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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Erinnerungen an das dritte deutsche Turnfest zu Leipzig.
3.
Das Wettturnen. – Die Krönung der Sieger und ein frischer Kranz Alpenrosen und Edelweißblüthen. – Der letzte Festtag. – Treitschke’s Rede. – Ein Schreck. – Der Abschied. – Die Resultate des Festes.

Im Festleben bot auch der Dienstag viel des Interessanten. Die Morgenstunden auf dem Festplatze waren dem Schauturnen des Leipziger Turnvereins gewidmet, und am Mittag fand in der Halle das zweite Festessen statt. Man konnte dasselbe eigentlich als das Abschiedsmahl der Festgenossen betrachten, denn die speciell turnerische Feier schloß mit diesem Tage. Wieder trafen beim Festmahle eine Menge telegraphischer Grüße (u. A. aus Kronstadt, Tilsit) ein, und herzliche, aber auch inhaltsschwere Worte wurden gesprochen. Eindruck machte die begeisterte Rede des Advocat Wiggers aus Rendsburg, der Bezug nahm auf die zwar am Ehrenplatz der Festhalle aufgepflanzte, aber leider noch immer mit dem Trauerflore umhüllte Fahne seines geknechteten Vaterlandes, zu dessen Erlösung wohl noch eine Bluttaufe der mit Füßen getretenen Farben nöthig sein würde. Dem freien, einigen Deutschland, dem die Erlösung des nordischen Bruderstammes ohne Schwierigkeit gelingen müßte, brachte er ein Hoch. – Lecher aus Wien weihte ein Glas den verfassungstreuen preußischen Landtags-Abgeordneten, und einer derselben, Parisius aus Brandenburg, dankte durch ein Hoch auf Deutschlands Freiheit. Von gewaltigem Eindrucke war Benedey’s Rede, welcher gerührt bekannte, daß die beiden großen Tage, die er erlebt, jenen Einzug der deutschen Parlamentsabgeordneten in Frankfurt und dann wieder den gestrigen Festzug der Turner in sich faßten. Einmal habe er unter Spott und Hohn vor Schmerz geweint über die Verwirrung, welche jene mit Jubel begrüßte Versammlung dem traurigen Verfall zuführte; am gestrigen Tage aber vor Freude beim Festzuge der Turner, im vollen Bewußtsein des Sieges, den die gute Sache feierte. Den Gründern der Turnerei weihte er ein Hoch.[1]

Unmittelbar nach dem Festmahle begann das Wettturnen und zwar 1) im Wettlauf; 2) im Hochspringen und 3) im Steinstoßen und Weitspringen. Die hier sich kundgebende Gewandtheit und Kraftentwickelung war von großem Interesse, und man hatte für jede Abtheilung drei Preise (Siegeskränze) bestimmt.

Die für den Wettlauf abgesteckte Bahn entsprach dem griechischen Stadion (574 rhein. Fuß) und wurde von dem ersten Sieger in 26, von den beiden nächsten in 27 Secunden durchlaufen. Um einen Begriff von der Geschwindigkeit dieses Laufes zu geben, muß bemerkt werden, daß die deutsche Meile bei gleicher Schnelligkeit in etwa 18 Minuten zurückgelegt würde. Die Sieger im Wettlauf waren sämmtlich Preußen und zwar ein Merseburger und zwei Berliner.

Den höchsten Freisprung (mit Absprung auf kurzem Brete), 66 rhein. Zoll, erreichte ein Eßlinger. Die beiden nächsten Sieger, ein Uelzener und ein Hamburger, sprangen 62 Zoll hoch.

Die dritte Aufgabe war eine doppelte. Zuerst galt es einen Stein von einem Dritttheil Zollcentner Schwere mit einer Hand zu werfen oder zu stoßen. Von den drei jedem Bewerber gestatteten Würfen galt der letzte. Nachdem Alle geworfen hatten, wurde auch von Allen gesprungen, und das Resultat der zusammengerechneten Wurf- und Sprungweite war für die Zuerkennung des Preises maßgebend. Der erste Sieger war ein Gießener, der beim Steinstoß 17 und beim Weitsprunge 18 rhein. Fuß erreichte; der zweite, ein Münchner, hatte zwar beim Stoß 18, aber beim Sprung nur 16 rhein. Fuß erlangen können, und der dritte aus Asch gebürtige Sieger erreichte bei Stoß und Sprung gleichmäßig je 17 Fuß.

Nach den beendeten Uebungen wurden diese neuen Sieger vom Festpräsidenten Georgii auf dem Balcon am Steigerhause deln Publicum vorgestellt und mit den Siegeskränzen geschmückt. Bei Verkündigung der Namen herrschte stets eine lautlose Stille über den ganzen weiten Raum, der mit Menschen dicht besetzt war. Nur einmal wurde diese gespannte Aufmerksamkeit unterbrochen. Wie nämlich der Präsident als den ersten Sieger der dritten Abtheilung Haustein aus Gießen verkündete, da erschallte aus dem Häuflein der Londoner Turner von einer wahren Stentorstimme ein echt englisches Hurrah, das im geschlossenen Raume die Fensterscheiben zersprengt haben würde. Das Publicum, welches sich den Grund dieses Frendenrufes nicht erklären konnte, gebot auf der Stelle Ruhe, welche auch sogleich wieder eintrat. Später aber erfuhr man, daß Haustein früher in London dem hier vertretenen Turnvereine angehört und dort beim großen Turnfeste des vergangenen Jahres ebenfalls den ersten Preis errungen habe. Aus diesem Grunde hatte der Londoner Turngenosse seine Freude nicht zurückdrängen können, als er den Freund auch hier wieder als Sieger verkünden hörte.

Nachdem Georgii noch zwei andre einfache, aber bedeutsame Liebesgaben: eine junge Eiche aus Lanz, dem Geburtsorte Jahn’s, von dort der Stadt Leipzig als ein Erinnerungszeichen an den Gründer der Turnkunst und an das herrliche, gegenwärtige Fest übersandt – und einen Strauß frischer Alpenrosen und Edelweißblüthen, der von den fernen Alpen als Gruß und Liebeszeichen für die beim Feste anwesenden Schleswig-Holsteiner hierher geschickt worden war – übergeben hatte, leerte sich der Balcon; aber kaum waren die bekänzten Sieger unten angelangt, als sich Tausende um sie drängten und sie jubelnd beglückwünschten. Dann wurden sie von kräftigen Turnern auf deren Schultern gehoben und im Triumph zur Festhalle getragen, wo man sie dem jauchzenden Publicum nochmals nannte und vorstellte. Alles drängte sich zu ihnen hin, und am liebsten hätte jeder Einzelne seinen Festwein oder sein Bier mit ihnen getheilt. Neben mir, jedoch leider zu fern von dem Standpunkte der gefeierten Sieger, befand sich ein augenscheinlich mit Glücksgütern reich gesegneter Turngenosse aus Pommern, der sein wohlgefülltes Portemonnaie in die Höhe hielt und dabei immer ausrief: er wolle die Sieger nicht in Rothwein, wohl aber in Champagner baden! Ehe er sich jedoch durch die dichte Menge Bahn brechen konnte, hatten die Gefeierten ihren Ehrenplatz schon wieder verlassen, und ich vermochte dem freigebigen Pommer nicht zu folgen, weiß deshalb auch nicht, ob der gute Mann seinen eben so menschenfreundlichen als gefährlichen Vorsatz ausgeführt hat. Der freundschaftliche und gesellige Verkehr in der Festhalle und auf dem Festplatze entwickelte sich aber heute womöglich noch herzlicher als bisher, denn die Scheidestunde, die für Viele sogar schon geschlagen hatte, rückte auch für die Uebrigen immer näher.

Der letzte Festtag (5. August) galt einer nicht minder erhebenden Feier: dem Andenken an Leipzigs große Tage vor funfzig Jahren, wo dieselben Fluren, die heute jubelnde Festgenossen belebten, von dem Blute der Freiheitskämpfer gedüngt wurden. Es war ein herrlicher Gedanke, das erhebende Friedensfest, welches deutsche Männer aus allen Gegenden des Vaterlandes hier vereinigte, auch der Erinnerung an eine Zeit zu weihen, welche den Beweis geliefert hatte, daß dem einmüthig auftretenden Deutschland kein Feind zu widerstehen vermochte.

Wieder versammelten sich die Turngenossen in den Morgenstunden zum gemeinschaftlichen Zuge nach dem Festplatze, wo jene ergreifende Feierlichkeit stattfinden sollte. Den Turnern schlossen sich heute auch die Sänger Leipzigs an, welche an der Feier thätigen Antheil nehmen wollten. Stand auch dieser Festzug an Stärke hinter dem am Montage zurück, so brachte ihm das Publicum doch wieder ganz dieselbe herzliche Theilnahme entgegen. Wieder waren die Straßen dicht besetzt, aus allen Fenstern wehten Tücher den Vorüberziehenden Grüße zu, und ein Blumenregen, der dem ersten nicht nachstand, ergoß sich von allen Seiten über den Zug. Man wollte den Gästen dadurch den Beweis geben, wie sehr man sie in den wenigen Tagen ihres Aufenthaltes liebgewonnen habe. Auch die Turner gaben ihre Freude und Dankbarkeit in jeder Weise zu erkennen. Der Verkehr zwischen ihnen und den gastfreundlichen Bewohnern der Stadt war ein wahrhaft freundschaftlicher geworden. Ueberall hörte man Turngäste beim Namen rufen, und wenn diese ihre Wirthsleute unter der Menge der Zuschauer erkannten, so ertönten Lebehochs und das mächtige Gut Heil, in das dann immer sämmtliche Landsleute des Begrüßten einstimmten;

  1. Es ist nicht möglich, hier den Inhalt dieser und der übrigen Reden genauer wiederzugeben; dieselben sind in den „Blättern für das dritte deutsche Turnfest“ meist wörtlich enthalten, ebenso die Specialitäten über Wett- und Schauturnen u. s. w.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_567.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)