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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

erkannte. Diese kurze Charakteristik des Kurfürsten möge seine Handlungsweise bei den folgenden Ereignissen erklären, die wir erzählen wollen.

Getreu seiner Vertheidigungspolitik, hatte Kurfürst Friedrich dem durch Catinat schwer bedrängten Herzog von Savoyen, Victor Amadeus, ein Hülfscorps brandenburgischer Truppen gesendet. Sie fochten mit großer Auszeichnung unter dem Oberbefehle des Prinzen Eugen. Der commandirende General dieses Elitecorps war ein französischer Refugié, der Herr von Barennes. Unter ihm diente Markgraf Carl Philipp als Volontair, nachdem er sich schon in früheren Kämpfen durch persönliche Tapferkeit ausgezeichnet hatte.

Unmittelbar nach der Ankunft der Brandenburger in Italien bezog man die Winterquartiere. Turin ward der Sammelplatz der verschiedenen Kriegsvöker, welche in den kommenden Zeiten ihre blutigen Rollen spielen sollten. Victor Amadeus, selbst ritterlich, galant und dem Luxus zugethan, hielt es für eine besondere Aufgabe, seinen Gästen den Aufenthalt in seiner Hauptstadt so angenehm wie möglich zu machen.

Während man heute die neuerbauten Schanzen besichtigte, Exercitien und Recognoscirungen vornahm, vereinigten am folgenden Tage glänzende Maskenfeste die Befehlshaber aller Truppen ohne Ansehen des Ranges; von der wilden Musik der kriegerischen Weisen, vom Rasseln der Trommeln ging man über zu den schmeichelnden Tönen der von den herzoglichen Musikern ausgeführten Sarabanden, und den schweren Reiterstiefel mit dem seidenen Schuh vertauschend, wiegte man sich im Tanze mit den Schönen des Hofes und der Stadt.

Hier war es, wo Markgraf Carl Philipp die Bekanntschaft der Gräfin Salmour machte. Jung und feurig mußte auf ihn die schöne, geistreiche Dame einen mächtigen Zauber ausüben. In jener durch den frivolen Ton des französischen Hofes bereits verderbten Zeit mußte ein so gestaltetes Weib doppelt glänzend erscheinen, wenn man sah, wie fern es von jeder Koketterie sich hielt, wie anspruchslos sie inmitten aller Huldigungen blieb, und wie hoch ihr der makellose Name ihres Geschlechtes stand.

Hiervon überzeugte sich der Markgraf sehr bald, als er ihr den Antrag machte, ihm, dem seine hohe Geburt eine Fürstentochter zur Gattin in Aussicht stellte, ohne priesterlichen Segen angehören zu wollen. Ein Hinweis auf den Götzen jener Zeit, Ludwig XIV., auf Carl II. von England fruchtete Nichts. Die Gräfin wies diese Zumuthungen in edler und einfacher Weise mit den Worten ab: „Monseigneur, ich bin zu arm, um Ihre Gemahlin, aber aus einem zu guten Hause, um Ihre Maitresse werden zu können.“

Gleichwohl war ihr der schöne, liebenswürdige Prinz nicht gleichgültig geblieben. Es verging einige Zeit, während welcher sich die Liebenden in allerlei Projecten erschöpften, wie die Zukunft sich rosig und heiter gestalten lasse.

Nachdem der Markgraf mit seinem Fürstenworte der Gräfin betheuert, daß er nie von ihr lassen werde, kam man überein, die Trauung heimlich stattfinden zu lassen. Die Gräfin zog ihre Verwandten, die Grafen Salmour und Herren von Balbiani, so wie deren Frauen in das Geheimniß. Obgleich die Besonneneren unter ihnen die Köpfe schüttelten, so reizte doch die Aussicht auf die glänzende Verbindung den Ehrgeiz der Familie, und man erwartete mit Bestimmtheit die Aufhellung des letzten dunklen Punktes, der sich am Liebeshorizonte des Markgrafen und der schönen Salmour zeigte.

Dieser dunkle Punkt war die Einwilligung des Bruders, des Kurfürsten Friedrich, in eine den glänzenden Zukunftsprojecten desselben durchaus nicht zusagende Verbindung. Indessen glaubte man, daß nach geschehener Trauung, und bei dem tadellosen Rufe der Gräfin, Friedrich III. doch Bedenken tragen würde, eine Lösung des Ehebündnisses anzubefehlen. Man war in Berlin bereits von der Neigung unterrichtet, welche Markgraf Carl Philipp für die schöne Salmour hegte, da seit seiner Ankunft in Turin schon eine geraume Zeit verflossen, hielt jedoch die ganze Sache für eine jener vorübergehenden Liaisons, wie sie in der letzten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts an allen Fürstenhöfen Europa’s zu finden waren.

In dem ersten Rausche der Freude, welche die Gräfin über das Gelöbniß des geliebten Markgrafen empfand, hatte sie bald einen Weg gefunden, der an’s Ziel führen sollte. Es war ihrem Bruder gelungen, durch Geld einen armen Advocaten zu bewegen, die bei der Trauung nothwendigen richterlichen Functionen zu übernehmen. In gleicher Weise hatte man einen Priester, Lea, ausfindig gemacht, welcher sich bereit erklärte, den kirchlichen Act vollziehen zu wollen. Beide Personen standen in dem Rufe, schon einige Male bei ähnlichen Intriguen gedient zu haben. Der Gräfin waren Beide unbekannt, und sie hatte nur die endlich nahe Erfüllung eines Wunsches vor Augen, den sie ebenso sehnlich realisirt haben wollte, als der Markgraf.

Carl Philipp hatte sofort eingewilligt. Als jedoch der Tag immer näher rückte, empfand er ein Gefühl des Mißbehagens über die ganze Lage der Dinge. Sein ritterlicher Charakter sträubte sich gegen die Heimlichkeit. Er hatte seiner Verlobten nur die Ungleichheit des Standes ihm gegenüber vorzuwerfen, er war sich der Aufrichtigkeit seiner Gesinnung bewußt, er war Soldat, geachtet nicht nur deshalb weil er einen fürstlichen Namen trug, sondern weil er auch durch Tapferkeit sich desselben werth gezeigt hatte; weshalb sollte er nun zaudern, offen vor aller Welt Diejenige als Gattin vom Altar hinwegzuführen, die er so innig liebte und welche das Glück seines Lebens zu werden versprach? Er hielt es für eine Feigheit, bei Nacht und Nebel wie ein Schuldbeladener sich mit der Frau seines Herzens in eine Capelle zu schleichen. – Gleichwohl verhehlte er sich nicht, welchen verschiedenartigen Eindruck die Ceremonie auf seine militärische Umgebung hervorbringen würde, von der ein großer Theil, mit dem Stolze des Kurfürsten bekannt, seine Mißbilligung offen zu verstehen geben mußte. Der Markgraf überzählte die kleine Schaar Derer, welche ihm unbedingt ergeben waren. Die Armee betete ihn als einen jugendlichen Helden an, und was die Gegner seines Heirathsprojectes betraf, so beschloß er, daß auch sie zugegen sein sollten, wenn er sich ehelich verband, denn durch die Anwesenheit hoher Officiere mußte der ganze Act das Gepräge des Officiellen erhalten; da sich nun voraussehen ließ, daß keiner der Opponenten sich als Trauungszeuge einstellen würde, wenn ihm die Dinge, die da kommen sollten, bekannt wären, so hatte der Markgraf den allerdings sehr kühnen Entschluß gefaßt, durch Ueberraschung auf seine Gegner zu wirken, sie zu betäuben und sie dergestalt zu Mitwirkenden bei der kirchlichen Handlung zu machen.

Er veranstaltete ein Fest auf dem Jagdschlosse des Herzogs, La Veneria. Die höchsten Officiere hatten Einladungen erhalten, und in glänzendem, Eingangs dieser Erzählung bereits geschildertem Zuge begaben sich Wirth und Gäste auf den Weg.

Im Jagdschlosse angelangt, welches der Herzog dem Markgrafen zur Verfügung gestellt hatte, wurden die Geladenen in die mächtige Gallerie geführt, woselbst eine prachtroll servirte Tafel ihrer wartete. Bevor jedoch das Diner begann, schlug der Markgraf seinen Gästen einen Spaziergang durch die schattigen Umgebungen des Schlosses vor. Die glänzende Menge vertheilte sich in den Laubgängen, und Carl Philipp blieb mit der Gräfin allein. Die Unruhe, welche sich Beider bemeistert hatte, duldete keine Zeugen. Man sprach sich gegenseitig Muth ein, man übersah noch einmal die Anzahl der Ergebenen. Auf unbedingte Zustimmung ihrer sämmtlichen Angehörigen durfte die Gräfin rechnen, der Markgraf dagegen war nur seiner drei Adjutanten, der Herren Déspreuves, de Péras und Stylle, sicher. Dieser kleinen Armee stand die bei Weitem zahlreichere der hohen Officiere und Diplomaten entgegen, an deren Spitze sich der Prinz von Hessen-Darmstadt, des Markgrafen Vetter, der General der brandenburgischen Hülfstruppen Mr. de Varennes, Major von Hoffmann, Herr de la Motte Fouqué, der energische Cavallerieoberst von Hackeborn und die Officiere de Coruneau, Camas, von Kaphengst und Déprés befanden. – Indessen war keine Zeit mehr zur Ueberlegung. Die Stunde des Diners nahte heran, während desselben sollte der Streich geführt werden. Die Gräfin ging in fieberhafter Aufregung zwischen ihren Damen in der Gallerie umher, während der Markgraf seine Erregtheit unter einer gewissen Geschäftigkeit zu verbergen suchte, indem er sich angelegentlich um die kleinsten Nebendinge, die Anordnung der Tafel und dergleichen erkundigte.

Schmetternde Trompetenfanfaren riefen die Gäste endlich zu Tische. Der Markgraf hatte ein Musikcorps der brandenburgischen Cavallerie in der Gallerie postirt, deren Wölbungen von den anfeuernden Klängen der Blasinstrumente wiederhallten.

Bald war die Unterhaltung im vollsten Gange. Die ausgesuchtesten Speisen, die köstlichsten Weine erhöhten das Vergnügen der Tafel, dem die wahrhaft fürstliche Umgebung, die großartige Architectur der Gallerie, zugleich eine gewisse Würde verlieh.[1] Die

  1. Das Schloß ward 1706 von den Franzosen unter la Feuillade zerstört, später aber wieder neu aufgebaut.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_696.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2019)