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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

jenen Vorbereitungstagen zur Leipziger Schlacht eine hübsche und wohlbezeugte Episode überliefert, echt pommer’sches Gewächs. Unweit vom Petersberg bei Halle begegnet der alte Blücher, Feldmütze auf dem Kopf, abgeschabten grauen Mantel über den Schultern, die ewige Tabakspfeife zwischen den Zähnen, einer verdrossen durch den zähen Lehmbodenkoth sich fortarbeitenden Colonne von Bülow’s Corps. „Na,“ sagt er zu den pommer’schen Grenadieren, „wie freu’ ich mich, meine Pommern wieder mal zu sehen. Habt euch sakermentisch gut geschlagen bei Großbeeren und Dennewitz; so habt ihr, Gott straf’ mir! Und schätz’ ich mir’s recht zur Ehre, so zu sagen auch ein Pommer zu sein.“ Die Grenadiere schauten auf, und da sie den Alten nicht kannten, der ganz allein dahergeritten kam in gar keinem oberfeldherrlichen Aufzug, brummte Einer kopfschüttelnd aus den Reihen hervor: „Ja, det glöw ik wol, nu mag jeder Hundsfott wol een Pommer wesen“ (ja, das glaub’ ich wohl, jetzt will jeder Hundsfott ein Pommer sein). „Schwernöther ihr,“ lachte der Alte, den Gaul wendend, „ihr bleibt immer die Alten, brav und grob, Gott verdamm’ mir!“

Am 14. October waren die Wände der widernapoleonischen „Zwickmühle“ endlich so enge zusammengeschoben, daß innerhalb derselben die Vorbereitungen zu dem beispiellosen Waffenconcert, betitelt Leipziger Völkerschlacht, getroffen werden konnten. Schwarzenberg hatte sich, die schwere Bürde seiner drei Monarchen auf dem Nacken, langsam über das Erzgebirge herübergeschoben und war über Altenburg und Zeitz am südlichen Saume der Walstatt angelangt. Vom Norden her zog Blücher, den heftig sich sträubenden Gascogner mit sich ziehend wie an einem Nasenringe, und bereit, seine zu Halle versammelten Harste auf dem rechten Ufer der Elster über Schkeuditz gen Leipzig vorzuführen. Der Empereur einerseits traf an dem genannten Tage ebenfalls in Leipzig ein, und nachdem er die Stadt umritten hatte, vernahm er in seinem Quartiere zu Reudnitz von Liebertwolkwitz her das Stimmen der Instrumente zu der ungeheuren dreitheiligen oder dreitägigen Symphonia heroica, d. h. das Getöse des Reitertreffens, welches Schwager Murat da draußen gegen preußische und russische Reiterei schlug und verlor. Am folgenden Tage rückten Schwarzenberg’s Schlachthaufen in die Stellungen, in welchen und aus welchen hervor sie am 16. Octbr. den Kampf führen sollten. Den Schlachtplan hatte bekanntlich der aus sächsischen in österreichische Dienste übergetretene General Langenau entworfen. Andere hatten dann an dem ungeschickten Plane ungeschickt herumhantirt, und so kam es, daß Schwarzenberg’s Gewalthaufe in den engen, unwegsamen „Sumpfzwickel“ zwischen Elster und Pleiße gepfercht wurde, wo für Massenentwickelung kein Raum und das vorausgesetzte und geforderte rechtzeitige Hervorbrechen über die Pleiße bei Connewitz einem tüchtigen Feinde gegenüber fast eine Unmöglichkeit war. Napoleon dagegen hatte den rechten Flügel seiner Schlachtordnung an die Pleiße lehnend, seine Hauptstellung auf den sanften, die weite Ebene beherrschenden Bodenerhöhungen bei Markkleeberg, Wachau und Liebertwolkwitz. Gestützt auf das in seinem Rücken liegende Leipzig, meinte er im Stande zu sein, Schwarzenberg und Blücher getrennt zu halten und jenen am 16., diesen am 17. zu schlagen. Ein Herankommen Bernadotte’s glaubte er gar nicht ernstlich mit in seine Berechnung ziehen zu müssen: er kannte ja seinen „Piaffirer“; aber er kannte noch immer nicht den alten Recken, welcher den Piaffirer am Nasenringe hielt. Hätte er den Blücher gekannt und geahnt, was ihm von dieser Seite bevorstand, er würde sich nicht begnügt haben, den Marschall Marmont mit 20,000 Mann und 84. Geschützen nach Möckern zu schicken, um diese allerdings sehr feste Stellung gegen ein allfälliges Vorgehen des Blücherheeres zu bewachen und zu behaupten.

Die Scribenten und Docenten der napoleonischen Mythologie fabelten und fabeln, daß die Verbündeten gleich zu Anfang der Völkerschlacht mit einer „erdrückenden Uebermacht“ gegen ihren Gegner hätten auftreten können. Nun ist aber Thatsache, daß der Entscheidungstag der erste der drei Schlachttage war, und ebenso ist Thatsache, daß an diesem 16. October die Streitkräfte der Verbündeten – Dank dem nicht zweideutigen, sondern geradezu verrätherischen Benehmen, d. h. absichtlichen Nichtherankommen Bernadotte’s – den französischen gar nicht oder doch nur ganz unbedeutend überlegen waren. Denn Napoleon hatte am 16. jedenfalls nicht weniger als 190,000 Mann, worunter etwa 33,500 Reiter, mit 700 Geschützen, wogegen seine Gegner, die getrennten Heere Schwarzenberg’s und Blücher’s (jenes 133,078, dieses 60,431 Mann stark) zusammengerechnet 193.509 Streiter, worunter ungefähr 38,000 Reiter, mit 750 Kanonen aufzubringen vermochten. Und die französische Macht wurde vom Napoleon commandirt, der, wenn auch nicht mehr der ganze, doch noch immer ein Zweidrittels-Napoleon war.

So hat er denn da, wo er selber die kolossale Symphonie dirigirte, d. h. auf der Südseite der ungeheuren Walstatt, am 16. October seinen Feinden den alten Kriegsmeister und Schlachtendonnerer noch einmal gezeigt. Aber doch nicht mehr, lange nicht mehr in der früheren zermalmenden Wetterstrahlsweise. Besonders unglücklich stritten an diesem Tage die österreichischen Generale Gyulai vor Lindenau, Merveldt bei Connewitz, Klenau bei Liebertwolkwitz. Schwarzenberg’s biedermännische Hand war lange nicht eisern genug, um die Nachtheile eines schlechten Schlachtplans, um die in Folge der glänzenden Unfähigkeit von mehr als einem General lose und verzettelte Ausführung desselben mittelst einer straff einheitlichen und imponirenden Führung des Generalcommandostabs aufzuwiegen. Aber es wurden diese Nachtheile dennoch großen Theils aufgewogen durch die Einsicht und Standhaftigkeit einzelner Führer, sowie durch das wetteifernd heldenmüthige Streiten der verbündeten Truppen, welche naiv genug waren, zu glauben, es sei ernst gemeint, wenn der Generalissimus, welcher es übrigens für seine Person ehrlich und ernst meinte, in seinem Tagesbefehl vom 15. October ihnen zugerufen hatte. „Ihr kämpft für die Freiheit Europas!“ Wie mögen die Franze, Metterniche und Gentze gelacht haben, als sie diese Redensart zu Gesicht bekamen!

Doch nicht in Menschen von der Sorte pulsirt, was „sterblich nicht“ im Menschen und den schweren Erdenkloß emporträgt in die hellen Regionen, von wo der göttliche Anhauch – („afflatus divinus“) – zu großem Denken und Thun ausgeht. Seht, dort drüben, wo am 16. October um Behauptung und Erstürmung der Hochebene von Lindenthal blutig gerungen ward und der alte Blücher den entscheidenden Möckernsieg gewann, da waltete voll und ganz dieser Anhauch, waltete herrlich in den schlichten preußischen Landwehrmännern, welche auf den Zuruf eines ihrer fallenden Führer, des zum Tode getroffenen Grafen Wedell, „Rettet das Vaterland!“ den in und um Möckern mit höchster Bravour fechtenden Franzosen die eiserne Garbe unwiderstehlich in’s Fleisch trugen. „Jeder“ – hat ein anderer tapferer Führer, der Major Hiller, nachmals ausgesagt – „Jeder brannte vor Begierde, nahe an den Feind zu kommen, und ohne Bedenken stürzten die Bataillone auf meinen Zuruf, daß heute Deutschlands Schicksal entschieden werden müsse, über die Leichen ihrer Brüder mit Hurrah von Neuem auf den Feind.“ Die Umstände fügten es, daß, wie Männiglich weiß, die Möckernschlacht wiederum durchaus nur von preußischen Truppen, vom Corps des prächtigen Griesgrams York, welcher an diesem Tag ein „Bataillengeneral“ erster Größe war, geschlagen und gewonnen wurde. Der Sieg war vollständig. Marmont wurde mit den kläglichen Trümmern seiner Streitmacht am Abend bis unter die Mauern von Leipzig zurückgetrieben, und damit war die Schutzwand Napoleon’s auf der Nordseite des Leipziger Entscheidungsfeldes zerstört.

Aber auch auf der Südseite hatte der größte aller Schlachtenvirtuosen doch mehr nur scheinbare als wirkliche Vortheile errungen, und man dankte das ganz namentlich dem Prinzen Eugen von Würtemberg, welcher, der ganzen auf ihn fallenden Wuth des napoleonischen Kanonenzorns zum Trotz, Wachau und damit die Schlacht bis zur äußersten Möglichkeit gehalten hatte. Mit 4700 Preußen und 5200 Russen war der Wackere in den Kampf gegangen, und von diesen 9900 Streitern ließ er 6333 todt oder verwundet auf der Walstatt, – so war hier gestritten worden. Und des Prinzen entsetzlich verdünnte Bataillone traf dann auch noch der erste Stoß der Reitermasse von 8000 Mann, womit Napoleon schließlich das Centrum der Verbündeten sprengen wollte, ein Stoß, der an dem tüchtigen Gegenstoß russischer Kürassiere und Dragoner sich brach. Als die Blutarbeit dieses Tages zu Ende, standen die Franzosen mit ihrem Centrum bei Wachau, mit dem rechten Flügel an Markkleeberg, mit dem linken an die sogenannte Schwedenschanze gelehnt, die Verbündeten dem Feinde in einem Halbkreis parallel gegenüber, mit dem Centrum vor Güldengosta. Sie zeigten eine feste Haltung, und Schwarzenberg traf sofort seine Anordnungen zur Erneuerung des Kampfes, in dessen Wagschale das Gewicht der Verstärkungen fallen mußte, welche

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