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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

noch nirgends in die Oeffentlichkeit gelangt ist. Er ist eine im Oct. 1808 verfaßte Zuschrift an eine höhere sittllche Zwecke verfolgende und die Veredlung der Menschheit anstrebende Gesellschaft in Frankfurt, in welche Börne durch dieses Schriftstück Aufnahme suchte und fand. Sie lautet also:

„Ich habe betrachtet die Geschichte unserer Tage und folgendes gesehen. Alte Formen, ob zwar festgegründet und gehärtet durch die Dauer vieler Jahrhunderte, wurden zersplittert von einem allmächtigen Geiste der Zerstörung. Das gegenwärtige Geschlecht verspottet Regeln und Weisen, die heilig und unverbrüchlich waren den Voreltern. Die Stürme der Zeit haben Grenzsteine weggeschleudert, die seit lange das Eigenthum der Menschheit geschieden; die herrenlosen Glücksgüter wurden von neuem vertheilt und wurden den Stärksten zu Theil, hülflos aber blieb Jeder, der Hülfe von Anderen erwartete. Unsere Hoffnungen und Aengste, vorher wohlthätig eingeengt durch Gewohnheit und Gesetz, schweiften nun in’s Unendliche, nachdem jene Schranken nicht mehr waren, denn man sah, daß Bettler, wie sonst nach Almosen, jetzt nach Kronen die knöcherne Hand ausstreckten und sie nicht leer zurückzogen. Man sah, daß stolze Scepter sich zur Erde senkten, um als Wanderstäbe entthronte Könige durch das Land zu führen. Man sah die Thränen derer, denen der Krieg den Gatten, den Vater und jede Lebensfreude raubte, und die im Schooße des Glücks erzogen nach Brod schmachten.

Zu solcher Zeit nun, wo die Selbstsucht fesselfrei umhergeht, und kein Besitz so gerecht ist, daß er uns sichere vor dem Verluste des Guts, wem drängt sich da nicht der Gedanke schmerzlich auf, daß der Glaube an Tugend und Edelmuth durch jene egoistischen Kämpfe selbst bei den Bessern geschwächt werden müsse? Ja, wer ist stark genug sagen zu können, er werde zu jeder Zeit das eigene Herz vor dem Untergange bewahren?

Aus diesen Gründen habe ich längst gewünscht mich mit denen zu verbinden, die, gleiche Gesinnungen mit mir hegend, sich angelegen sein ließen das Wohl der Menschheit zu befördern und sich und Andere vor dem feindlichen Einfluß zu bewahren, den eine stürmische Zeit auf jene Wohlfahrt haben kann.

Ich kenne zwar factisch die Zwecke der Gesellschaft nicht näher; allein in der Voraussetzung, daß sie nur edle Zwecke habe, bin ich überzeugt, daß von dem Umfange ihrer Thätigkeit kein Gegenstand ausgeschlossen ist, der als ein guter und edler möglicher Weise nur erstrebt werden könnte. Ich habe daher einem Freunde meinen Wunsch eröffnet, Mitglied zu werden, und nach dessen Anweisung wage ich es, verehrungswürdige Gesellschaft, schriftlich um meine Aufnahme zu bitten.

Wenn Sie mich würdigen sollten, mir meine Bitte zu gewähren, so verspreche ich getreu und mit Ernst alle die Pflichten zu erfüllen, die mir die Gesellschaft auflegen wird, in der Gewißheit, daß es nur solche sind, denen kein edler und verständiger Mann seinen Beifall versagen könnte.

Ich verbinde mich insbesondere zur unverbrüchlichen Freundschaft gegen alle Mitglieder der Gesellschaft; ich will zur Verbreitung solcher Grundsätze mitwirken, die, wenn sie angewendet werden, den Menschen zum wahren Glücke führen; ich will mich zur Beförderung solcher öffentlichen Anstalten, durch die das Elend der Mitmenschen vermindert wird, nach meinem Vermögen und nach der Anweisung der Gesellschaft gerne gebrauchen lassen. Ich will endlich die Wittwen und Waisen meiner Freunde in soweit für die meinigen ansehen, daß ich zur Unterstützung der Erstern und zur Erziehung der Letztern nach meinen Kräften gerne beitragen werde.

Ueber dies Alles gebe ich hiermit schriftlich mein Ehrenwort, und sollte ich einer der auf mich genommenen Verbindlichkeiten durch meine Schuld nicht entsprechen, so bin ich’s zufrieden, daß Sie von dieser meiner Handschrift zu meiner Beschämung Gebrauch machen.

Gezeichnet: Ludwig Baruch.“

Schließlich theilen wir noch als höchst charakteristisch die originellen Antworten Börne’s auf einige ihm von dem Vorstande jener Gesellschaft vorgelegte Fragen mit.

Was ist der Mensch sich selbst schuldig?

„Gerechtigkeit; denn Gerechtigkeit ist Gesundheit; Krankheit ist Zwietracht – ein jeder liebe sich selbst.“

Was ist der Mensch seinem Nebenmenschen schuldig?

„Was sich selbst.“

Was seinem Vaterlande?

„Treue und Dankbarkeit; denn ihm dankt er seine Unsterblichkeit.“



Ein paar Züge vom Fürsten Lichnowsky. Prof. Vischer erzählt in seinen unlängst erschienenen „kritischen Gängen“ seine letzte Begegnung mit dem Fürsten Lichnowsky, ganz kurz vor des Letztern gewaltsamem Tode. Dies brachte dem Einsender dieses ein paar andere charakteristische Anekdoten von Lichnowsky in’s Gedächtniß, die er theils selbst erlebt, theils aus erster Quelle erfahren hat; die eine fällt auch in die allerletzten Tage vor dem blutigen 18. September. Es galt die Abstimmung über irgend eine brennende, die Parteien besonders scharf spaltende Frage. Der Versuch mit Aufstehen und Sitzenbleiben war zweifelhaft; man griff zu dem in solchen Fällen üblichen nächsten Mittel, um das Resultat zu constatiren. Die Schriftführer gingen durch die Reihen der Stehenden und Sitzenden und schrieben die Zahl Beider genau auf. Dabei war es herkömmlich, daß die ihrer Parteifarbe nach der Rechten näherstehenden Schriftführer diese Zählung auf der Linken, die mehr nach links neigenden solche auf der Rechten vornahmen, um möglichste Unparteilichkeit zu bewahren. Einsender, der auch Mitglied des Bureaus war, übrigens dem linken Centrum angehörte, begab sich zu der äußersten Richtung, um das fragliche Geschäft zu vollziehen. Da kam ihm lebhaft erregt und heftig gesticulirend, wie dies seine Art war, Fürst Lichnowsky entgegen und rief mit gewohnter Ungenirtheit ganz laut, indem er nach der Linken hinüberdeutete, wo diesmal ausnahmsweise ein der Linken selbst zugehöriger Schriftführer die Abstimmung notirte, er wolle doch ein Bischen controliren, damit Alles mit rechten Dingen zugehe. Da diese Worte, obgleich an Niemand gerichtet, doch so laut gesprochen wurden, daß die darin liegende verletzende Bemerkung fast absichtlich öffentlich hingeworfen schien, so rief ich dem Fürsten zu: „Sie haben kein Recht, die Unparteilichkeit eines Bureaumitgliedes zu verdächtigen!“ Er wollte sich gegen mich entschuldigen, indem er sagte: „Ah, Sie habe ich ja nicht gemeint, wider Sie habe ich Nichts!“ Ich entgegnete ihm aber ernst: „Gleichviel, alle Schriftführer sind Beamte der Nationalversammlung und von ihr gewählt. Sie dürfen keinem davon eine Pflichtwidrigkeit zutrauen,“ worauf der Fürst zwar noch etwas gegenredete, aber doch seinen Vorsatz auf- und sich auf seinen Platz zurück begab.

Höchst vergnügt sah ich früher einmal den Fürsten Lichnowsky, als bei einer ungewöhnlich stürmischen Sitzung die lärmenden und trotz mehrmaliger Mahnung des Präsidenten Gagern nicht zum Schweigen zu bringenden Gallerien auf dessen Befehl geräumt wurden. Da bei diesem Geschäfte, um ernstere Collisionen zu vermeiden, einige Schriftführer nebst dem Präsidenten selbst halfen, so mochte der Fürst diese für ihm Gleichgesinnte ansehen; er gab daher in meiner Gegenwart unverhohlen seine Befriedigung darüber kund, daß man nun ohne Zuhörer berathen könne, und weil die Zeit schon vorgerückt war, erklärte er, sofort einige Körbe mit Butterbrod und Fleisch aus dem Englischen Hof holen lassen zu wollen, damit die Versammlung die heiklige Frage, an der sie eben war, in geheimer Sitzung sogleich durchberathen und erledigen könne. Diese Freude ward ihm jedoch zu Wasser, da die Versammlung, zur Wahrung des Princips der Oeffentlichkeit, nach Erledigung des einmal in der Abstimmung begriffenen Punktes die Vertagung beschloß. – Wieder bei einer anderen Gelegenheit, wo Lichnowsky auf die Tribüne eilte, um eine seiner gewohnten glänzenden Improvisationen in einer Parteifrage zu halten, rief er einem ihm persönlich befreundeten Mitgliede des linken Centrums im Vorüberstreifen an dessen Sitz halb leise zu: „Halten Sie mir den Daumen, daß ich eine gute Rede zuwegebringe!“ – „Den T– werde ich!“ antwortete Jener, „Sie sprechen ja gegen uns!“ – „Bah, das ist Alles Eins!“ erwiderte lachend der Fürst und schritt sporenklirrend die Stufen zur Tribüne hinauf. – Uebrigens verschönert Vischer den Fürsten Lichnowsky, wenn er ihm einen „edlen Gesichtsschnitt“ und „ein fast griechisches Profi“ beilegt. Der Fürst hatte eigentlich wenig distinguirte, fast plumpe Züge, die nur durch ein blitzendes, aber auch mehr entschlossen und fast keck, als gerade geistreich blickendes Auge und durch ein vornehmes Air, – nicht von jener ruhigen Vornehmheit, welche imponirt, sondern von der herausfordernden und verletzenden Art. – etwas Auffallendes, Hervorstechendes erhielten.




Das Körnerfest betreffend, haben wir auf mehrfache Anfragen und Anliegen zu antworten, daß die „Gartenlaube“ eine Schilderung jenes Festes nicht bringen kann. Die Tageszeitungen haben alles Mittheilenswerthe längst in solcher Fülle gebracht, daß eine Wochenschrift den Raum dafür sparen kann, und die Gartenlaube um so mehr, als gerade sie Körner und seine Zeit zu feiern durchaus nicht vergessen hat. – Wäre nur auch in Mecklenburg, dem Schauplatze der großen nationalen Feierlichkeit, dieselbe überall mit ebenso warmem Vaterlandsgefühl und würdigem Geist begangen worden! Leider ist dies nicht der Fall gewesen, leider hat es der bekannte herrschende Geist der Geistlichkeit jenes Landes nicht zu verwinden vermocht, eine so einfache, edle, zeitgemäße, ja zeitgebotene Huldigung am Grabe eines einst hochbegabten Jünglings, der all sein Liebstes auf Erden für die höchste Idee seines Lebens hochherzig opferte, ganz unbefleckt vorüber gehen zu lassen. Der Vorstand des Gymnasium Fridericianum zu Schwerin, der Hauptstadt des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin, hat seinen Schülern die Betheiligung an jenem öffentlichen Feste untersagt, „wegen der in jener Feier liegenden allzugroßen Freisinnigkeit“ – und „damit nicht auch schon die jugendlichen (NB. großherzoglich mecklenburgischen) Gemüther von jenem Freiheitsschwindel erfaßt würden.“ – Damit nicht genug, begründete Einer dieser Weisen des mecklenburgischen Klerus die Anordnung des Vorstandes noch mit dem Ausspruch: „Theodor Körner sei ein recht braver Mann gewesen. Wenn man aber jedes braven Mannes wegen nach Ludwigslust reisen wolle, so könne man es 365 Mal im Jahr thun.“ Wer nun weiß, daß Ludwigslust ein Hauptsitz der Orthodoxen des Landes ist, der wird auch die tiefe Bescheidenheit begreifen, welche in dieser Anschauung des Körnerfestes liegt.


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