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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

 Zeit sich erweiterte und klärte, so daß hier der Grund zu seiner humanen und idealen Weltanschauung, zu der ihm eigenthümlichen harmonischen Vollendung gelegt wurde. Auch die großen, welterschütternden Ereignisse des Jahrhunderts sollten nicht spurlos an ihm vorübergehen; in Begleitung seines Bruders und des früheren Erziehers Campe war es ihm vergönnt, den ersten, noch nicht mit Blut befleckten Triumphen der neugeborenen Freiheit in Paris selbst beizuwohnen. Hier traten ihm die Geschicke der Völker und die Lehren der Geschichte nahe, die sich in unauslöschlichen Zügen ihm einprägten. Der Rückweg führte ihn durch die Schweiz und Süddeutschland, wo er die großartige Natur, die türmenden Gebirge, die schneebedeckten Felsmassen und die eisigen Gletscher auf sein Empfindungsleben und seine Phantasie einwirken ließ. Immer blieb ihm aber der Mensch und sein Denken das Wichtigste; deshalb suchte er überall neue Verbindungen anzuknüpfen, so in Zürich mit dem bekannten Lavater, den er jedoch schon damals als einen geistreichen Charlatan richtig würdigte.

Vorbereitet wie Wenige seiner Altersgenossen trat Wilhelm von Humboldt nach beendeten Studien in den Staatsdienst; für ihn war die Hochschule zur wirklichen Universitas des Geistes geworden. Zwar fand er in Berlin den alten Kreis der Freunde wieder, aber die Stimmung, besonders in den höhern Gesellschaftsschichten, hatte sich wesentlich verändert. Die fast an Frivolität grenzende Aufklärung unter Friedrich dem Großen hatte einem noch verwerflicheren Pietismus weichen müssen, der durch des verrufenen Wöllner’s Religionsedict allen bisherigen Fortschritten des preußischen Volkes für immer eine Schranke zu setzen drohte. Ein unerschütterliches Bollwerk gegen diesen gläubigen Despotismus bildete das berühmte Kammergericht zu Berlin durch seinen Freimuth und erprobten Rechtssinn. An dieser Behörde arbeitete Wilhelm von Humboldt als Referendarius, und der Zufall wollte es, daß er bei einer der wichtigsten Entscheidungen dieses Gerichtes neben seinem Lehrer Klein als Protokollführer in einem Censurprocesse fungiren und so an dem folgenden Ausspruche wenigstens mittelbar Theil nehmen durfte: „Vielmehr verdient Beklagter öffentlichen Dank, daß er ohne Nebenabsichten als ein gewissenhafter und verständiger Staatsdiener seine Stimme gegeben und, so viel an ihm ist, die Rechte der Vernunft und die mit ihnen verbundene Ehre der preußischen Regierung aufrecht erhalten hat.“

Humboldt zog es unter den obwaltenden Verhältnissen vor, den Staatsdienst zu verlassen und nur noch seiner eigenen Ausbildung ferner zu leben, indem er den Grundsatz festhielt: „Der Moral erstes Gesetz ist: bilde Dich selbst, und nur ihr zweites: wirke auf Andere durch das, was Du bist.“ – Dieser Schritt wurde ihm wesentlich erleichtert durch die Begründung einer eigenen Häuslichkeit, indem er durch die Vorsorge der „empfindsamen Freundinnen“ die für ihn geschaffene Lebensgefährtin in Caroline von Dacheröden fand. Schon auf seiner Rheinreise lernte Wilhelm von Humboldt das durch Adel und Feinheit der Gesinnung ausgezeichnete Mädchen kennen, mit dem er sich bereits 1790 verlobte, um sie ein Jahr später als treue Gattin beglückt heimzuführen. Mit dem Titel eines Legationsrathes schied er aus dem preußischen Staatsdienste und bezog das Gut seier Frau, Burgörnen in der Nähe von Mansfeld.

Seinem Vorsatze getreu benutzte er die selbstgewählte Muße zu seiner Bildung im weitesten Umfange, indem er zunächst seine durch Heyne in Göttingen angeregten philologischen Studien wieder aufnahm. Schon im Dacheröden’schen Hause hatte Humboldt die Bekanntschaft des großen Philologen Wolf gemacht, der von Neuem mächtig in ihm die nie erloschene Liebe zu dem classischen Alterthum anfachte. Dennoch verlor er über diese Studien nicht den Sinn für die lebendige Gegenwart und ihre fortschreitende Entwicklung. Schon früher beschäftigte er sich mit den Schriften des großen Königsberger Philosophen Kant; immer mehr vertiefte er sich in dem Bergwerke der Gedanken, welche jener zuerst aufgedeckt. Ein Ergebniß des eigenen Nachdenkens und Forschens waren die „Ideen über Staatsverfassung“, worin er die Freiheit des Individuums gegenüber der bureaukratischen und politischen Bevormundung des Staates in Schutz nahm.

Die Vorliebe für Kant war der eigentliche Kitt jener Freundschaft zwischen Humboldt und Schiller, die sich zunächst aus ihren beiderseitigen Herzensangelegenheiten und Familienbeziehungen entwickelt hatte. Der Dichter des Don Carlos war der Magnet, welcher Humboldt von Burgörnen nach Jena zog, wo Schiller als Lehrer der Geschichte eine Anstellung gefunden hatte. Beide begegneten sich in demselben Streben nach den Idealen der Menschheit, in der gleichen ästhetischen Weltanschauung, in der Verehrung und dem Studium der Kant’schen Philosophie.

Das innige Verhältniß der schon früher befreundeten Frauen pflanzte sich auf die Männer fort, beide Familien bildeten bald nur eine; täglich sah man sich, und oft dauerte das anregende Gespräch bis spät nach Mitternacht. Mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen entwickelte der Dichter dem lauschenden Freunde seine erhabenen Gedanken, welche dieser in sich aufnahm und weiter zu immer größerer Klarheit entwickelte.

Kindespflicht und Familienrücksichten nöthigten Humboldt, den verehrten Dichter und Jena zu verlassen, da seine Mutter gefährlich erkrankt den Sohn in ihrer Nähe wünschte. An die Stelle der mündlichen Unterredung trat jener Briefwechsel mit Schiller, der ein herrliches Zeugniß für ihre Freundschaft und geistige Größe ablegt und zu den hervorragendsten Denkmälern deutscher Bildung gezählt werden darf. Einigen Ersatz für den abwesenden Freund gewährte der Umgang mit der geistreichen Rahel Levin und mit dem vielbegabten, wenn auch charakterlosen Gentz, der schon früher mit Wilhelm von Humboldt bekannt geworden war. Größtentheils aber beschäftigte sich dieser mit größeren kritischen Arbeiten, unter denen sein Werk „Ueber Goethe’s Hermann und Dorothea“ den ersten Platz behauptet und gleichsam sein ästhetisches Glaubensbekenntniß ausspricht.

Gleich nach dem Tode der Mutter trat Humboldt mit seiner Frau eine größere Reise an, die ihn zunächst nach Frankreich und dann nach Spanien führte, wo er durch Kenntnißnahme des Baskischen den Grund zu seinen späteren umfassenden Sprachstudien legte. Reich mit Schätzen des Geistes und neuen Anschauungen beladen, kehrte er über Weimar, wo er den theueren Schiller traf, nach Berlin und Tegel zurück. Hier wurde er nicht wenig durch den Antrag der Regierung überrascht, wieder in Staatsdienste zu treten. Durch den Cabinetsrath Beyme wurde er zum Ministerresidenten in Rom dem Könige vorgeschlagen und von diesem angenommen, ein Posten, den er trotz seiner Liebe zur Freiheit um so lieber antrat, da er ihm die Gelegenheit verschaffte, seinen Neigungen und Studien auf classischem Boden zu leben. Im Herbst des Jahres 1802 reiste Humboldt nach Rom, wo sein Haus auf dem Pincischen Hügel bald der Mittelpunkt einer ausgezeichneten Gesellschaft wurde, angelockt von dem Geiste Humboldt’s und der bezaubernden Liebenswürdigkeit seiner Gattin. Vor Allen waren Schriftsteller und Künstler, wie Schlegel, die Staël, Rauch, Tieck und Thorwaldsen, hier willkommen und gern gesehen. So benutzte er seinen Einfluß zur Hebung der Kunst, welche damals Hand in Hand mit unserer Literatur einen nie geahnten Aufschwung nahm, an dem Humboldt selbst keinen geringen Antheil hatte. In seiner amtlichen Stellung, die ihm hinlängliche Muße ließ, erwarb er sich die Achtung seiner Vorgesetzten sowie der römischen Regierung, bei der er Preußen in würdigster Weise vertrat.

Während er so in Rom voll classischer Erinnerungen schwelgte, stürzte indeß die Monarchie Friedrich des Großen, aus der sein hoher Geist längst gewichen war, unter dem Angriffe des neuen Cäsars schmachvoll zusammen. Schmerzlich war der Eindruck, den eine so unerwartete Niederlage hervorrief, aber in Humboldt lebte nicht nur die unfruchtbare Bewunderung des classischen Alterthums, sondern auch sein Bürgersinn, die männliche „Virtas“ der großen Vorwelt. Er beugte sich weder wie der abtrünnige Johannes von Müller vor Napoleon’s blendender Gewalt, noch flüchtete er wie Goethe vor dem Sturme der Zeit in die stille Wissenschaft, einem ohnmächtigen Quietismus huldigend.

Thätig nahm er an der Wiederbelebung und neuen Schöpfung des preußischen Staates Theil, die der Minister Stein unter den ungünstigsten Verhältnissen mit eherner Kraft in’s Leben rief. Der unglückliche König ernannte Humboldt zum Leiter des Cultus und Unterrichts, und dieser erfaßte seine große Aufgabe mit freudigem Opfermuthe und hohem Sinn, indem er den „deutschen Geist“ vor Allem als die einzige wirksame Waffe gegen die Gewalt und den Despotismus Napoleon’s richtig erkannte und in der Seele des niedergedrückten Volkes zu erwecken suchte. Er selbst rührte und schürte die heilige Gluth, indem er die ihm zu Theil gewordene Aufgabe der Erziehung des Volkes mit bewunderungswürdiger Energie und Weisheit löste. Für diesen

hohen Zweck schien ihm das Elementarerziehungswesen, wie es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_282.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)