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Seite:Die Gartenlaube (1863) 753.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der Bracoon.

Ein Erlebniß in Louisiana.

Wenn man von Galveston nach New-Orleans fährt und sich dicht an der Küste Louisianas hält, so bemerkt man, ehe man sich der Hauptmündung des Misissippi nähert, in der dichten Waldung, welche sich am niedrigen Ufer gleichsam wie eine Mauer hinzieht, einen hellen Einschnitt, der durch den Ausfluß eines Sees oder Bayous bedingt zu sein scheint. Diese Lücke in dem Röhricht führt zur Baratariabai, welche im Anfang dieses Jahrhunderts als der Schlupfwinkel einer gefährlichen Piraten-Bande bekannt war, des letzten Restes jener blutigen Buccaniers, die in frühern Zeiten die westindischen Inseln und die Städte des Continents verwüsteten. Hier hauste der berühmte oder berüchtigte Lafitte, den Lord Byron in seinem „Corsar“ zum Modell nahm und dessen mächtige Hülfe General Jackson in der Schlacht von New-Orleans nicht verschmähte. Was späterhin aus dem Seeräuber, den eine Tugend bei tausend Fehlern zierte, wie der Dichter sagt, geworden ist, wissen wir nicht, ebenso wenig, ob es wahr ist, daß sein Adjutant und Gefährte späterhin in England als anglicanischer Bischof und gelehrter Theolog zu Cambridge glänzte – gerechter Gott, denken wir uns auf einem Lehrstuhle der Gottesgelahrtheit in Halle oder Göttingen einen frühern Corsaren als Diplomaten des Himmels, wie entsetzlich!

Soviel ist gewiß, daß in den funfziger Jahren ein Herr Eugen Lafitte, der Abkömmling des westindischen Wikingers, die beste Pflanzung an der Baratariabai besaß und wegen seines Reichthums, trotz seines finstern, mürrischen Charakters, eines großen Ansehens bei seinen Nachbarn genoß. Von dem Edelmuthe seines Vorfahren, welcher einst einem verrätherischen Freunde, der den auf den Kopf des Piraten gesetzten Preis verdienen wollte, das Leben geschenkt und denselben noch dazu mit Wohlthaten überhäuft hatte, war bei Eugen Lafitte keine Spur zu finden, und in dem ganzen Bezirke gab es keinen Herrn, der seine Sclaven so darben ließ und so ausbeutete, wie gerade er. In dem armen, hülflosen Neger sah er ganz im Gegensatz zu den sonst humaneren Ansichten der Creolen nur eine Arbeitsmaschine, die man so ausnutzen müsse, wie es eben geht, um sie dann wie eine ausgequetschte Citrone wegzuwerfen. Familienbande unter seinen zahlreichen Sclaven erkannte er nicht an, und nie fiel es ihm ein, die geringste Rücksicht darauf zu nehmen, wenn es sich um einen vortheilhaften An- oder Verkauf schwarzer Arbeiter handelte. Daß er unter diesen Umständen nur solche Aufseher wählte, die ganz nach seinen unmenschlichen Ideen handelten und verfuhren, läßt sich leicht erwarten, und daß die Gesetze, welche im Staate Louisiana zum Schutz der Sclaven gegeben sind, einem solchen reichen und einflußreichen Pflanzer gegenüber sich nur als todte Buchstaben erwiesen, ist ebenso begreiflich.

Die Gegend rings um die Baratariabai zeigt eine reiche Vegetation und bietet eine wundervolle Abwechselung von Wald, Wasser, Prairie und mit breitblättrigen Sumpfpflanzen bedeckten Swamps. Weiter im Innern erhebt sich eine Kette niedriger Hügel, aus welchen sich ein von hohen Sycomoren und Cedern beschatteter Bach, der schwarze Creek, in den schmalen Seearm ergießt, welcher früher der Piratenflotille als Versteck diente. An diesem Bache erhob sich das zweistöckige, mit Veranden versehene Haus des Herrn Lafitte, vor dessen nach Süden schauender Fronte ein großer, im schönsten Blumenschmuck prangenden Garten sich erstreckte, der mit einer grün angestrichenen Drahtfenze eingefaßt war. Am äußersten Zipfel desselben lag, in einem dichten Gebüsch von Orangenbäumen, Magnolien und Bignonien versteckt, ein mäßig großer Weiher, welcher vom schwarzen Creek aus durch einen breiten Graben gespeist wurde. Da, wo dieser in den Teich mündete, war wie eine Art Schleuße ein dichtes und starkes eisernes Gitter angebracht, um den ekelhaften und gefährlichen Thieren, welche in Louisiana alle Gewässer bevölkern, den Zugang zum Weiher abzusperren. Gewiß gab es auf der ganzen weiten Plantage keinen schattigern und kühlern Ort, als dieses duftende Wäldchen am stillen Wasser, und selbst der Pflanzer, der sonst für Naturschönheiten wenig empfänglich war, brachte hier manche heiße Mittagsstunde zu, indem er auf seiner zwischen den Bäumen aufgeschlagenen Hängematte die Zeitungen las oder bei dem blauen Dampfe der Havannacigarre über die Preise des Zuckers und der Baumwolle nachdachte.

Dicht am Garten, zu beiden Seiten des Creeks, dehnten sich Tabaksfelder fast eine Viertelstunde weit gen Süden aus, bis dahin, wo das Terrain steil abfiel und eine breite mit dem Bache in Verbindung stehende Süßwasserlagune der Bodencultur unübersteigliche Schranken setzte. Zu gewissen Zeiten des Jahres bedeckten diesen Sumpf weißblühende Nymphäen mit ihren fetten, großen herzförmigen Blättern, und dicht aneinander schwimmende Nelumbiumarten erschienen mit ihren weiten grünen Verzweigungen gleichsam wie ein Teppich, so daß ein argloser, der Gegend unkundiger Wanderer wohl in Versuchung gerathen wäre, darüber wegzuschreiten, ohne das Verderben zu ahnen, das drunten in der Tiefe zwischen den scharfen Gebissen gieriger Alligatoren lauerte. Massen dieser gefräßigen Bestien hielten sich in der schwarzbraunen Lagune auf, um den Fischen nachzustellen, welche aus dem Creek bei hohem Wasser hereingeschwemmt wurden, und wenn ein Hund oder ein anderes Hausthier auf dem schmalen Fahrwege, der zwischen der Tabaksplantage und dem Sumpfe hart am Rande des letzteren hinlief, seine Stimme ertönen ließ, so wurde die ganze Lagune lebendig, und unter dem Schutze der grünen Pflanzendecke schossen Dutzende der gepanzerten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_753.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)