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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Doch kehren wir zurück zu unserer eigenen abgebrochenen Schilderung. Verwandte ich die Morgen und Abende, sowie theilweise ja auch die Nächte auf Erreichung meines jägerlichen Zieles, so gab ich mich den Tag über ausschließlich den stillbeglückenden Einflüssen der herrlichen Herbstnatur hin. Stunden lang konnte ich dann unter den dunkeln Tannen auf weichem Moose oder im verblühenden Haidekraute an einer Berglehne liegen und die Blicke über die Waldhänge und unter mir liegenden baumumrauschten Felsengruppen und über die Thäler hinstreifen lassen, bis sie an den jenseits emporsteigenden blauduftig übergossenen Höhenzügen hangen blieben. Oder das Auge ruhte mit Wonne auf der zunächstliegenden Umgebung, die unter der sonnendurchwärmten zitternden Luft ein reizendes Bild des farbenprangenden Herbstes bot; denn hier glühten in purpurner Pracht die Beerenbüschel der zartgefiederten Eberesche, die in Genossenschaft silberstämmiger und goldlaubiger Birken den mit mächtigen Steinblöcken besäeten Vordergrund überragten, während den Boden wogende goldene Schmälen und andere Grasarten, wilder Thymian und Eriken bedeckten. Dazu lauschte das Ohr den Locktönen auf dem Zuge begriffener Drosseln, die sich an solcher Stelle vom Anblick ihrer Lieblingsspeise, der Ebischbeeren, und von der schmeichelnden Sonne gern bestimmen ließen, kurze Zeit zu rasten.

Doch nicht lange mehr sollte es so bleiben; das Herz hatte Recht mit seinen Ahnungen – die Herrschaft des goldenen Herbstes erreichte ihr Ende! Die ersten Tage im November brachten düster bewölkte, rauhe Tage, an denen noch dazu heulender Sturm mit unwiderstehlicher Gewalt die Forsten durchwüthete und manch machtvollen Baumrecken zersplitterte oder entwurzelt zu Boden warf. Welch einen Gegensatz bot nun der sturmgepeitschte Wald zu seiner früheren elegischen Stille! Das brauste und stöhnte, ächzte und dröhnte, wenn der rasende Orkan die Kronen der wettertrotzenden Tannen zusammenschlug und ihre gewaltigen Schäfte mit schrillem Ton aneinander drängte, daß es wie ein Wehruf durch die Luft wimmerte; oder es erklang durch all dieses Toben das helle Knattern der berstenden Stämme und der dumpfe Fall aus dem Boden gerissener Bäume, die dem entfesselten Element zum Opfer fielen! Endlich aber legte sich das wilde Tosen, nur noch in dem Wipfelchaos alter Bestände ertönte ein hohles Rauschen, als murrten die hohen Häupter der vom Sturm durchwühlten Tannen über die ihnen geschehene Unbill, bis auch da Schweigen eintrat und der Wald wieder stumm und regungslos ward. Aber in düsterer Hoheit lag er nun vor uns; kein goldener Sonnenschein durchleuchtete und erwärmte ihn – nur graue schneeverkündende Wolken jagten über ihn hin, und eisige Luft strich von Norden her über die Höhenzüge hinweg.

Eines Morgens aber, beim Erwachen, überraschte mich der herrliche Anblick blendenden Schneefalls. Wie freute ich mich darüber! Denn nicht nur, daß mir dadurch der Genuß wurde, die großartige Gebirgs- und Waldlandschaft in so eigenthümlicher Schönheit betrachten zu können, sondern auch dem Jagdteufel in mir sagte diese Erscheinung gewaltig zu, denn nun gabs ja einen Spurschnee, mit dessen Hülfe doch eher ein Geschäft auf die böhmischen „Großjacken“[1] zu machen war; also welch hoffnungsreiche Aussicht! Und wie gewünscht, nachdem es den Tag über ununterbrochen fortgestöbert hatte, hörte es gegen Mitternacht mit Schneien auf und wurde klar und kalt, so daß des andern Morgens eine kostbare „Neue“ lag, die zu benutzen mein freundlicher Wirth nicht einen Augenblick anstand. Bald waren wir, der Förster und ich, dazu gerüstet und auf dem Wege nach der Grenze, um vor allen Dingen zuerst diese abzuspüren. Nachdem wir dort gefunden, daß Hochwild herübergetreten war, fingen wir an, die Dickungen, in die Fährten führten, einzukreisen; doch überall war das Wild nur durchgezogen, ohne sich „gesteckt“ zu haben. Schon glaubten wir deshalb die Hoffnung auf glücklichen Erfolg aufgeben zu müssen, denn nur noch ein schmaler Streifen ungefähr zehnjähriger Fichtenschonung blieb uns übrig zu umgehen, worin sich möglicherweise – aber kaum voraussichtlich – Wild geborgen haben konnte. Da das Dickicht nach der Grenzseite zu an ein Gehau stieß, dessen gegenüberliegender Rand schon Nachbarland berührte, so blieb es – selbst im glücklichen Falle, daß wir das Gesuchte antrafen und einer von uns zu Schuß kam – immerhin eine mißliche Jagd, schon um der nahen Grenze willen, wohin dann jedenfalls das beunruhigte Wild floh, so daß, wurde auch eins davon angeschossen, doch zu erwarten stand, das Opfer werde auf fremdem Boden verenden und uns also verloren gehen. Deshalb schritten wir auch ziemlich kleinmüthig zu unserem letzten Versuche. Die Grenzseite abzuspüren übernahm der Förster, wogegen ich mich unterzog, auf einem alten Wege, der die entgegengesetzte Seite des Dickichts umschloß, dasselbe zu thun.

Zu meiner freudigen Ueberraschung fand ich bald die Fährten zweier Hirsche, eines sehr starken und eines schwächeren, die in das Dickicht hineinführten, ohne daß ich sie auf meiner Strecke noch einmal herausspürte. Freilich stand noch die Wahrscheinlichkeit bevor, daß die Hirsche auf der andern Seite, Böhmen zu, hinausgezogen und über die Grenze gegangen waren, was ja mein Jagdherr auf seinem Pfade bald inne werden mußte. Deshalb erwartete ich mit Ungeduld das Zusammentreffen mit ihm, um ein sicheres Resultat zu erfahren. Bald sollte mir solches werden. Lautlos kam der Waidmann im molligen Schnee dahergeschritten, das Auge aufmerksam auf den Boden geheftet, bis wir aneinander waren. Mit leiser Stimme stattete ich ihm Bericht von dem Befund meines Kreisens ab, worauf er vergnügt erwiderte: „So bekommen wir die Burschen in’s Feuer, denn bei mir ist keiner derselben hinaus!“ Also jetzt war Aussicht, von der Büchse noch Gebrauch machen zu können; ob mit Erfolg? das war eine andere Frage, die, meiner Ansicht nach, nicht eben hoffnungsvoll zu beantworten war, denn der Umstand, daß wir nur ihrer zwei und ohne Hund waren, schien mir, der Sachlage zufolge, ein entschieden ungünstiger, da das Dickicht, worin die Hirsche steckten, zwar schmal, aber seiner Länge wegen schwer nach allen Seiten hin zu beschießen war. Dazu mußte nothwendiger Weise Einer von uns die Dickung durchgehen, während der Andere sich vorstellte. Vielleicht konnten da aber die Hirsche zu entfernt vom Schützen ausbrechen und unbelästigt über die Grenze entkommen. Doch der Förster glaubte darauf rechnen zu können, daß die böhmischen Ueberläufer ihren Wechsel, den er genau zu kennen behauptete, inne halten würden, besonders da der Wind vortrefflich stand; er theilte also mein Bedenken nicht.

Aber ein anderer Punkt führte zu Erörterungen, und zwar der: wer von uns Beiden vortreten sollte. Jeder lehnte für seine Person ab, um den Andern nicht um die Ehre des Schusses bringen zu wollen, bis wir das Loos entscheiden ließen. Eine Büchsenkugel und eine Poste gaben die Würfel des Schicksals ab; die Kugel galt dem Schützen, die Poste aber bestimmte das Treiberamt, welches letztere – mir zu Theil wurde. Bei allem Leid, welches ich empfand, daß ich nachstehen mußte, fiel mir doch – ich gestehe es offen – dadurch gleichsam ein Stein vom Herzen; denn hätte mich Diana durch den andern Posten begünstigt und ich hätte dann in der Hitze gefehlt – ich wäre meines Lebens nicht wieder froh geworden! – Und wie leicht konnte das passiren! – Deshalb übernahm ich wohlgemuth meine Stelle, die auch mit Geschick betrieben sein wollte. Ruhig verhielt ich mich so lange an der Stelle, wo die Hirsche in das Dickicht gezogen waren, bis ich mit Sicherheit vernehmen konnte, daß der Förster seinen Stand bereits eingenommen hatte. Dann drang ich sachte auf der Fährte in die Dickung ein. Es war ein beschwerliches Fortkommen d’rin, denn in Massen lag der frischgefallene Schnee auf dem dichten Gezweig der enggeschlossenen Fichten. Dabei mußte ich das Gewehr, das ich zur Vorsorge schußfertig – im Fall ich die Hirsche passend zu Gesicht bekommen hätte – im Arme trug, vor Schnee und Losgehen bewahren und doch auch die ganze Aufmerksamkeit auf die Fährten richten, die sich manchmal trennten, aber immer wieder zusammen kamen. Ohne Lärm, jedoch absichtlich nicht völlig geräuschlos – etwa wie ein schlechtpirschender Sonntagsjäger – zog ich, immer die Fährte des starken Hirsches annehmend, darauf fort und kam darauf bald zu den frisch verlassenen Betten; die beiden Cumpane waren also bereits vor mir flüchtig, doch, wie die weitergehende Fährte zeigte, nur langsam weiter gezogen; ja, oft waren sie wieder stehen geblieben, sicherlich um zu lauschen, woher die Gefahr komme. Da ich noch keinen Schuß vernommen, auch sonst nicht gehört, daß die Hirsche bereits das Dickicht verlassen hatten, so folgte ich stetig ihrem Wechsel, auf dem sie manchen Wiedergang gethan, als ich den schneedumpfklingenden Schuß meines Cameraden hörte und gleich darauf auch dröhnendes Geräusch vernahm, das von den fliehenden Hirschen herrührte, die mit gestählten Läuften den Schnee bis auf den harten Boden durchgriffen.

Nun gab ich meinen Schleichgang auf, und nachdem ich den

  1. Großjacken: scherzhafter Ausdruck für Hochwild.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_327.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)