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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und hatten nun, dem Rechte nach, drei Ruhetage vor uns. Kaum so viel Stunden waren vergangen, da kam der Befehl: „auf Vorposten!“ Es hieß: bei den andern Regimentern sei der Zahlmeister eingetroffen. „Also die Geld – wir Vorposten!“ Das Regiment war mit Sack und Pack aufgestellt zum Abmarsch. Finstere Gesichter, mürrische, auch drohende Blicke. Da ging ein Murmeln durch die Glieder, von Mann zu Mann, von Mund zu Munde – kein meuterisches Murren, nur ein flüsterndes Murmeln: das Losungswort, das das Regiment sich selbst gab – und auch das grämlichste Gesicht verzog sich zum Lächeln. Heiter und vergnügt, wie selten, marschirten wir ab und auf die Posten.

Die Nacht war etwas stürmisch, aber nicht sehr finster; man konnte auf hundert Schritt mit klaren Augen ziemlich deutlich sehen. Wir sahen lange nichts. Gegen Mitternacht, auf dem rechten Flügel ein Schuß, noch einer, bald ein Rottenfeuer, die ganze Vorpostenkette entlang unaufhörliches Feuern; es war, als ab unsere Büchsen Kanonenladung hätten, so krachte und donnerte es unablässig. Wir hatten’s Ursach. Feindliche Cavallerie, einzelne Reiter erst, schwadronenweise, ein ganzes Regiment, brachen aus der Waldung heraus, stürmten auf uns ein. „Der liegt!“ „Der hat’s!“ – „Der steht nicht wieder auf!“ – „Hurrah! den links nehm’ ich!“ – „Wart, Bursche, komm wieder!“ – „Der war gepfeffert!“ – „Grüß mir Dein Lottchen!“ – Solche und ähnliche Ausrufe erschollen aus unsern Reihen und verkündeten die Treffer, zugleich den kaltblütigen Muth, die Zuversicht der Freiwilligen. „Nehmt sie nur tüchtig auf’s Korn!“ – „Nur gehörig gegeben, Jungens!“ – „Zusammengehagelt und wenn die Büchsen springen!“ – So ermunterten Officiere. Es war unnöthig. Wir schossen, wie in der schönsten deutschen Neujahrsnacht. In Centreville ward es lebendig – die Trommeln rasselten – die Signalhörner tönten – Generalmarsch. Es war ein furchtbarer Lärm. Augenblickliche Pause. Galoppschlag auch hinter uns. Ein einzelner Reiter auf schwarzem Hengst flog auf uns zu. „Hurrah! noch eine Salve!“ Sie krachte. „Das war der Letzte – weg, wie sie gekommen!“ – General Stahel hielt den Renner bei uns an; hinter ihm stürmte eine Abtheilung Reiterei daher – zwei Regimenter Infanterie rückten nach. „Was giebt’s?“ – „Feindliche Cavallerie griff an, General! zurückgeschlagen.“ Stahel lüftete den Hut: „Eljen das Achte!“ Wir blieben stumm, wir wußten, warum – er auch. Er wußte, daß wir wußten, daß er uns „drängelte“. Er recognoscirte an der Spitze der Reiter. Alles ruhig. „Kein Todter, kein Verwundeter auf dem Platze – schlecht geschossen, Achtes!“ – „Oho! mitgenommen, General!“

Die Nacht verlief fortan ohne weitere Störung. Am Morgen erneute, sorgfältigere Recognoscirung. Vor dem Achten bis zum Walde glatter Boden, nirgends von Pferdehufen zerstampft, nirgends ein Blutstropfen, nirgends eine zurückgelassene Waffe, kein Hut, kein Fetzen – nur Patronenhülsen in Masse. So hatte der Rapphengst noch nicht gefegt, als da er den General nach dieser Recognoscirung an uns vorbei trug. Er ahnte die Wahrheit, als ob er das geflüsterte Losungswort des Achten vom Tage vorher in sein Ohr aufgenommen, jenes Losungswort, das es sich selbst gab und das wir Alle so prächtig verstanden: „Heute Nacht aufpassen – Cavallerie in Sicht – Alles feuern!“

Das achte Regiment kam fürder nur auf Vorposten, wenn die Reihe es traf.





Eine Stätte, von wo Licht ausging.
Von Prof. Richter in Dresden.

Es giebt Oertlichkeiten, an welche sich die dankbare Erinnerung der Völker in mehr oder weniger feierlicher Weise anknüpft. Nicht die Stellen meine ich, wo einst rohe Gewalt gehaust, wo Geschöpfe, die sich Menschen nannten, einander abgeschlachtet haben, – sondern solche Stellen, von wo ein neues Licht über die Völker ausging, das die Gemüther erwärmt oder die Geister aufgeklärt, das den Hoffnungen auf einen endlichen Sieg des Besseren frische Nahrung gegeben hat! – Solche Stätten verehrt der Christ in Bethlehem und Jerusalem, der Alttestamentliche am Sinai, der Mohamedaner in Mekka, – solche Stätten sind die Wartburg, das Schillerhaus, das Lessingstift u. a. m

Auch die naturwissenschaftliche Heilkunde, die sogenannte neue oder physiologische Schule der deutschen Medicin hat eine solche Stätte, von wo für sie und Andere Licht ausging und an welche Hunderte von neueren Aerzten mit Dank und Verehrung gedenken. Und wirklich ist es auch, wie in Mekka, eine kleine Hütte, eine Kaaba, an welche sich dieses Andenken festheftet. Ein Hüttchen, welches vielleicht bald ganz abgebrochen werden wird! Deshalb beeilten wir uns, es noch bei Lebzeiten photo- und xylographisch zu verewigen. Wir hoffen uns dadurch ein Verdienst und den Dank vieler jüngerer Aerzte zu erwerben.

Diese Localität ist, wie die Unterschrift zeigt, das alte Leichen- und Sectionshaus des großen allgemeinen Krankenhauses zu Wien: in der That ein kleines niedriges unansehnliches Gebäude, aus welchem aber nichtsdestoweniger geistige Errungenschaften von unberechenbarer Tragweite hervorgegangen sind. In diesen engen Räumen sind jene zahlreichen, mühsamen und aufopferungsvollen anatomischen Untersuchungen angestellt worden, deren Endergebnisse die gesammte deutsche Medicin umgewandelt und zu einer ganz neuen Wissenschaft gemacht haben, – oder besser ausgedrückt: durch welche die Medicin aus einem Gemenge von Einzelthatsachen, Meinungen und Träumereien in eine solide, selbstständig forschende und stetig fortschreitende Naturwissenschaft umgestaltet worden ist. Eine Umgestaltung, welche von da aus (schon jetzt und in der Folgezeit immer mehr) auch auf alle anderen Facultäitswissenschaften, auf Volkswirthschaft und Staatsverwaltung durchgreifende Einwirkungen haben wird.

Um diese Bedeutung des kleinen Wiener Sectionssaales anschaulicher zu machen, ersuche ich den Leser, mir nach der großen und glanzvollen Hauptstadt selbst zu folgen.

Im westlichen Stadtteile Wiens, in der Herrnalser Vorstadt, zwischen der Alser und Währinger Straße, befindet sich ein Complex von Gebäuden, welcher an Umfang und Bewohnerzahl den Namen einer kleinen Stadt verdienen dürfte. Derselbe besteht aus etwa neun Höfen, deren Riesenumfang man danach ermessen kann, daß in dem vordersten Hofe ein großes Gebäude, die ganze berühmte Wiener Universitätsklinik enthaltend, frei dasteht, ohne die Uebersicht des Hofraumes und seiner Einfassung wesentlich zu beeinträchtigen. Dieser Häusercomplex ist eine Art von Krankenstadt, nämlich das weltberühmte allgemeine Krankenhaus: eine der großartigen Stiftungen des menschenfreundlichen Kaisers Joseph II., welche allein schon hinreichen würde, seinen Namen unsterblich zu machen. Es giebt kein zweites derartiges Krankenhaus auf der ganzen Erde; denn in allen gleichgroßen oder größeren Hauptstädten sind die Krankenhäuser kleiner und in den verschiedenen Stadttheilen vertheilt. (Was auch seine großen Vorzüge hat.) In diesem allgemeinen Krankenhause finden alle in Wien oder dessen Umgegend (bis weithin) Erkrankten ohne Unterschied der Provinz, des Glaubensbekenntnisses etc. nöthigenfalls Aufnahme und Verpflegung. Es ist begreiflich, daß dadurch Jahr aus Jahr ein sich ein ungeheuer reiches Material für ärztliche Wissenschaft und Kunst, für Beobachtungen, Versuche und Entdeckungen in allen Zweigen der Krankheits- und Heilungslehre, der Geburtskunde und anderer ärztlicher Wissenschaftszweige zusammenfinden muß. Nach den mir vorliegenden sechs letzten gedruckten Jahresberichten dieser Anstalt, – denen ebenfalls an Reichhaltigkeit und tüchtiger Verarbeitung des Stoffes kein anderes ähnliches Erzeugniß der medicinischen Literatur zur Seite gestellt werden kann,[1] – wurden daselbst jährlich zwischen 21,557 bis 25,606 (durchschnittlich 24,255) Personen behandelt, von denen etwa ein Neuntel starb. (Denn begreiflich wiegen unter den Eingelieferten die schwerer Erkrankten und Todescandidaten vor!) Da nun, sofern nicht Einsprüche erhoben werden, jede Leiche zur Obduction an das sogenannte

  1. Sie führen den Titel: „Aerztlicher Bericht aus dem k. k. allgemeinen Krankenhause zu Wien“ und werden im Auftrage des österreichischen Ministeriums des Innern veröffentlicht durch die Direction des allgemeinen Krankenhauses.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_747.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)