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Seite:Die Gartenlaube (1863) 543.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

überschattet, ist ein herzzerreißender Hülferuf, an ihre deutschen Brüder gerichtet, und ein Fluch für die niedrige auswärtige Diplomatie, welche im fernen Amerika oder in Asien weniger geknechteten Völkern mit scheinheiligem Edelmuthe Hülfe bringt, während sie hier der Knechtschaft eines hochherzigen Volkes den verdammenswerthesten Vorschub leistet. Einige der Schleswig-Holsteiner stimmten auf ihrem Zuge nach der Stadt das Lied an: „Eine feste Burg ist unser Gott!“ allein die stürmischen Zurufe des Publicums übertönten dieses heilige Zeugniß schmerzlicher Ergebung in ein unverdientes Schicksal, aber zugleich auch eines noch ungebrochenen Muthes. Ein Schleswiger äußerte zu einem sein inniges Mitgefühl lebhaft ausdrückenden Begleiter bitter lächelnd: „Wer kann dafür, daß wir keine Mexicaner sind?“ – Möge die Liebe, welche bei dem Feste dem schmachvoll unterdrückten Bruderstamme von allen Seiten so lebhaft entgegengebracht wurde, ein Beweis des tiefen Mitgefühls sein, das mit Sehnsucht der Gelegenheit harret, wo es zur kräftigen, helfenden That werden darf!

Auch die deutschen Brudervölker wurden auf das Herzlichste begrüßt, von welcher Seite her sie auch immer kommen mochten. Mit jedem ankommenden Zuge wuchs auch die Begeisterung der Einwohnerschaft, und wie Mancher bereuete jetzt, daß er aus irgend einem Grunde sich nicht zur Aufnahme von Turnern gemeldet hatte. Viele suchten diese Saumseligkeit jetzt dadurch gut zu machen, daß sie an die auf dem Markte aufgestellten und der Auslieferung der Festzeichen harrenden Turner herantraten und alle Ueberredungskunst anwandten, um Gäste mit sich heim zu nehmen, welche schon anderen Wirthen, die sich früher gemeldet, zugewiesen waren. Zuweilen gelangen wohl auch solche ungerechte Bestrebungen zum großen Leidwesen der jetzt daheim vergeblich auf ihre Gäste harrenden Wirthsleute, die nun oft auch bei dem Wohnungsausschusse ihre Klagen anbrachten. Am betrübtesten gebehrdete sich ein biederes Ehepaar, das bis zur sinkenden Nacht bei jedem auf dem Marktplatze eintreffenden Zuge die Reihen auf und ab nach seinen „vier Berlinern“ forschte, welche es sich in’s Quartier erbeten hatte. Die drei großen Berliner Extrazüge waren jedoch längst eingetroffen, und die sehnlichst erwarteten vier Söhne der Spreestadt mochten jedenfalls anderen wirthlichen Verlockungen nicht widerstanden haben, denn endlich gingen die betrübten Eheleute ohne Turner heim; sie haben aber aus Rache gleich am nächsten Morgen sich an einem anderen Bahnhofe postirt und dafür fünf als Nachzügler eintreffende Oesterreicher gekapert. Man sieht hieraus, wie rasch nationale Sympathie umzuschlagen vermag.

Die Fahnen der Vereine wurden stets nach dem großen Saale des Schützenhauses gebracht und hier von künstlerischen Händen entsprechend aufgestellt. Mehr als hundert Fahnen waren stets dicht bei einander gruppirt, und nahe an sechshundert Stück überhaupt abgeliefert worden. Die Schleswig-Holsteiner Fahne aber hatte für sich allein einen Ehren- oder wohl auch Trauerplatz in der Mitte des Saales erhalten; man mochte fühlen, daß der schwarze Flor sich unter den übrigen Fahnen gar zu betrübt ausnehmen würde, und man wollte vielleicht auch diese Mahnung an eine Blutschuld den hier anwesenden Söhnen Deutschlands recht deutlich vor Augen halten.

Von unbeschreiblichem Eindrucke war die officielle Empfangsfeierlichkeit in der achten Abendstunde des Sonnabends. Der wahrhaft glänzend eingerichtete und zauberisch erleuchtete Garten des Schützenhauses diente den eintreffenden Turnern als erster allgemeiner Versammlungsort. Hier fand die herzliche Begrüßung der Festgäste durch den Bürgermeister Dr. Koch, so wie durch den Vorsitzenden des Festausschusses, Bassenge, statt. Die aufrichtig gefühlten Worte wurden durch den Vorstand des Fünfzehnerausschusses, Th. Georgii aus Eßlingen, der zum Festpräsidenten erwählt worden war, eben so herzlich als patriotisch erwidert. Dem großen Vaterlande, der Turnerschaft, der Feststadt galten die mit Jubel aufgenommenen Worte, und nach dieser kurzen Feierlichkeit entfaltete sich hier ein reges Leben, wie es vorher wohl Niemand mochte vermuthet haben. Es waren ungefähr sechs- bis achttausend Turngäste in diesen Räumen versammelt, und unaufhörlich wogte diese Menge auf und ab. Hier fanden sich alte Freunde ganz unvermuthet, dort wurden neue Freundschaften schnell, aber trotzdem gewiß für die Dauer geschlossen. Ein engeres Beisammensein aller einzelnen Nationalitäten unseres Vaterlandes war nicht wohl zu denken, und wie rasch und aufrichtig befreundeten und verbrüderten sich hier die Vertreter aller Volksstämme! An einem Tische zum Beispiel saßen Ostpreußen und Südbaiern beisammen; sie erzählten sich ihre lustigen Reiseerlebnisse und fanden bald an einander das innigste Gefallen. Ein allgemeiner Brüderschaftstrunk wurde vorgeschlagen und von jeder Seite jubelnd aufgenommen. Der Weihekuß für Alle wurde zwischen dem ältesten Preußen und dem ältesten Baierländer ausgetauscht, und Letzterer konnte bei dieser Gelegenheit nicht umhin, Jenem zuzurufen: „Herzbruder, das gilt für die Ewigkeit! Aber ich hätte mir nimmer träumen lassen, daß Ihr im abscheulichen Norden droben dennoch so kreuzbrave Leut’ wäret. Nach unsern Zeitungsblättern freilich müßtet Ihr ganz anders ausschauen.“ „Für Menschenfresser haben wir Euch zwar nicht gehalten, aber so etwas halbwegs Duckmäuseriges stellten wir uns in Euch schon vor,“ entgegnete eben so offen der Preuße. „Jetzt sehen wir aber auch unser Unrecht ein und von Herzen bitten wir Euch um Verzeihung. Her mit der Hand!“ Allein der Baier bot die verlangte Hand nicht dar, dagegen zog er den neuen Freund an seine Brust, und die dabeisitzenden Genossen riefen wie aus einem Munde: Hoch unser ganzes, großes Vaterland! Und wie viele solcher erhebender Auftritte konnte man an jenem Abende sehen! Wie umdrängte man die anwesenden Vertreter des Londoner deutschen Turnvereins, von denen jedoch einige als Engländer blos erst deutsch zu turnen verstanden, aber nicht im Geringsten deutsch sprechen konnten. Mit Liebe und verdienter Hochachtung begegnete man den Siebenbürgen, welche nach einer fast wochenlangen Reise am ersehnten Ziele angelangt waren und hier den Beweis gaben, daß deutsche Sitte und Vaterlandsliebe auch mitten unter dagegen ankämpfenden Nationen sich bei edlem Charakter unverkürzt und unveränderlich zu erhalten vermag.

Gegen 11 Uhr Nachts kam erst noch die Mehrzahl der österreichischen Turner im Schützenhause an, nachdem sie vor etwa einer Stunde mit einem großen Extrazuge von Dresden her eingetroffen und so rasch als möglich ihre Quartiere in Empfang genommen hatten. Ihr Erscheinen erregte allgemeinen Jubel, der sich auch schon am Bahnhofe und bei ihrem mit Fackeln geleiteten Einzuge in die Stadt zu erkennen gegeben hatte.

Die Zuzüge dauerten am Sonnabend bis tief in die Nacht hinein, und immer suchten die Ankommenden noch die versammelten Turngenossen im Schützenhause auf, um an der allgemeinen Freude brüderlichen Beisammenseins wenigstens noch einen kurzen Antheil zu haben. Die an jenem Abende verlebten Stunden aber werden in eines Jeden Erinnerung fortleben, und Mancher wird sich in ihnen gewiß noch für trübe Tage in späteren Jahren Trost und Kraft suchen.

Der Sonntag Morgen bot ebenfalls freundliche Bilder in Menge überall dar. Der durch alle Straßen früh um 5 Uhr ertönende musikalische Weckruf fand so viele der Gäste eben nur in dem ersten Schlummer, und so Mancher mag vielleicht die ihn nur auf Augenblicke halbdeutlich umgaukelnden Töne für Bruchstücke einer Serenade gehalten haben. Der Weckruf wurde also in den meisten Fällen blos zu einem Wendepunkt für die unmittelbar darauf sanft fortträumenden Festschläfer.

Wo im Laufe des Vormittags auf der Straße und auf öffentlichen Orten Turner oder deren Wirthe einander trafen, da gab es immer blos dieselben Fragen, nämlich von Seiten der Ersteren: „wie gefällt Dir Dein Wirth?“ und von Seiten der Letzteren: „wie gefallen Dir Deine Gäste?“ Und immer wieder hörte man glücklicher Weise blos die beiden Antworten: „Ich hätte ein besseres Unterkommen gar nirgends finden können!“ oder: „meine Turner sind prächtige Leute, es thut mir nun doch leid, daß ich anfangs nicht noch mehr für mich ausdrücklich bestellt habe.“ – Diese allgemeine gegenseitige Zufriedenheit machte die Feststimmung zu einer wahrhaft gehobenen, die bis zum Ende der herrlichen Festtage unverändert anhielt.

Die Vormittagsstunden des Sonntags wurden hauptsächlich der Besichtigung der glänzend geschmückten Stadt gewidmet. Besonders war der Schmuck an Guirlanden und Fahnen ein überreicher, und in einzelnen gar nicht etwa sehr langen Gassen und Straßen zählte man 4 bis 500 Fahnen. Einen prächtigen Anblick gewährte das wahrhaft geschmackvoll verzierte, altehrwürdige Rathaus, und hier war der Glanzpunkt wieder eine unmittelbar unter der Thurmuhr angebrachte große rosettenartige Decoration, welche auf schwarz-roth-goldenem Grunde ringsherum und fast der Eintheilung der darüber befindlichen Uhr entsprechend das Wort „Willkommen“ enthielt. Diese Decoration ward zu beiden Seiten von Fahnen in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_543.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)