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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Stufe für sein Glück macht, weiß nicht, was er in seiner Leidenschaft begehen mag. Im Uebrigen tröste und leite Dich Gott, mein Sohn, und solltest Du einmal fühlen, daß ein ehrlicher treuer Kampf für ein reines Gewissen doch allein das Rechte für einen wahren Mann ist, so komm zu Deinem Onkel, er wird Dir als treuer Freund zur Seite stehen und Dir eine Genugthuung kennen lehren, größer als Dein heißes Blut sie Dir jemals geben könnte!“ Er nickte zweimal dem jungen Manne freundlich und dennoch mit dem Ausdruck unverhehlter Bekümmerniß zu und ließ dann sein Pferd in die Straße einbiegen, welche nach einer kleinen Zahl abgesonderter Besitzungen an der jenseitigen Anhöhe führte.




Es war sieben Uhr am nächsten Morgen, und der Doctor schritt langsam aus seinem in der ganzen Pracht des Sommers prangenden Garten der Hinterthür seines kleinen Hauses zu, wo die alte Haushälterin bereits zum zweiten Male gerufen, daß der Kaffee kalt werde, als er eine Gestalt mit abgetragener Soldatenmütze, einen kräftigen Stock in der Hand, mit dem Ausdruck vollen Amtseifers auf sich zukommen sah. „O, der Flurschütz von drüben!“ sagte er kopfnickend, nachdem er, einen Augenblick stillstehend, den Herankommenden erkannt, „etwas Besonderes bei Euch?“

„Ich denk’s, Herr Doctor,“ versetzte der Angeredete; „sie haben heute Morgen den Herrn Amtsrath erschlagen im Obstgarten aufgefunden; der Herr Justitiar hat gleich nach dem Gericht in der Stadt geschickt, vorläufig aber selbst die nothwendige Untersuchung vorgenommen und wünscht, wenn auch dem unglücklichen Herrn nicht mehr geholfen werden kann, daß der Herr Doctor sogleich hinüber käme, um über die besondere Art des Todes ein Gutachten abzugeben.“

Der alte Arzt stand mit weit aufgerissenen Augen und völlig starren Zügen, als habe er einer Medusa in’s Antlitz geblickt; zwei Mal zuckte es um seinen Mund, als wolle er fragen und vermöge doch nicht das rechte Wort zu finden; dann wandte er sich plötzlich ab und rief mit einer Stimme, die auf wunderliche Weise in die Fistel überschlug: „Jakob, mein Pferd, aber rasch!“ und als er hinter den Sträuchen des Gartens eine breite Gestalt auftauchen sah, die mit einem „Gleich, Herr Doctor!“ die Hacke bei Seite stellte, schritt er in Hast, als habe er den Boten neben sich völlig vergessen, nach dem Hause.

Zwei Minuten darauf aber, als eben der „Flurschütz“ mit der Hand unter seine Mütze fuhr und zu überlegen schien, ob er so ohne Weiteres den Heimweg wieder antreten solle, erschien die wohlgenährte Gestalt einer ältlichen Frau in dem Eingange zum Garten und winke ihm hastig zu, heran zu kommen. „Sie trinken doch eine Tasse Kaffee, oder nehmen eine Magenstärkung?“ sagte sie halblaut, als Jener dem Winke bereitwillig Folge geleistet; „was ist denn das um Gotteswillen für eine Bestellung, die Sie gebracht, ich habe ja doch den Doctor in den letzten zehn Jahren noch nicht so confus gesehen?“

In der nächsten Viertelstunde trabte der Arzt auf seinem Klepper bereits dem Walde zu, und das runde Thier schüttelte oft unwillig den Kopf, wenn es immer wieder scharf die Gerte fühlte, sobald es bei dem aufsteigenden Wege den Versuch zu einem langsameren Schritte machte. Als der Alte endlich auf dem Vorplatz des Hauses, das er am Abend zuvor noch in vollem Frieden verlassen, abgestiegen war und, wie um sich zu sammeln, sich die heiße Stirn wischte, trat ihm von den Stufen der Hausthür langsam ein städtisch gekleideter Mann entgegen, der, wie unter einem Gewicht von Sorgen, sich in dem buschigen grauen Haare wühlte.

„Kommen Sie einen Augenblick mit mir, Doctor, ehe wir zur Hauptsache schreiten,“ sagte dieser, „ich möchte ein paar besondere Worte mit Ihnen reden, bevor der Gerichts-Commissar aus der Stadt hier ist.“

Der Doctor nickte, als treffe er nur auf die Bestätigung eines eigenen Gedankens, und folgte dem Voranschreitenden nach demselben Zimmer, in welchem er Tags zuvor die Hausherrin mit seinem jungen Freunde gefunden. „Doctor, wir haben hier einen ganz entsetzlichen Fall, und doch sträubt sich noch Alles in mir, an das zu glauben, worauf einzelne Zeugenaussagen bereits klar schließen lassen,“ begann Jener, sich mit einem raschen Strich über sein Gesicht auf einem der Stühle niederlassend, „ich will kurz die Hauptsachen des Geschehenen resumiren, dann sagen Sie mir, was der schlichte Verstand eines Nicht-Juristen daraus schließen würde, und vielleicht ändert sich dadurch eine Ueberzengung in mir, die zu Maßregeln führen müßte, gegen die sich Alles, was rein menschlich in mir ist, empört!“

Der Arzt neigte wie unter einem harten Drucke sein Haupt. „Sprechen Sie, Herr Jutstitiar!“ sagte er, langsam und schwer von dem nächsten Stuhle Besitz nehmend.

„Es war heute Morgen nach vier Uhr,“ begann der Andere, die Stirn in die Hand legend und den Ellbogen auf das Knie stützend, „als mich der Verwalter mit der Nachricht weckte, daß soeben der Amtsrath todt im Obstgarten gefunden worden sei. Als ich in Hast mich nach dem bezeichneten Platz begeben, fand ich das Folgende: Der unglückliche Mann, welchen noch Niemand hatte berühren wollen, lag zum Theil auf seinem Gesichte in einer Lache von geronnenem Blute; er war in dem Anzuge, welchen er bei seinen Ausgängen trug, sein Hut fand sich unweit von ihm, und es ließ sich vermuthen, daß er bei seiner Heimkehr Nachts auf seinen Mörder getroffen, oder daß dieser ihm aufgelauert. Als wir den bereits völlig steifen Körper zum Transport in das Haus aufgehoben hatten, fand sich hart daneben ein nur theilweise vom Blute besudelter gemslederner Reithandschuh, den ich zu kennen meinte, wenn ich auch im Augenblicke nicht sofort wußte, wohin in meinem Gedächtnisse damit; daß er dem Amtsrathe nicht gehören konnte, ging schon aus dem Mißverhältnisse zwischen dessen breiter Hand und der geringen Größe des betreffenden Objects hervor. Ich nahm den Fund an mich; was aber eine weitere Nachforschung an Ort und Stelle bot, war fast mehr geeignet, aus dem Falle ein völliges Räthsel zu machen, als einen Anhalt für die kommende Untersuchung zu geben. Der Todte hatte seine Uhr und Börse noch bei sich, eine Beraubung als Motiv für die That konnte also nicht angenommen werden; das Gras, in welchem er lag, ließ nirgends ein Zeichen sehen, daß ein Kampf stattgefunden hätte oder auch nur vielfache Tritte gethan worden wären, und daß der Ermordete auf das Gesicht gefallen, ließ nur auf einen raschen, unerwarteten Angriff in seinem Rücken schließen, wie sich dies auch, als wir den Unglücklichen gereinigt und entkleidet, durch eine breite, augenscheinlich von hinten beigebrachte Stichwunde in der Seite zu bestätigen schien. Wem aber konnte, soweit ein Vertrauter des Amtsraths, wie ich es war, zu denken vermochte, soviel an dem Tode dieses Mannes liegen, daß er zu einem nächtlichen Meuchelmord seine Zuflucht nahm? Was auch Schlimmes an ihm sein mochte, so war doch seine Weise: zu leben und leben zu lassen, nirgends danach angethan, ihm einen so verzweifelten Todfeind zu verschaffen, wenn nicht ganz besondere, noch kaum geahnte Verhältnisse ihm einen solchen erworben!“

(Fortsetzung folgt.)



Schweizer Alpen-Bilder.
Nr. 5. Das Alpenrindvieh.

Es ist nur ein schmaler Streifen der Alpen, den die Natur dem Sennen zum Betriebe seines Berufs angewiesen hat. Bis zu 4000 Fuß über dem Meere hat sich fast überall die regelmäßige Bodenbewirthschaftung emporgerungen, und schon 1500 Fuß höher tritt ihm der ernste Geist der unwirthbaren Felsen, der unergiebigen Geröllhalden und der zerschründeten Gletscher mit seinem eisigen Hauche wehrend entgegen. Auf diesem kleinen Streif findet der eigentliche Gebirgsbewohner der Schweiz, der Senne, mittelst seines geliebten Alpenrindviehs seine Existenz und in den grünen saftigen Alpenkräutern das nöthige Futter für seine milchtragenden Kühe.

Wir wollen uns nicht in tiefgehende gelehrte Forschungen über die Abstammung des Alpenrindviehs einlassen; es mag uns genügen, daß unser ehrlicher Hausochse sich schon auf eine ganz respectable Ahnenreihe berufen kann, da sein Geschlecht weit über alle geschichtlichen Ueberlieferungen hinaufreicht. Einen eigentlichen schweizerischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_372.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)