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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Meine Tante Therese.
Keine erfundene Geschichte.
(Schluß.)

Es wurde draußen wieder laut, das Einfahrtsthor war geöffnet und die Franzosen zogen in den Hof ein, ruhig, geordnet. Mehrere kamen in das Haus. Man hörte ihren Gang in der Halle. Thüren wurden dort geöffnet; der verwundete Officier war wohl hineingebracht; vielleicht noch mehrere Verwundete.

Die Thür der Wohnstube that sich auf. Die alte Christine führte die fremde Dame herein. Die bleiche Frau war ängstlich, erwartungsvoll.

„Gieb der gnädigen Frau einen Stuhl, und dann laß uns allein,“ sagte die Großmutter zu der Magd.

Die alte Christine that, wie ihr befohlen, und entfernte sich. Die fremde Dame setzte sich auf den Stuhl.

Meine Großmutter war der Frau des Mannes gegenüber, der ihren Sohn, ihren Stolz und ihre Freude, gemordet, durch schnöden Verrath gemordet hatte. Sie hatte dieser Frau mit ihren Kindern und mit dem Mörder in der Stunde der Lebensgefahr Schutz und Obdach gegeben. Die Frau wußte, daß sie der noch trauernden Mutter des von ihrem Gatten Ermordeten gegenüber war, aber sie wußte nicht, ob diese sie und ihren Gatten kenne.

„Madame,“ hob meine Großmutter mit ihrer ruhigen und klaren Stimme an, „Sie sehen, ich liege hier gelähmt, so konnte ich nicht zu Ihnen kommen, und ich mußte Sie zu mir bitten. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie gekommen sind. Ich habe eine Bitte an Sie.“

„Sie an mich?“ fragte die ungewisse Stimme der Gattin des deutschen Edelmanns und französischen Gensd’armenofficiers.

„Madame,“ fuhr meine Großmutter ruhig fort, „meine Tochter sah Sie vorhin. Sie hat mir gesagt, sie habe ein braves Herz in Ihnen gesehen und ich glaube es, denn meine Augen sehen es. So wird meine Bitte an Sie keine vergebliche sein.“

„Was wünschen Sie, Madame?“ fragte die Fremde.

„Sogleich, Madame. – Sie wissen, wo Sie hier sind?“

Die Dame konnte nicht antworten. Sie zitterte.

„Sie wissen es, Madame! Und daß ich Sie fragte, muß Ihnen beweisen, daß auch ich weiß, wer bei mir ist.“

„Mein Gott, mein Gott!“ stöhnte die Dame.

„Beruhigen Sie sich, Madame. Ich wollte und will Ihnen keine Vorwürfe machen. Sie haben ja auch keinen Theil an dem, was geschehen ist, Ihr braves Herz hat es verabscheut, und verabscheut es noch. Und an dieses Herz wollte ich mich wenden. Madame, Ihr Gatte hat seinen Posten verlassen. Sein Leben ist verwirkt, wenn er in die Hände der Franzosen fällt. Aber der Zufall hat ihm hier einen Preis zugeführt, mit dem er es erkaufen kann, und sein Charakter wird ihn verleiten, zuzugreifen. Aber dieser Preis, Madame, wäre ein zweiter Mord, der mich und dieses Haus träfe, und, Madame, nachdem ich jetzt mit Ihnen gesprochen, hätten Sie Theil daran, und das Blut würde mit auf Sie kommen, und nach jenen unerforschlichen, aber ewigen Gesetzen mit auf Ihre Kinder. Verhindern Sie den Mord, Madame. Das war meine Bitte an Sie. Eilen Sie, erwidern Sie mir nichts, eilen Sie, damit Sie nicht zu spät kommen.“

Die Frau des verrätherischen deutschen Edelmanns war aufgestanden. Sie wollte etwas sagen, aber sie vermochte es nicht. Sie bedeckte mit beiden Händen das leichenblasse Gesicht und schwankte zu der Thür hinaus.

Meine Großmutter war wieder allein, aber sie war es nicht lange. Es war eingetroffen, was sie in ihrem Inneren gefürchtet, weshalb sie jene für sich selbst wie für die leidende fremde Frau so schmerzlich peinliche Unterredung nicht hatte abwenden dürfen.




7. Kriegsgeschick.

Der Verwalter Buschmann und meine Tante waren zu dem Thurme geeilt, auf einem verborgenen Wege durch das Schlafgemach der Großmutter, den vorhin die Tante mit der alten Christine genommen hatte.

Der verwundete Freiherr saß aufrecht auf seinem Lager, als sie zu ihm eintraten. Er hatte sie erwartet, wenigstens die Tante Therese, er hatte den Kampf draußen gehört, dann die Schläge an das Thor, und konnte nicht zweifelhaft sein, was folgen werde. Von der Tante Therese mußte er es erfahren; sie mußte zu ihm kommen, sobald sie konnte.

„Du mußt fort, Adalbert,“ rief sie, indem sie zu ihm eintrat. „Die Franzosen dringen ein; wir konnten es ihnen nicht länger wehren. Wir führen Dich in den Wald, dort bist Du sicher, die Preußen sind darin.“

Der Verwundete wollte sich erheben. Er vermochte es nicht; er war zu schwach. Der Verwalter wollte ihm helfen; es war vergeblich. Der Verwundete fiel zurück, und brach wie ohnmächtig zusammen. Die Augen schlossen sich ihm, dicker, kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn; so lag er einem Sterbenden gleich, auf dem Bette. Seine Wunden waren schwer; er hatte auf dem Schlachtfelde viel Blut verloren, ehe man ihn hatte verbinden können,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_737.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)