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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

kündigte diesen Beschluß dem Cultustminister von der Pfordten an und forderte ihn auf, einen Professor neuer Schule nach Leipzig zu berufen, was auch bald darauf geschah, indem der berühmte Oppolzer aus Prag (des dasigen Czechentreibens müde) den Ruf nach Leipzig annahm und dort ziemlich ein Jahr als ärztliches Wunder für Studirende und Publicum, und als intimster Freund Bock’s lebte. – In diese Zeit, während einer Ferienreise Oppolzer’s, wo ihn Bock vertreten mußte, fiel jene mörderische Choleraepidemie, wo Bock allein die ganze Spitalskrankenpflege und noch städtische Praxis dazu besorgen mußte, wobei er selbst von der Krankheit befallen wurde und ihr nur mit Mühe entging. Für diese außergewöhnliche Anstrengung, wobei Bock noch eine starke Summe Geld zugesetzt hat, indem er darauf bestand, die Choleragenesenden mit bairischem Bier zu stärken, – für diese Zeiten der Anstrengung, der Verantwortlichkeit und der persönlichen Lebensgefahr hat Bock, wie es mißliebigen Leuten ergeht, von seiner vorgesetzten Behörde nie eine Anerkennung, wie Andere in gleichem Falle, geerntet! Er hat aber auch freilich nicht danach gestrebt! Die Sache genügte ihm auch hier, wie in allen anderen Fällen. Uebrigens haben Stadtrath und Stadtverordnete seine Thäkgkeit in glänzender Weise anerkannt.

An den politischen Ereignissen der Jahre 1848–49 hat Bock weit weniger, als Manche glauben werden, Theil genommen. Seine realistische Natur mußte sich von dem vielen Ideologischen, seine nüchterne Klarheit von dem vielen Unklaren, was beigemengt war, abgestoßen fühlen. Namentlich aber behauptete er von den Führern dieser Bewegung – es klingt curios und er mag es verantworten – „sie hätten keinen Charakter und redeten anders als sie dächten.“ – Das Betrübendste für ihn war wohl meine damals erfolgte Einkerkerung und Untersuchungshaft. Er bewährte dabei den Realismus seiner Freundschaft. Als alle anderen Freunde noch von der Reaction eingeschüchtert waren, drang er schon zu mir in den Kerker, machte mir Muth, bot mir Geld und jede andere Hülfe an, schaffte mir buchhändlerische Arbeiten und endlich sogar den Redacteurposten eines großen medizinischen Journals, – Letzteres mit der Last, daß eine Anzahl mit Bock zusammengetretener Collegen die Redactionsgeschäfte so lange führen sollten, bis ich frei wäre. – Es ist nicht das einzige Mal, daß ich – und Andere – diesen realistischen Charakter der Bock’schen Freundschaft erprobt habe, – der sich in den aufopferndsten thatsächlichen Dienstleistungen bewährt, von schönen Worten aber gar nichts – oder das gerade Gegentheil hören läßt.

Nach Oppolzer’s zeitigem Abgang (er ging nach seinem geliebten Oesterreich zurück) verwaltete Bock zum zweiten Male stellvertretend die innere Klinik zu Leipzig. Er zeigte dabei, in welchem Geist er (verschieden von den meisten anderen Klinikern) ein solches Amt geführt wissen will. Es soll dabei nicht der Herr Professor durch glänzende Reden, feine Diagnosenstellung oder sonst persönlich hervortreten, sondern der Studirende soll tüchtig eingeschult werden, soll es lernen seine fünf Sinne zu brauchen, seine ganzen Geisteskräfte anzustrengen, tüchtig zu untersuchen und einen tiefen Blick in’s Innere seines Kranken zu werfen (eine gute specielle Diagnose zu machen). Daraus werde sich dann schon eine vernünftige Behandlung nach diätetischen Grundsätzen von selbst ergeben. Alles andere Curiren, aller unnöthige Arzneigebrauch sei in einer Klinik doppelt schädlich, weil es den Blick auf’s Ueberflüssige vom Nothwendigen ablenke, und weil es den jungen Arzt vor der Zeit auf den Weg führe, den das leidige Prakticiren ihn später ohnedies betreten lehre, nämlich des Zuvielcurirens. Denn – das müssen wir nur gleich gestehen – Bock hält sehr wenig von allen praktischen Aerzten, selbst mit Einschluß seines Richter und Oppolzer. Er meint, sie seien alle mehrweniger Quacksalber und nur ein Weniges besser als die Homöopathen, „das Prakticiren verderbe den Charakter.“ – Was dieser Ansicht Wahres und doch auch Einseitiges zu Grunde liegt, ist leicht zu fassen. So lange man es blos mit einer Leiche zu thun hat, oder mit grobsinnlich materiellen Zuständen und Menschen, so lange hat Bock’s Auffassung Recht. Aber die Praxis, und die private insbesondere, hat in mehr als der Hälfte aller Fälle mit geistiggemüthlichen Zuständen oder mit solcherlei lebendigen Functionsstörungen zu thun, welche dem Messer des Anatomen ganz entschlüpfen. Und auch die große Hälfte aller Mittel, unsere lateinischen Recepte nicht ausgeschlossen, die homöopathischen und fast alle berühmten Specifica oder Geheimmittel, – haben diesen psychischen Charakter, sie nützen großentheils dadurch, daß der Kranke die Beruhigung faßt: „es geschehe etwas für ihn, und es sei ein Kraut für seine Leiden gewachsen.“ – Ein Viertel oder Fünftel aller unserer Patienten besteht aus Tuberculösen (Schwindsuchtscandidaten), ein Drittel vielleicht aus Unheilbaren. Soll man sie mit dem Spruche wegschicken, daß ihnen nicht zu helfen sei und daß die Anatomie lehre, Tuberkeln lassen sich nicht zertheilen? – Nichts wäre thörichter als das. Es ist besser, man fesselt sie durch ein paar leichte Linderungsmittel an einen rationellen Arzt, dessen Rathschläge ihnen vielerlei Nutzen bringen werden; denn sie würden doch unausbleiblich zu einem anderen, vielleicht zu dem größten Charlatan laufen, der ihnen recht viel verspricht und durch seine Curversuche ihnen nur Schaden bringt (Exempla sunt odiosa.). Von solchen Standpunkten aus haben also wir, die Praktiker, Recht, wenn auch alle Philosophen des Leichenhofes uns verurtheilen. –

Begreiflich wird nun aber noch Eins, was Viele wundert. „Warum prakticirt der Bock nicht, bei dem ungeheueren Zulauf von Patienten, welche ihm seine Gartenlauben-Artikel und sein „Buch vom gesunden und kranken Menschen“ (jetzt schon in 5. Auflage und in nahe an 60,000 Exemplaren verbreitet) zuführen? Warum verweist er beharrlich seit Jahren alle feste Familienpraxis an jüngere Aerzte? Warum ertheilt er blos Consultationen? Nun, er will sich eben nicht durch das Curirgewerbe den Charakter verderben lassen (wie er es nennt); er will das Recht behalten, auf alle Praktiker, und auf die homöopathischen insbesondere, allezeit zu raisonniren.

„Warum schreibt er außer den neuen Auflagen seiner wissenschaftlichen Bücher vorzugsweise gern Volksbücher und Gartenlauben-Artikel?“ Weil er der Sache dadurch am sichersten zu nützen glaubt; weil die großen Ergebnisse der neueren Naturwissenschaft und Heilkunde dadurch, daß man sie unters Volk bringt, am sichersten und schnellsten gemeinnützig werden; – weil es heutzutage vor Allem die Aufgabe ist, eine gesündere, vorurtheilsfreiere, klarerdenkende, charakterfestere Bevölkerung herzustellen. Bock’s Hauptstreben in all’ seinen populären Schriften ist vor Allem das Volk über die Verhütung von Krankheiten aufzuklären; zu diesem Zwecke ward er seit Beginn der Gartenlaube (1853) ein treuer Mitarbeiter dieser Zeitschrift, die durch eben seine Artikel ein ärztlicher Rathgeber in Tausenden von Familien ward. Wie sehr Ernst es damit unserm Carl Ernst ist, das geht aus einem Umstand hervor, der Vielen neu sein wird. Das Schreiben ist ihm nämlich nicht wie Anderen (z. B. mir selbst) ein Vergnügen, sondern eine Last und Marter. Bock leidet seit Jahren, in Folge seines früheren überangestrengten Schreibens, an dem sogen. Schreibekrampf. Sobald er eine halbe Stunde schreibt, fängt sich die Hand an krampfhaft zusammenzuziehen und die Vorderarmmuskel empfindlich wehe zu thun. Unter solchen folterähnlichen Muskelschmerzen sind die meisten Gartenlauben-Artikel gefertigt; kein Wunder, wenn sie manchmal dabei etwas grimmig ausfallen. Viel mehr zu verwundern ist, daß Bock des Schreibens nicht längst überdrüssig geworden ist und sich dafür den ihm offenstehenden, weit einträglicheren und bequemeren Erwerbszweigen, besonders der chirurgisch-ärztlichen Praxis gewidmet hat.

Wir haben nur wenig über Bock’s neueste Geschichte nachzutragen. Nach dem Sieg der neuen Medicin war er eine Zeit lang hoch angeschrieben. Wie gewöhnlich kamen nach gewonnener Schlacht, und als die Sache rentabel ward, eine Menge Leute hervor, um die Früchte mit zu genießen. Viele, zum Theil hochgestellte Familien ließen ihre Söhne der neueren Heikunde huldigen und in Leipzig, Prag und Wien studiren. „Die Beamtensöhne suchten ihr Futter in den Gleisen, die Wir gefahren haben!“ – Damals war Bock eine Zeitlang Gutkind. Allein ein Charakter wie der seinige, ein Mensch der die Persönlichkeiten so gering achtet, der immer der Sache huldigt und seine Ansicht immer auf die unverblümteste Weise Jedem gerad in’s Gesicht sagt, so ein Subject harmonirt nimmer mit einer Bureaukratie, besonders in dem feinen Sachsenlande!

Im Ganzen jedoch hat Dame Büreaukratie unsern Freund immer ziemlich glimpflich behandelt, obschon er mehrere Male mit Verwarnungen und Androhungen von Entsetzung bedacht wurde. Zudem kommen wohl auf einen Feind, den Bock hat, drei gute Freunde, welche das Schlimmste von ihm abwehren. Und schließlich ist seine Stellung so, daß er bei einer Absetzung (wenn man es dahin triebe) nur gewinnen könnte; er würde sofort, und

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