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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

vornehme, glänzende Welt, eintreten werde. Sie beschwor die Schwester, an den Freiheren nicht mehr zu denken und, wenn er im künftigen Jahre wiederkomme, ihm aus dem Wege zu gehen und so lange zu ihr, meiner Mutter, zu kommen. Es war umsonst.

Die Tante blieb auch bei dem, was das liebende junge Herz in solcher Lage zu sagen pflegt.

„Er liebt mich und ich liebe ihn, und wir werden uns treu bleiben, mag kommen was da will. Da muß sein stolzer Vater doch zuletzt nachgeben. Und was das Ausdemwegegehen betrifft, so wird er sogar schon in diesem Jahre wiederkommen, zu Michaelis, ehe er zur Universität abgeht, und ich habe ihm versprochen, daß wir uns dann wiedersehen würden, und sein Versprechen muß man halten, denn wenn ich zu Dir ginge, würde er mir nur zu Dir nachreisen.“

In dem Gedanken an Liebe und an Treue war sie glücklich, wurde sie glücklicher. Meine Mutter konnte sie nur mit desto trüberen Ahnungen verlassen!

Aber das Glück der Tante Therese hielt manches Jahr an. Der Freiherr Adalbert blieb ihr treu während seiner Universitätsjahre; er besuchte sie jedes halbe Jahr in den Ferien, seine Liebe war immer gleich zärtlich, gleich herzlich. Er mußte nach Beendigung seiner Studien eine zweijährige Reise durch Europa machen. Seine Briefe an sie während dieser Zeit athmeten vom ersten bis zum letzten Tage nur die herzlichste und zärtlichste Liebe. Als er zurückkam, eilte er zuerst zu ihr. Wie war er glücklich an der Seite des schönen Mädchens mit dem klaren, gebildeten Geiste, mit dem reinsten und edelsten Herzen! Wie war sie glücklich in dem Glück des Geliebten, der sich zu einem vollendeten Manne ausgebildet, der in der fremden Welt, an den ersten Höfen, unter der höchsten Aristokratie und unter den schönsten Frauen Europa’s ihr seine Liebe und seine Treue bewahrt, und nur die eine Sehnsucht gekannt hatte, Arm in Arm mit ihr wieder durch die kahle, graue westphälische Haide zu streifen!

Er sollte noch ein Jahr in dem elterlichen Hause bleiben: dann wollte sein Vater ihm eines seiner Güter zur eigenen Bewirthschaftung abtreten, und dann wollte der Sohn dem Vater seine Liebe entdecken, seine Liebe, die seit acht Jahren in sein Herz gewachsen, die mit seinem Herzen verwachsen war, von der er sich nie und nimmer losreißen konnte. So war der Plan. Und an dem Gelingen des Plans, an der Einwilligung des Vaters zweifelten die Liebenden um so weniger, als unterdeß über Deutschland und auch über Westphalen politische Zustände gekommen waren, die auch dem inneren Leben des Volkes und der Gesellschaft, den Verhältnissen der Schichten des Volkes und der Gesellschaft zu einander eine völlig andere Farbe, eine wesentlich veränderte Gestalt gegeben, die namentlich die bisherige hohe, exclusive Stellung der Geburtsaristokratie vollkommen verrückt hatte. Seit dem Jahre 1807 herrschten die Franzosen im Lande, und es waren die Franzosen der Revolution, und – es ist nicht zu leugnen, die Revolutionen von unten nivelliren nun einmal nach oben, und die französische Revolution that es radical.

Da kam das Jahr 1811. Der Kaiser Napoleon besuchte in jenem Jahre die rheinischen Provinzen seines Reiches. In Düsseldorf hielt er ein großes, glänzendes Hoflager. Alle Notabeln von Rheinland und Westphalen waren dahin entboten. Der vornehme alte Adel beider Länder durfte am wenigsten fehlen, trotz, vielleicht gerade wegen jenes Nivellements der Revolution. Und sie waren alle da, die alten, edeln, stolzen Geschlechter. Das fremde Gewaltregiment hatte zu jener Zeit so viele Mittel des Zwanges. Mit welchen Gesinnungen und Gefühlen manche von ihnen kamen?

Damals war es, als ein westphälischer Edelmann dem stolzen, mächtigen Kaiser jene ewig denkwürdige, stolze und muthige Antwort gab.

Als der Freiherr von Plettenberg zu Plettenberg in der Grafschaft Mark in dem großen Coursaale dem Kaiser Napoleon vorgestellt wurde, herrschte dieser ihn mit finsterem und drohendem Blick an: „Man hat mir gesagt, daß Sie ein guter Preuße sind!“

„Ja, Sire, bis zum Tode,“ war die laute, furchtlose Antwort des westphälischen Edelmanns.

Seine Freunde zitterten für ihn, der Kaiser that ihm nichts. Aber nicht Alle, die hingekommen waren, blieben so ihrer deutschen Gesinnung treu.

Unter den Entbotenen und Erschienenen waren auch der Reichsfreiherr und sein Sohn, der Stammherr Freiherr Adalbert. Der Freiherr repräsentirte eins der edelsten und reichsten Geschlechter Westphalens. Sein Sohn war sein künftiger Erbe; war ein schöner, ein gewandter junger Mann; war frei und sicher und zwanglos in den glänzenden Sälen des mächtigen Kaisers, als wenn er in seinem eigenen Hause wäre; wurde das Verlangen der Frauen und Töchter an dem kaiserlichen Hoflager; wurde umgarnt von den Netzen einer der schönsten, auf Befehl des Kaisers selbst, der den Glanz des neu von ihm geschaffenen Adels befestigen wollte durch den Ruhm und den Reichthum des alten Adels in den von ihm eroberten Provinzen.

Seine Marschälle hatten den Kaiser begleiten müssen, mit ihren Familien. Adelaide, die Tochter eines dieser Marschälle, war in den Cirkeln des Kaisers die Perle der Schönheit, der Anmuth und der Koketterie. Ihr wurde der kaiserliche Befehl, die Gemahlin des jungen westphälischen Freiherrn zu werden. Es hätte freilich des Befehles nicht für sie bedurft. Er konnte vielleicht nur das Feuer ihrer schönen Augen zündender, ihre Stimme schmelzender, alle ihre Netze siegreicher machen. Nirgends in der Welt geht mehr Stolz, mehr Mannhaftigkit, mehr Treue, mehr Liebe zu Grunde, als an den Höfen der Kaiser und Könige.

Der Freiherr Adalbert war in den Netzen der schönen Adelaide gefangen, ehe er eine Ahnung davon hatte. So wußte er auch nicht, wie es geschehen war. Er gewahrte es plötzlich, und da er es gewahrte, wollte zuerst ein tödtlicher Schreck ihn ergreifen. Aber er überwältigte den Schreck, und nun schlugen die Flammen einer wild und unbändig begehrenden Leidenschaft ganz über ihm zusammen. Sie waren angefacht und wurden genährt durch alle Netze einer eleganten Schönheit, durch den hinreißendsten Zauber eines lebhaften Geistes, durch die feinsten Künste einer sieggewohnten Koketterie. Ein Haus, das auf allen Seiten in Brand gesteckt ist, muß rettungslos niederbrennen.

Als alle die anderen westphälischen Edelleute von Düsseldorf in ihre Heimath zurückkehrten, zog der Freiherr Adalbert mit der schönen Adelaide und dem kaiserlichen Hoflager gen Paris. Die schöne und geistvolle Dame hatte ihn fast rührend darum gebeten; ihre Mutter hatte so freundlich ihre Einwilligung, der Kaiser selbst hatte ihm seinen Wunsch zu erkennen gegeben. Das waren Befehle für ihn. Der Wunsch des Kaisers mußte zugleich für den alten Reichsfreiherrn ein Befehl sein.

In Paris wurde der junge Mann betäubt, und der erste Schritt zieht den zweiten nach sich. Nach sechs Wochen bat er seinen Vater um die Erlaubniß, dem Wunsche des Kaisers gemäß in französische Kriegsdienste treten zu dürfen; der Kaiser wolle ihn in seine Adjutantur aufnehmen. Alle Wünsche des Kaisers waren Befehle für seine Unterthanen, und der ehemalige Freiherr des deutschen Reiches war Unterthan des französischen Kaisers. Der Freiherr Adalbert wurde Officier in der französischen Armee und speciell dem Marschall, dem Vater der schönen und geistvollen Adelaide, als Adjutant überwiesen.

Nach einem Vierteljahre bat er seinen Vater um die Einwilligung seiner ehelichen Verbindung mit der schönen und geistvollen Tochter des Marschalls. Dieser Schritt war nur die nothwendige Consequenz der vorigen, und von Anfang an der Wunsch und Befehl des Kaisers gewesen. Der alte Reichsfreiherr konnte seine Einwilligung nicht versagen. Er gab sie freilich mit schwerem Herzen; denn von altem Adel war der Marschall nicht, und also auch die Tochter nicht. Aber selbst die deutschen Fürsten mußten damals auf Befehl Napoleon’s Mesalliancen mit den Töchtern napoleonischer Granden schließen, oder ihre Töchter diesen hingeben, und die deutschen Fürsten suchten wohl gar um solche Verbindungen, wie um eine Gnade, bei dem französischen Kaiser nach.

Meine Tante Therese hatte von dem Geliebten einen Brief aus Düsseldorf erhalten, dann einen zweiten aus Paris, dann keinen mehr. In den beiden Briefen hatte er ihr seine unwandelbare Liebe und Treue so sonderbar, so leidenschaftlich, so sich selbst überstürzend versichert, daß ihr beim Lesen glühend heiß und eisig kalt wurde. Halb und halb war sie deshalb darauf vorbereitet, daß sie einen dritten nicht erhalten werde. Aber was war der Grund dieser plötzlichen Umwandlung? In die graue westphälische Haide drang lange keine Kunde davon. Fragen konnte sie Niemanden. In die Provinzstadt war aber nach einiger Zeit die Nachricht gekommen, der junge Freiherr lebe in Paris, sei dort Adjutant in der unmittelbaren Nähe des Kaisers, werde an dem

kaiserlichen Hofe sehr ausgezeichnet, habe eine der schönsten, geistvollsten

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