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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und Decke mit einem glänzenden Schwarz bekeidet waren, das sich bei näherer Untersuchung als lang verjährter, schön krystallisirter Ofenruß darstellte.

Dieses Vorzimmer war eigentlich ein Rauchfang. Abermals klirrten Schlösser und Riegel, abermals kreischte eine schwere Eichenthür in ihren Angeln, wir standen in der Casematte. Dieselbe war ein bombenfestes, rundbogiges Gewölbe, wohl 50 Fuß lang und etwa 12 Fuß breit. Der langgestreckte, sargartige Raum mit seinem frischen, blendenden Kalkanwurfe erinnerte mich an das übertünchte Grab der Schrift. Das Licht fiel durch eine schießschartenartige Mauerlücke herein, die nach innen mit dicken eisernen Traillen, sogenanten „schwedischen Gardinen“, versehen war. Mein Arm reichte nur mit knapper Noth durch die Mauervertiefung an die niedrigen Fensterflügel mit den kleinen blinden Scheiben. Ein Paar Eisenringe an der Wand deuteten darauf hin, daß manche der früheren Insassen dieser Casematten an der Kette gelegen haben müssen. An der Hinterwand, in der Nähe der Thüre, befand sich ein neuer riesiger Lehmofen, nach Art derer, wie sie in polnischen Dorfschenken vorkommen – man merkte es ihm an, daß er sich wohl nie mit etwas Anderem als schmaler Gefängnißkost befaßt hatte. Die vom Staate gelieferten Möbel von verzweifelt schlichtem Aussehen bestanden aus einem hölzernen Schemel und einem leeren Bettgestell; jedoch war es den „Festungsstubengefangenen“, wie die Staatsgefangenen zweiter Classe, zu denen ich gehörte, genannt wurden, freigestellt, sich einige Comforts aus eigenen Mitteln anzuschaffen.

Außerdem werden die Gefangenen dieser Kategorie nicht eingesperrt; der Platzmajor übergab mir vielmehr sämmtliche Schlüssel, die zu meiner Casematte gehörten. Am angenehmsten war es mir, zu hören, daß ich täglich sechs Freistunden, von 9–12 und von 2–5 Uhr hätte, in denen ich Besuche empfangen und innerhalb der Umwallung zwischen dem Ober- und Niederthor promeniren dürfe. Was ich sonst noch reglementsmäßig zu thun und zu lassen hätte, würde ich aus den gedruckten „Instructionen“, die mir im Laufe des Tages zugestellt werden sollten, durch Selbststudien erfahren. Während der Platzmajor mich so in meiner neuen Wohnung installirte, stand der zu meiner Bedienung angenommene Invalide, der sechs mächtige Kloben Eichenholz herbeigeschafft hatte, mit respectvoll angezogenen Armen im Hintergrunde. Aber kaum war der Platzmajor fort, als der alte Möbe, so hieß mein Invalide, ungemein beredt wurde. Er mußte mir vom Gesichte abgelesen haben, daß mir die eben bezogene unfreiwillige chambre garnie durchaus nicht behagte, denn er knüpfte seine Worte unmittelbar an diesen Gedanken an.

„Dat is ja niederträchtig,“ sagte er, „dat solche Herrens, wie Sie, Herr Leutnant, über dem Niederthor wohnen sollen; dat is ja gottserbärmlich. Sie sein ja kein Mörder oder so wat. Die andern Herren Stabsgefangenen wohnen alle da unten am Oberthor und viel besser, und zum Donnerwetter, Herr Leutnant, da gehören Sie auch hin!“

Möbe, der ein sonderbares, zwischen Platt und Hoch schwankendes Deutsch sprach, titulirte mich in einem fort „Herr Leutnant“, wie der italienische Cameriere oder Facchino jeden wohlgekleideten Fremden, von dem er ein Trinkgeld erwartet, mit „excellenza“ anredet. – Ich will gerade nicht behaupten, daß ich durch diese unverdiente Titulatur sonderlich bestochen wurde; aber Möbe gefiel mir. Er trug die „Pflaume“, wie die aus Kanonenmetall geprägte Medaille der Feldzüge von 1813–15 genannt wird, auf der linken Brust seiner Invalidenkutka; doch gemahnte sein ganzer Habitus frappant an „Just“ in Lessing’s Minna von Barnhelm. Er sah eben so ehrlich aus, so grob und so verschmitzt, und die Zornesröthe über die schlechte Welt, die permanent auf seiner Nase glühte, bewies, daß Möbe eben so wenig wie Just ein Verächter vom „veritablen Danziger“ oder irgend welcher anderen den Mäßigkeitsvereinen anstößigen Flüssigkeit war.

„Ja, guter Möbe,“ sagte ich achselzuckend, „da ist nun einmal nichts zu machen.“

„Wat? nischt? I, dat wäre ja!“ – brummte Möbe, während er ein gewaltig aufloderndes Feuer von Hobelspänen im Ofen entzündet hatte, „dat wollen wir doch einmal sehen!“ – und paff! kachelte er einen Eichenkloben mit solcher Gewalt in den Ofen hinein, daß dieser ordentlich dröhnte. „Da soll ja ein heiliges Donnerwetter drein schlagen, wenn dat nicht brennt.“ und – paff! paff! hinterher ein zweiter. „I, daß dich die Schwerenoth!“ – „Na, so wat lebt nich!“ – „Na, so muß’t kommen!“ u. s. w. und jeder derartigen Exclamation der Entrüstung schleuderte Möbe einen Kloben wie ein riesiges Ausrufungszeichen hinterdrein in den Ofen.

Es war ein Feuer, bei dem man bequem einen hochseligen Frankfurter Krönungsochsen hätte braten können. – Der gigantische Lehmofen mit seinen zehrenden Gluthen im Innern erschien mir wie das russische Kaiserreich – ein tönerner Koloß – nur daß ihm die Eisenfüße fehlten. – Eines schönen Tages – dachte ich – und – – – „Wollen der Herr Lieutenant nicht spazieren gehen? et könnte hier ja rauchen!“ sagte Möbe, sich wie Just in der Scene, wo er Tellheim seine Rechnung überreicht, den Rauch aus den Augen wischend, doch mit einem gewissen schlauen Seitenblicke. – Mir ahnte etwas von einer Katastrophe. Es war gerade Freistunde, und in der That fing der Ofen an zu rauchen; jedenfalls, dachte ich, wär’s discret, Möbe mit dem Ofen allein zu lassen und mich noch ein wenig draußen umzusehen; – außerdem war ich ja noch meinen Mitgefangenen am Oberthor die Antrittsvisite schuldig. – Es waren deren beim Antritt meiner Haft nicht viele.

Zwei Elbinger Kaufleute saßen wegen fahrlässigen Bankerotts; ein Artillerielieutenant v. Scz. – Pole bis zum Fanatismus – wegen Insubordination; ein Oekonom aus Gnesen, wegen schwerer Mißhandlung seines Dieners. Ein seltenes Verbrechen büßte ein gewisser Cl. ab; obwohl selbst katholischer Confession, hatte er in der Domkirche zu Kulm, während des Hochamtes am ersten Ostertage, aus der dichtgedrängten knieenden Menge hervorstürzend, das Crucifix vom Altar gerissen, auf den Boden geschleudert und, ehe noch die bestürzten Priester interveniren konnten, unter lauten Verwünschungen und Flüchen mit Füßen getreten. Das irre, scheue Wesen dieses Mannes, der mit Niemandem Umgang pflog, ließ kaum einen Zweifel darüber aufkommen, daß derselbe zweckmäßiger im Irrenhause als auf der Festung untergebracht worden wäre. Ein Fähnrich v. G. wurde auf Gesuch seines Onkels und Vormumds, des Generals v. G., durch besondere königl. Verfügung nun schon Jahr und Tag gefangen gehalten. Sein ganzes Verbrechen war, daß er nach dem vulgären pädagogischen Ausdrucke „nicht gut thun wollte“. Er erinnerte mich an Mirabeau, den der eigene Vater auf Grund einer ausgewirkten auf der Insel Rhé einsperren ließ – von anderen Aehnlichkeiten des Fähnrichs mit Mirabeau ist mir nichts bekannt geworden; interessant war’s mir jedenfalls, aus eigener Anschauung zu erfahren, daß es damals auch in Preußen lettres de cachet gab oder doch etwas dem Entsprechendes. – Ob der pädagogische Zweck mit dem Fähnrich erreicht worden ist, hab’ ich starken Grund zu bezweifeln; von mir wenigstens kann ich nicht sagen, daß ich die Festung gebessert verlassen hätte.

Von den Gefangenen am Oberthor vernahm ich denn auch die Bestätigung dessen, was ich in der Stadt gehört, daß sie seit meiner Ueberweisung nach Graudenz einer weit strengeren Controle als bisher unterlägen und daß meine Casematte am Niederthor wirklich als eine bisher nur von schweren Verbrechern bewohnte berüchtigt war. – In der That erschienen mir die Oberthorcasematten für die Festungsstubengefangenen weit wohnlicher, einige sogar freundlich. Sie lagen sämmtlich zu ebener Erde und waren daher ungewölbt, außerdem hatten sie größere und helle Fenster, und der Eingang vom Platze her war frei und führte durch keine Wachstube. einen ganz besonderen Reiz für die Herren vom Oberthor hatte die vis-à-vis-Nachbarschaft eines niedrigen einstöckigen Häuschens mit einigen gemüthlichen Linden davor. In demselben waren, nach kleinstädtischer Art, ein Materialwaarenladen, eine Bäckerei, eine Schnapskneipe und eine Weinstube vereinigt. Von den hier verkehrenden Artillerieofficieren wurde dieses Häuschen das „Zündloch“ genannt; für mich war’s im Laufe meiner Gefangenschaft ein wirkliches „Gasthaus“, d. h. gastlich im liebenswürdigsten Sinne des Wortes, obwohl eigentlich den Gefangenen der Verkehr daselbst wie an jedem anderen öffentlichen Orte, mit Ausnahme des Betsaales, untersagt war.

Doch ich will hier nicht zu weit vorgreifen. Muß ich doch ohnedies schon, um die Leser mit Ort und Verhältnissen vertraut zu machen, mehr erzählen, als streng genommen eigentlich zu dem Erlebniß, das ich hier mittheilen will, gehört.

Als ich nach etwa einer Stunde wieder in die Wachtstube am Niederthor trat, kam mir der wachthabende Unterofficier mit der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_498.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)