest säßen. Der alte blöde Müller kroch von dem Einen zum Andern und betastete mit wohlgefälligem Brummen die Kränze und stieß die Glocken an, daß sie noch stärker schwangen und klangen.

Es war kein Grund des Verweilens mehr gegeben; wie die Mädchen auch zögerten, es mußte Abschied genommen werden. „So geh’ denn in Gottes Namen zu,“ sagte Kordel und bot Evi die Hand, „bis zum Abend komm’ ich auch nach. Den Vater nimmst Du mit Dir – er ist bei Dir so gut aufgehoben, wie bei mir – die kleine Kalbin laß mir da, sie lauft am liebsten mit mir, seit die Alte verkauft worden ist, und ich hab ihr einen besondern schönen Kranz gebunden...“

„Ich weiß nit, wie mir ist.“ erwiderte Evi, die Hand der Freundin fest haltend, „aber ich hab’ eine ganz eigene Bangigkeit in mir und kann mir selber nit sagen, warum. Wie wär’s, wenn ich auch noch bleiben thät? Wenn wir doch miteinander abtrieben?“

„Es geht nit – was würd’ sich der Bauer denken, wenn zur angesagten Zeit das Almvieh nit da wär? Das gäb’ einen schiechen (wüsten) Lärm, von dem ich nichts wissen möcht’! Sei wohl getröst, Evi – was soll mir denn geschehen?“

„Ich weiß nit – aber mir gefallt halt das Wetter nit.… der Wind springt alle Fingerlang um und ist so flauderisch. …“

„Mach’ Dir nit selber Flausen in Kopf!“ lachte Kordel. „Treib’ ab und sorg, daß Ihr gut heimkommt, alle miteinander – bis im Abend bin ich auch schon dort, wohin ich gehör’!“

Evi konnte nichts einwenden; sie bekreuzte sich, trieb das Vieh an und rief ihm zu – unter Glockenklingen und lustigem Gebrüll setzte die Heerde sich in Bewegung. Kordel blieb unter der Thür der Almhütte stehen und juchzte den Scheidenden nach. Mit einem Male aber gewahrte der Alte, daß sie zurückblieb, und war, so schnell er vermochte, zu ihren Füßen, um sie am Rocke zu zerren und brummend zum Mitgehen zu veranlassen. „B’hüt Dich Gott, Vater,“ sagte sie schmeichelnd, „geh’ nur mit der Evi, ich komm’ gleich nach – die Evi sorgt für Dich und giebt auf Dich Acht, gerad’ wie ich selber – nit wahr?“ fuhr sie herzlich fort, indem sie Evi, die wegen des Müllers zurückgelaufen war, die Hand reichte. Diese drückte sie ihr schweigend und ging mit dem Alten, der ihr nur ungern und wider Willen zu folgen schien und oft anhielt, um nach seinem Liebling umzusehen.

Kordel lehnte unter der Sennhütte, bis der ganze Zug um die Bergschneide verschwunden war. „Es ist g’spaßig,“ sagte sie dann halb vor sich hin, „es kommt mich schier auch hart an, daß sie gehen und daß ich so ganz allein bin aus dem weiten Gebirg … Ganz allein!“ fuhr sie fort, indem sie nach den umliegenden zerstreuten Almen hinüber sah. „Es haben Alle schon abgetrieben! Wenn ich länger dableiben müßt’ als bis zum Abend, es könnt’ mir ganz scheusam werden in der Verlassenheit … Wo nur der Bub’ mit den Geißen so lang bleibt. …“

Geblök vom Stalle her brachte sie auf andere Gedanken. „Die Kalbin röhrt,“ sagte sie, „sie hört die andern gehen und hat Zeitlang darnach … muß doch nach ihr umschauen. …“

Die Umschau war keine erfreuliche; das Thier lag in der Streu und stieß klägliche Töne aus, aber, wie das Mädchen bald erkannte, nicht aus Verlangen nach den abziehenden Gefährten, sondern aus Krankheit und Schmerz. Die geübte Pflegerin sah sogleich, daß es schlimm stand; das Thier mußte offenbar mit dem Futter etwas Ungehöriges verschlungen haben, was es unfähig machte, sich zu erheben. „Jetzt ist es gut, daß ich Dich da behalten hab’,“ sagte sie die Kalbin streichelnd, „wenn uns das unterwegs aufgestoßen wär, wär’s noch schlimmer … ich will Dir gleich einen Trank kochen, der Dir wieder aufhilft. …“

Bald stand sie am Heerde und machte so emsig Feuer an, daß sie darüber gar nicht bemerke, wie eine verrissene, schmutzig aussehende Gestalt, die bald nach Evi’s Entfernung hinter den Felsblöcken bei der Hütte hervorgekrochen war, behutsam an diese heranschlich und, sich auf den Zehen emporhebend, durch das keine Fensterchen hineinsah. Jetzt erst gewahrte Kordel, daß etwas vom Fenster weghuschte, und sprang beherzt der Thüre zu. „Wer ist da?“ rief sie. „Wer schleicht da herum um meinen Kaser? Ah, Du bist’s, Quasi!“ setzte sie zurücktretend hinzu und ließ den Bergstock sinken, den sie wie zur Vertheidigung ergrissen hatte. „Traust Du Dir auch wieder herein in die Ramsau?“

„Versteht sich,“ erwiderte der Bursche keck, „muß doch zeigen, daß ich auch noch auf der Welt bin! Brauchst aber kein so fuchswildes Gesicht zu machen, Kordel, daß ich zu Dir komm’ … solltest Dich eher dafür bedanken! Ich bin Eurem Geißbuben begegnet – die Geiß’ haben sich verstiegen gehabt bis in die schwarze Leiten hinüber – er ist gleich den Graben hinunter, weil er sonst einen Umweg von ein paar Stunden machen müßt, bis er wieder da heraus käm’ … er laßt Dir sagen, er sei schon unterwegs, und Ihr sollt Euch nit aufhalten lassen wegen seiner. …“

„So weit hat das Vieh sich verstiegen?“ erwiderte Kordel, indem sie den Burschen argwöhnisch betrachtete. „Das ist ja sonst gar sein Brauch nit – das muß uns Jemand absichtlich versprengt haben! Meinst es nit auch, Quasi?“

„Ich mein’ nur,“ sagte er, ihrem Blick ausweichend, „daß es wohl ein Vergelt’s Gott verdienen thät’, daß ich da herauf gekraxelt bin, um Dir die Botschaft zu bringen … aber behalt’s, Kordel, wenn’s Dich so hart ankommt – ich bin jetzt einmal da, wir sind allein miteinander – jetzt möcht’ ich einmal richtig erfahren, wie es denn ist mit uns Zweien.“

„Das kannst lang wissen,“ sagte Kordel kurz und wieder am Heerde beschäftigt.

„Ich wohl,“ erwiderte er lauernd, „aber ob Du es auch noch weißt? Ob Du noch daran denkst, wie Du mir begegnet bist, selbiges Mal – von Bertelsgaden herein?“

„Warum nicht?“

„Du hast gesagt – wenn ich ein Jahr lang gut thun und in Dienst gehen wollt’ und wollt’ den Branntwein lassen … dann sollt’s wieder sein zwischen uns, wie vor und eh’ … Ich hab’s nit vergessen, Kordel! – Zuerst hab’ ich darüber gelacht und bin wüthig gewesen über Dich und Deinen Stolz und bin hinaus in die Ebne’t und bin mit dem Kastel über der Achsel und mit dem Draht herumgezogen im Land … aber es hat mir keine Ruh’ gelassen. Immer wieder ist mir Deine Red’ eingefallen und zuletzt. …“ Er hielt einen Augenblick inne, als ob es ihn Ueberwindung koste, das auszusprechen, was ihm auf der Zunge saß. … „Zuletzt“ sagte er wie beschämt und doch unwillig über diese Scham, „zuletzt hab’ ich mir vorgenommen, ich will – thun, was Du verlangst...“

Kordel blickte ihn an; in ihrem Blicke lag die Ueberraschung wegen dieses Entschlusses mit dem Unglauben an seine Ausführung gepaart. Quasi verstand den Blick und rief hastig, eh’ sie etwas erwidern konnte: „Ich weiß, was Du Dir denkst! Du glaubst es nit, daß ich das will – Du haltst es für ganz unmöglich, daß ich das könnt’; so schlecht komm’ ich Dir vor, daß Du meinst, an mir ist doch Chrisam und Tauf’ verloren! Gesteh’s ein, Du hast das selbiges Mal nur deswegen gesagt – weil Du gedacht hast, so bringst mich am Ersten an … denn was Du verlangst, das geschieht doch niemals …“

„Das ist nit wahr,“ sagte Kordel ruhig, „das hab’ ich nit gedacht – und denk’s noch nit … Zum Umkehren ist es niemals zu spät. …“

(Schluß folgt.)



Der Guano und seine Fundorte.

Hätte einer unseren biederen ackerbautreibenden Altvordern gesagt. „Es wird eine Zeit kommen, wo der Bauer den besten Mist vom entgegengesetzten Ende der Erde, viele, viele hundert Meilen über weite Meere her beziehen wird“ – sie hätten ihn ausgelacht und die Richtigkeit in seinem Oberstübchen in Zweifel gezogen. Und doch ist diese Zeit gekommen, kein einsichtsvoller Landwirth lacht mehr über die Zumuthung, seine Felder mit antipodischem Dünger zu durchsetzen; der nimmer rastende menschliche Unternehmungsgeist hat das ehemals Unmögliche und Lächerliche möglich und vernünftig gemacht, tagtäglich sind viele mit Dünger schwerbelastete Schiffe auf hoher See, während der europäische

Landmann mit kluger Berechnung den Mehrbetrag erwägt, den ihm das kostbare Düngmittel bei der nächsten Ernte verschaffen soll.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_260.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)