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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Auf seine Fürsprache und Michael’s Bitten gelang es um so leichter, den Vater zu dem ihm außerdem gewiß sehr schwer werdenden Opfer zu bewegen, seinen erstgeborenen Sohn studiren zu lassen, als er selbst in seiner Jugend den glühendsten Wunsch gehegt hatte, ein Gleiches zu thun, sein Vater aber durchaus nicht zu bewegen gewesen war, seine Einwilligung hierzu zu geben.

Der Pfarrer übernahm es nun, Michael auf das Gymnasium vorzubereiten, und ließ ihn an allen Stunden seines Sohnes theilnehmen, den jener sehr bald weit überholte. Mit dem vollendeten siebzehnten Jahre konnte Michael schon in die Selecta (erste Classe) des Gymnasiums zu Altona eintreten und in seinem zwanzigsten Jahre bezog er die Universität Kiel, von wo er drei Jahre später (1835) nach Berlin abging, um da unter Leitung von Twesten, Hengstenberg und Neander seine theologischen Studien zu beenden. Im Sommer 1837 gab er seine erste Druckschrift „die Echtheit der Pastoralbriefe“ heraus, für die ihm das erste Schleiermacher’sche Stipendium zu Theil ward. Bald darauf ging er in der Hoffnung nach Halle, dort als Privatdocent Aufnahme zu finden. Allein so wie er im Jahre 1858 in Rostock, wie Viele glauben, aus dem Grunde sein Lehramt verlor, weil er nicht strenggläubig genug sei, so erregte er zwanzig Jahre früher in dem damals noch sehr rational gesinnten Halle Mißfallen durch seine Orthodoxie; genug, er wurde nicht angestellt und kehrte nun nach Kiel zurück, wo er während der Jahre 1839–1846 als Privatdocent erfolgreich wirkte und wo unterdessen die schönste und edelste Blume auf seinem späterhin so dornenvollen Lebenspfade für ihn herangeblüht war: Ingeborg, die älteste Tochter des Etatsrath Falck.

Leider konnte selbst das hohe Glück, das diese Liebe Baumgarten gab, den Kampf nur erleichtern, aber nicht beenden helfen, den der wahrheitliebende, gewissenhafte Theologe noch immer mit den in ihm aufgestiegenen Zweifeln zu durchkämpfen hatte, und erst nachdem drei Jahre verflossen, seitdem er der Verlobte Ingeborg’s war, fühlte er sich endlich plötzlich befreit von dem Elend, das im Ganzen fast sieben Jahre auf ihm gelastet hatte. In dieser Zeit schrieb er seinen „theologischen Commentar zum Alten Testament“, 2 Theile, und „Liturgie und Predigt“, und erst als er sich nun wieder völlig fest in seinem religiösen Bekenntnisse fühlte, trat er 1846 das Amt eines Pastors der aus Stadt- und Landbewohnern gemischten 4000 Seelen starken Gemeinde zu St. Michaelis in der Stadt Schleswig an, und erst dann fand auch seine eheliche Verbindung mit der Geliebten statt, die zum wahren Gottessegen für ihn geworden ist.

Wären nicht die Kämpfe der Herzogthümer mit allen ihren Folgen dazwischen getreten, wer weiß, ob das Pfarrhaus zu St. Michaelis in Schleswig nicht noch das wäre, wozu es durch dies seltene Paar geweiht ward: ein Tempel häuslichen Glücks, in welchen bald noch zwei holde Kinder, eine Tochter und ein Sohn, noch beseligendere Freuden brachten; die Zuflucht aller Mühseligen und Beladenen; der gastliche Heerd, an welchem Alles willkommen geheißen ward, was auf Bildung, reine Sitten oder Theilnahme Anspruch erheben konnte.

Allein nicht nur als vielgeliebter und verehrter Seelsorger und Kanzelredner, als Gelehrter und Schriftsteller, als musterhafter Familienvater und liebenswürdiger Gesellschafter war Baumgarten in Stadt und Land bekannt, sondern auch als einer der eifrigsten Vertheidiger und kräftigsten Stützen der deutschen Sache in den Herzogthümern. Dreimal ergriff er die Gelegenheit, dies offen und öffentlich zu bezeugen, nachdem sich im Frühjahr 1848 der Kampf in den Herzogthümern Schleswig-Holstein entsponnen hatte: 1) in der Druckschrift „Die Gewissensfrage der schleswig-holsteinischen Beamten“, die noch während der dänischen Landesverwaltung erschien; 2) in „Verbotene Fürbitte“ und endlich 3) als er am 5. November 1849 von den in Kiel zusammengetretenen schleswig-holsteinischen Deputationen zum Sprecher erwählt ward.

Diesem ehrenvollen Rufe leistete er nicht nur bereitwillig Folge, sondern er brachte auch sofort durch die Schrift „Ueberweisung der schleswig-holsteinischen Adresse an die Landesversammlung“ seinen Antheil hieran zur öffentlichen und allgemeinen Kenntniß.

Wie immer, so auch hier wieder, hatte Michael Baumgarten sich stets als der rechtschaffene, wahrheitliebende Mann gezeigt und sich keinen Schritt weit von der Laufbahn eines biedern, ehrlichen Charakters entfernt. Sein Leben und Wirken, sein Denken und Empfinden lag klar da vor den Augen der Welt, und wie er nun eben war, was er dachte und glaubte, das Alles mußten auch diejenigen wissen und kennen, auf deren Veranlassung er zum Professor der Theologie nach Rostock berufen ward, noch bevor die dänische Acht auch über ihn erging. Freudig, voll der schönsten Hoffnungen, hier einen noch größeren Wirkungskreis für seine fast beispiellose Thätigkeit und Arbeitskraft zu finden, folgte er im Jahre 1850 diesem Rufe, der anfangs alle seine kühnsten Wünsche und Erwartungen zu erfüllen versprach.

Mit seinen Collegen trat er bald in ein freundliches Verhältniß, seine Berufsthätigkeit befriedigte ihn vollkommen, und die Studenten schaarten sich um ihn, nicht nur mit hoher Bewunderung für seine große Gelehrsamkeit und mit Enthusiasmus für seinen biedern Charakter, sondern auch mit der herzlichen Anhänglichkeit und dem Vertrauen, wie Söhne zu ihrem Vater hegen.

Doch bald gab Baumgarten nach oben hin Anstoß durch verschiedene theologische Schriften, unter denen „Nachtgesichte Sacharjas“ am öftersten genannt sind, und von dem Erscheinen dieser Schrift an datirt sich die Spannung, in die er nach und nach mit seinen theologischen Collegen gerieth. Doch gab er sich noch immer der irrigen Meinung hin, sie in den gelegentlichen Disputen, in die er öfters mit ihnen gerieth, besiegt zu haben, weil er dabei schließlich stets das letzte Wort gehabt und sie dann doch immer noch in ganz leidlichen Verhältnissen zu einander geblieben waren. – Endlich aber, im Jahre 1857 brach der erste wirkliche Schatten über Baumgarten’s Leben herein, der seitdem zur Verderben bringenden Gewitterwolke für ihn geworden ist, die sein und seiner Familie ganzes Lebensglück zerstört hat.

Als Mitglied der Prüfungscommission hatte Baumgarten einem Candidaten der Theologie ein mißliebiges Sujet zu einer ersten Prüfungsarbeit gegeben, und in seiner Beurtheilung der letzteren fand sich nach einem allgemein aufgefaßten Lobe eine Stelle, durch die er in den Verdacht gerieth, revolutionäre Ideen verbreiten zu wollen. Eine Anklage hierüber gelangte bis zur höchsten Landesbehörde, von der dann Baumgarten sich zu rechtfertigen aufgefordert ward. Seine Rechtfertigung ward aber nicht als solche angesehen, und er empfing seine Entlassung aus der Prüfungscommission.

Welchen Eindruck dieses Ereigniß auf ihn hervorgebracht, konnte man aus seinem Benehmen nicht gewahr werden, denn ruhig fuhr er auch nach demselben fort in seinem theologischen Wirken. Schon oftmals hatte er in einer der Rostocker Kirchen Predigten gehalten, und sowohl sein Vortrag, wie seine Persönlichkeit, zogen stets eine zahlreiche Zuhörerschaft herbei. Bei dieser ihm lieb gewordenen Thätigkeit blieb er auch nach jener Entlassung, und ich wünschte von ganzer Seele, Baumgarten wäre stets Kanzelredner und Seelsorger geblieben. Als Redner steht er auf hoher Stufe. Seine Sprache ist einfach, aber edel, sie fließt dahin wie ein voller krystallheller Strom. Sein Organ ist voll und metallisch, so daß auch in den entferntesten Winkeln eines großen Locales seinen Zuhörern kein Wort seiner Rede entgeht. Bei ihm giebt es kein Stocken, kein Besinnen, kein Versprechen, keine Wiederholungen; Alles, was er sagt, scheint unmittelbar aus dem Herzen hervorzuquellen, und so dringt es auch zum Herzen, ohne doch den Geist umnebeln zu wollen. Wenn man ihm zuhört, wird man niemals versucht, sich der Zerstreuung hinzugeben, von Anfang bis zu Ende seines Vortrages ist man dabei mit Aug’ und Ohr wie mit ganzer Seele. Ja auch mit den Augen, denn die seinigen sind der Spiegel seiner Seele. Groß und dunkel ist ihr Blick, in der Regel voll und ruhig, allein so wie er etwas sagt oder hört, das ihn mehr als gewöhnliches Reden interessirt, so belebt sich sofort sein Auge und oftmals bis zur wahren Strahlenglorie, wenn der Gegenstand es verdient, und so begleitet sein Blick seine Empfindung und erhöht dadurch noch um vieles die seiner Zuhörer.

Im Jahre 1857 traf das Unglück auch noch in anderer Gestalt das edle Baumgarten’sche Paar. Der einzige Sohn Theodor starb. Mit welcher Ergebung und Würde das fromme Elternpaar diesen größten Schmerz seines Lebens zu tragen wußte, davon wissen Alle zu erzählen, die ihm näher standen. Aber das Schicksal war nicht müde, den braven Mann noch mehr zu demüthigen. Wenige Monate später, im Jahre 1858 ward seine Amtsentsetzung ausgesprochen, angeblich: „weil er in seinen Schriften Lehren und Grundsätze vorgetragen habe, welche in den wichtigsten Punkten von den Lehren und Grundsätzen der symbolischen Bücher abgewichen, weil

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_296.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)