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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Hahn meiner Büchse in Ruh’ gesetzt, brach ich gleich einem flüchtigen Stück Wilde durch den Rest der Schonung durch, um nöthigenfalls mit der geladenen Büchse auf dem Wahlplatze von Nutzen sein zu können; aber nichts als den Förster, der eben mit Laden seiner Büchse fertig war, erblickte mein Auge. Beim Näherzusehen bemerkte ich wohl die sich im Schnee scharf kennzeichnenden Fährten beider Hirsche, die über die Blöße der Grenze zuführten. Als der Förster an mich herankam, versicherte er mich, daß er auf den starken Hirsch, den er als einen capitalen, hochgeweihten Burschen beschrieb, vortrefflich abgekommen sei und denselben auch gezeichnet habe. Und richtig, als wir auf den Anschuß kamen, lagen Schnitthaare da, und nicht weit durften wir auf der Fährte, die sich auch bald von der des schwächeren trennte, fortgehen, als wir Schweiß fanden.[1]

Natürlich folgten wir bis an die Grenze, wo wir leider vorerst Halt machen mußten, da wir die Nachfolge nicht hatten. Doch schob sich gerade an der Stelle, wo der Hirsch das Nachbarrevier betreten hatte, dasselbe nur als ein Keil in das meines Freundes herein, so daß möglicherweise, war der Hirsch nur noch fünfzig Schritt geradeaus weiter gekommen, er wieder meines Geleitsmannes Terrain erreicht haben mußte; deshalb zog ich, das Gewehr dem Förster übergebend, um als harmloser Spaziergänger auf fremdem Boden erscheinen zu können, auf der Fährte nach. Daß wir aber den Hirsch nicht erst krank werden ließen, lag in den Grenzverhältnissen, weil, befand er sich noch auf Nachbarrevier und war noch nicht verendet, er durch mein langsames Nachziehen rege werden mußte und dann jedenfalls auf das unsere, vor ihm liegende Terrain übertrat, wo wir ihm dann schon Ruhe gegönnt haben würden. Aber nicht lange brauchte ich zu suchen, denn kaum, daß ich die Zunge böhmischen Landes überschritten hatte und fünfundzwanzig Schritt weiter auf wieder heimischem Boden vorgedrungen war, erblickte mein Auge hinter Fichtenanflug die hingestreckte dunkle Gestalt des Hirsches. Wie flog ich auf den Gefällten zu und, nachdem ich die Enden des capitalen Vierzehnenders gezählt, nach meinem Freund Grünrock zurück, ihm die frohe Botschaft zu bringen! Bald waren wir nun Beide, das fremde Gebiet vermeidend, auf einem kleinen Umwege bei des Försters wohlerworbener Beute angelangt, deren Anblick den sonst ernsten Waidmann doch zu einem enthusiastischen Freudenruf hinriß. Da lag der stattliche Recke, der in seinem dunkeln Winterkleide, mit zottiger Halsmähne und dem weitausgelegten Schmuck seines Kopfes so recht ein Bild der Urwüchsigkeit bot. Hoch ragten die schwarzen, knorrigen Stangen mit ihrer respectablen Endenzahl aus dem blendenden Schnee empor, daß der Anblick dieser Trophäen wohl im Stande war, eines Jägers Herz vor Wonne hochauf schlagen zu lassen. Mit freudigem Stolze betrachtete deshalb der Erleger seine Beute, während ich ihm sein Jagdglück von Herzen gönnte, wenn auch nicht ganz ohne Beimischung eines etwas wehmüthigem Gefühles, dabei leer ausgegangen zu sein.

Da der Hirsch dicht an der Grenze Böhmens lag, wo man schon erwarten durfte, daß Unberufene darüber kommen könnten, so bat mich der Förster, der zuvor die Haken zu sich gesteckt hatte, so lange am Orte bleiben zu wollen, bis er Fuhrwerk aus einem nahen Dorfe requirirt haben werde, um den Hirsch nach dem Forsthause schaffen zu lassen. Gern übernahm ich die Wache, wobei ich mich auf die fast noch warme Beute setzte. Aber nicht lange durfte ich mich auf meinem originellen Divan einsamen Betrachtungen hingeben, denn bald erschien ein Bauer mit seinem Fuhrwerk, einem Schlitten, auf dem Platze. Nachdem der königliche Todte auf die Schleife gebunden worden war und der Fuhrmann sich vorn aufgesetzt hatte, ging die Fahrt dahin. Höchst malerisch, weshalb ich auch diese Scene bildlich beigegeben, gestaltete sich der Zug, als er durch einen Hohlweg in den heimlichen, schneebelasteten Hochwald einzog. Mit Energie schnaubte der zottige Braune vor seiner Last daher, daß den weitgeöffneten Nüstern der dampfendheiße Odem entströmte und in leichten Wölkchen dahinzog. Sein origineller Lenker aber, der gemächlich mit hereingezogener Mütze, dickem Pelze und plumpen Aufschlagstiefeln vorn auf dem Schlitten saß, repräsentirte so recht den Typus des biedern Erzgebirgers. Dabei war er – wie aus seinen Aeußerungen hervorging – eine von jenen Bauernaturen, welche die Jagd, wenn auch nicht selbst betreiben, doch über Alles lieben und sich gern – natürlich nur für Geld und gute Worte – zu Dienstleistungen bei derselben verwenden lassen. Diese Liebhaberei bewährte unser „Pelzbauer“, wie man ihn im Dorfe nannte, auch dadurch, daß er sich einen recht hübschen Schweißhund hielt, den er jung von einem Jäger bekommen hatte, und der das winterliche Jagdbild, die Abfuhr des Hirsches, nicht unwesentlich vervollständigte, indem er dem Zuge folgte.

Kaum hörbar glitt der Schlitten durch den weichen, tiefen Schnee, während des Rosses Hufe mit dumpfem Schall den Boden stampften. Massig entluden die schneebelasteten, niederhängenden Aeste der Tannen und Fichten ihren Schmuck, indem das Pferd sie beim Vorwärtsschreiten mit dem Kopfe streifte; oder der lose Winterflaum bröckelte aus höheren Zweigen hernieder, wenn Goldhähnchen und Meisen sich lustig darauf herumschaukelten. Aber bald hatte der kleine Jagdtroß den tiefen Wald hinter sich und zog, seine Beute zu bergen, ein in das erreichte Forsthaus, das mit seinen hirschgeweihgeschmückten Giebeln unter den verschneiten Linden höchst anmuthend vor uns lag.

Denselben Abend noch duftete gar würzig die gebratene Leber des erlegten Hirsches auf dem Tische meines freundlichen und fröhlichen Wirthes. Mir wurde das schmackhafte Gericht zum Abschiedsmahl, denn des andern Morgens folgte ich dem gebieterischen Muß – und eilte meiner Heimath zu.





Wann, wann marschiren wir gen Norden?


Wozu, Ihr Fürsten, Eure Heere,
Zu wessen Dienst sind sie geweiht,
Wenn träg bei Fuß noch die Gewehre,
Indeß das Volk längst marschbereit?

5
Ein feig Commando: „Hahn in Ruh’!“

Läßt es die deutsche Ehre morden,
Des Volkes Stimme ruft Euch zu:
Wann, wann marschiren wir gen Norden?

Wann, wann marschiren wir gen Norden?

10
Wann endlich in den heil’gen Krieg?

Kein Krieg um Titel oder Orden,
Ein Kampf für uns’res Rechtes Sieg,
Für das, was heilig in der Welt,
Zu enden jenen alten Hader,

15
Der schon Jahrhunderte geschwellt

Des deutschen Volkes Zornesader!

Fragt nicht: wer hat die Schmach verschuldet,
Ihr, die Ihr thatenlos geträumt,
Wir, die wir Euren Traum erduldet?

20
Nun jeglich Maß jetzt überschäumt:

Jetzt schreit zum Himmel uns’re Noth,
Sie triebe Lämmer aus den Horden,
Jetzt wird die Frage zum Gebot:
Wann, wann marschiren wir gen Norden?

25
Wann wird auf Holsteins grüne Wiesen,

Das Grab, drin uns’re Ehre ruht,
Ein rächend Sühneopfer fließen
Des dän’schen Büttels trotzig Blut?
Wann wird durchweht vom Freiheitshauch

30
Die deutsche Eiche Schleswigs rauschen,

Um ihren Stamm nach deutschem Brauch
Das Volk dem deutschen Liede lauschen?

Wozu, Ihr Fürsten, Eure Heere?
Behaltet sie um Euch geschaart,

35
Es sei des deutschen Volkes Ehre

Vom deutschen Volke selbst gewahrt!
Blickt auf, wir stehen Mann an Mann,
Zum Jüngling ist der Greis geworden,
Und Deutschland selber führt uns an –

40
Wann, wann marschiren wir gen Norden?!


Albert Traeger.
  1. Daß man im November noch auf starke Hirsche schießt, da wo kein Wildschaden bezahlt wird, man also auch nicht hegen kann, besonders wenn die Grenznachbarn durchaus nicht schonen, wird kein Jäger dem andern verargen; denn dann kommt es ja nicht darauf an, ob der Hirsch an Wildpret gut ist, sondern es handelt sich, meiner Ansicht nach – zuerst um das Geweih und die Ehre, einen starken Hirsch geschossen zu haben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_328.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)