Seite:Die Gartenlaube (1863) 442.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

neigte sich gegen die Brust. Der Zorn wich. Eine Thräne stahl sich ganz heimlich und unwillkürlich in das trotzige, blaue Auge des Königs. Er hatte unter den Verschwörern einen Namen gefunden, dessen Lesung den Zorn verscheuchte, aber die Wehmuth in sein rauhes Soldatenherz trieb; den Namen seines alten Freundes, seines treuen Kriegsgefährten. Ja – auch er war mit im Complote: „Leopold von Anhalt-Dessau.“ Von nun an galt Clement dem Könige als Schutzengel. Er erhielt die glänzendsten Anträge, wies aber Alles zurück. „Was mir Eure Majestät auch bieten können,“ sagte er, „es würde nur ein unbedeutendes Geschenk gegen das Glück sein, welches dadurch über mich gekommen ist, daß ich Sie von großer Gefahr errettet habe.“

Er bat auf’s Inständigste, ihn nach dem Haag reisen zu lassen, wogegen der König protestirte, der seinen Freund gern in der Nähe behalten wollte. Clement machte aber geltend, daß er im Haag besser für des Königs Interesse arbeiten könne, auch würden die Höfe von Dresden und Wien Verdacht schöpfen, wenn er sich nicht auf den bestimmten Posten begebe. – So willigte der König endlich ein. Vor der Abreise hatte er noch einige Unterredungen mit Clement. In diesen zeigte der Ungar eine so genaue Kenntniß der inneren Verhältnisse des preußischen Staates, seine Ansichten über Finanzen, Ackerbau, Militär etc. waren so treffend, daß der König ihn für ein Genie halten mußte. Vollständig gefangen ward der Monarch durch die Uneigennützigkeit Clement’s. Ein Geschenk von zwölftausend Thalern, welches ihm geboten wurde, schlug der Agent hartnäckig aus, „da er noch Nichts gethan habe, um dasselbe zu verdienen.“ Er bat nur um Wiedererstattung der Kosten, welche ihm etwa durch die Bestechungen der Creaturen des Wiener Cabinets im Haag erwachsen möchten. Um endlich den König ganz für sich einzunehmen, schwur er vor Jablonsky die katholische Religion ab und ward reformirt. Dann reiste er nach Holland. Friedrich Wilhelm hatte aber nicht eher geruht, bis Clement die zwölftausend Thaler angenommen hatte.

Welche Beweggründe veranlaßten den Ungar Clement nun überhaupt eine solche Intrigue zu spielen? Er hatte schon in früheren Jahren die verwerflichsten Dienste als Spion, Fälscher und Ankläger geleistet. Unter dem Namen eines Barons v. Rosenau war er als Agent des Fürsten Rakoczy beim Utrechter Friedensabschlusse thätig. Er hatte diesem kühnen, unglücklichen Usurpator als Secretär gedient, begleitete ihn auf der Flucht nach Frankreich und der Türkei, stahl ihm aber in Constantinopel seine wichtigsten Papiere, entkam mit diesen nach Wien und lieferte sie dem Prinzen Eugen aus. Eugen zahlte gut; wie es den Verräthern aber gewöhnlich geht – so auch Clement – er ward verachtet, und von der Stellung, die er zu erreichen geträumt hatte, war keine Rede mehr. Wuth im Herzen verließ er Wien und ging nach Dresden, wo er sich durch verschiedene wichtige Spionagen dem Herrn von Flemming dienstbar zeigte. Er sollte angestellt werden, allein die vagabundirende Angeberei gefiel ihm besser. Er reiste umher, lediglich in der Absicht zu spioniren, und nahm dann und wann ein Sündengeld an, welches ihm nach geliefertem Rapporte hingeworfen ward. Daß ein solcher Mensch übrigens mit Talenten begabt sein mußte, versteht sich von selbst. Außer seinen geistigen Fähigkeiten besaß Clement auch viele technische.

Dahin gehörte besonders die unheilvolle Gabe, Handschriften jeder Art auf’s Täuschendste nachahmen zu können. Kurze Zeit genügte für den gewandten Betrüger, um sich die Gewißheit zu verschaffen, daß die Höfe von Wien und Dresden in keinem besonderen Vernehmen mit dem Berliner Hofe standen. Sofort baute er sich einen Plan zusammen. Er wollte durch Erregung von Zwistigkeiten sein Glück machen, zugleich aber auch sich an dem Wiener Hofe rächen und dem Dresdner einen Beweis geben, wie wichtig seine Person durch die Verhältnisse werden könnte. – Seinen Aufenthalt in Berlin hatte Clement benützt, um sich Verbündete zu schaffen. Dies war ihm schnell gelungen. Er fand drei Subjecte, welche nicht vortheilhafter für seine Zwecke gedacht werden konnten. Der erste war der Baron und Finanzrath von Heidekam. Heidekam’s Vater war anfänglich Kammerdiener unter Friedrich I. gewesen und hatte es, später in das Finanzfach übergegangen, zu großen Reichthümern gebracht. Diese Schätze brachten den Sohn mit den Gesandtschaftsposten in Berührung, wodurch er sich gänzlich ruinirte. 1714 war er in größter Dürftigkeit. Durch den Heren von Ilgen erhielt der junge Heidekam eine Stelle zu Stralsund bei dem Könige von Schweden, welche fast dieselbe wie die durch Clement in Dresden verwaltete, d. h. die eines Spions war.

Nach seiner Rückkehr von Stralsund hatte Heidekam dasselbe Loos wie Clement. Niemand kümmerte sich um ihn. Die Freunde, welche während seines Wohlstandes mit ihm geschwelgt, kannten ihn nicht mehr. Dies Alles bewog ihn, mit Clement, zu dem er überhaupt gut paßte, sich zu vereinigen. Er gab demselben genaue Notizen über alle dem König Friedrich Wilhelm nahestehenden Personen, brachte auch eine Menge Briefe der Minister zum Vorschein, welche von Clement dazu verwendet wurden, die Handschriften der höchsten Staatsbeamten nachzumachen und dann in ihrem Namen Briefe zusammenzustellen, durch die sie als Mitglieder der Verschwörung gegen ihren Monarchen erscheinen mußten.

Der zweite Helfershelfer war der geheime Kriegssecretär Bube, er setzte Clement von Zuständen des Kriegswesens in Kenntniß. Der dritte im schönen Bunde endlich war ein gewisser Lehmann. Er galt in Berlin für einen Residenten des Herzogs von Sachsen-Weimar und hatte bedeutende Verbindungen mit den Domainen-Beamten, wodurch es ihm leicht ward, den Clement von der Finanzlage zu unterrichten. Hieraus erklärt sich die dem Könige so wundersam erscheinende Kenntniß der preußischen Verhältnisse, welche Clement bei den Unterredungen an den Tag legte. Man wird zugeben, daß die Täuschung sehr begreiflich war. Seine Hülfsarmee im Rücken war Clement also, das königliche Geschenk in der Tasche, nach dem Haag abgereist.

Sobald Clement Berlin verlassen hatte, verfinsterte sich die Laune des Königs vollständig. Durch die Räume seines Schlosses schritt er mit unheimlicher Hast. Seine Blicke waren unstät. Er mied selbst die Mitglieder seiner Familie, da er auch in ihnen nur Feinde sah. Man bemerkte, daß er sogar die militärischen Angelegenheiten nicht mit gewohnter Pünktlichkeit betrieb. Auf Leute seiner Umgebung, welche leise mit einander sprachen, trat er sofort schnell zu und fragte barsch: „Was sie mit einander zu tuscheln hätten?“ Der giftige Same des Argwohns, den Clement ausgestreut, wucherte so mächtig, daß der König sein Leben stets bedroht glaubte; er schlief daher nicht anders, als mit zwei unter seinem Kopfkissen befindlichen scharfgeladenen Pistolen. In der Folge sprach er fast gar nicht mehr und verfiel in eine Melancholie, die in der That seine ganze Umgebung, namentlich aber den „alten Dessauer“ tief rührte und nachdenklich machte.

Es war ein heißer Tag des Dienstes gewesen. Von der Parade kommend, schritt der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau durch einen langen Corridor des königlichen Schlosses zu den Gemächern des Monarchen, woselbst noch eine Besprechung der höheren Officiere stattfinden sollte. Kaum war er in den Gang getreten, so gewahrte er am andern Ende desselben den König, der gerade auf ihn zukam. Friedrich Wilhelm bemerkte den Fürsten nicht. Er hatte den Kopf gesenkt, seine Blicke suchten den Boden, seine Arme hielt er auf dem Rücken. In diesem Corridor ging der Herrscher seit mehreren Wochen jeden Tag eine Stunde lang spazieren. Er mied die freie Gegend, welche Feinden zum Verstecke dienen konnte. Sobald die Schritte des Fürsten dem Könige hörbar wurden, hob er schnell das Haupt empor, blickte Leopold finster an, wandte sich mit unwilliger Gebehrde und schritt auf seine Zimmer zu.

Der Fürst faßte einen raschen Entschluß. Er eilte hinter dem Könige her, es mußte endlich klar werden zwischen Beiden, die Gelegenheit war günstig. – Wenige Schritte hatten die Freunde gethan, als sich der König plötzlich umdrehte; seine Augen funkelten, im Nu sprang er zur Seite, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Corridors, und im nämlichen Augenblicke blitzte auch schon der blanke Degen in seiner Rechten, während er selbst eine Fechterposition annahm. „Was haben Sie im Sinne?“ rief er, „was wollen Sie mir anthun?“ Der[1] Fürst, höchst betroffen von diesem unerwarteten Auftritte, sammelte sich jedoch sogleich. Ebenso schnell, als der König seinen Degen aus der Scheide gezogen hatte, nahm der Dessauer den seinigen aus dem Gehenke. Er warf ihn wohl zehn Schritte weit von sich, daß der Corridor dröhnte, und trat nun unbewaffnet dem König gegenüber. „Hier stehe ich, Majestät,“ rief der Fürst seine Weste aufreißend, „stoßen Sie mich nieder, aber halten Sie mich nicht für fähig, Ihnen nach dem Leben zu trachten. Lieber Herr, reden Sie offen. Welch’ ein Kummer drückt Sie? Wir sehen es Alle mit Wehmuth, und besonders ich, der ich mir Nichts vorzuwerfen habe. Das ist so wahr, daß ich meine Reichsfürstenwürde niederlegen und von Ihnen wie der

  1. WS: Fehlendes D ergänzt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_442.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)