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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zeigten die Stellen an, wo schuppige, gezahnte Schwänze das Wasser peitschten, und bald war ein Dutzend der Ungeheuer zu Schocko’s Füßen versammelt; doch hielten sie sich alle in respectvoller Entfernung von dem Bracoon, dessen überlegene Stärke und Wildheit sie kannten.

Schocko veränderte nun seinen Standpunkt, indem er längst des Ufers, auf das, wie er wußte, die Bestien sich dem Menschen gegenüber nicht wagen, nach der Stelle schritt, wo der Creek in die Lagune floß. Dort blieb er wieder stehen und entlockte dem unglücklichen Hunde, der wie Espenlaub zitterte, durch schmerzhafte Griffe die durchdringendsten Klagetöne, die fast gespenstig durch die stille Nacht hallten. Die Alligatoren konnten dieser Lockung nicht widerstehen und waren bald, den mächtigen Bracoon voran, da versammelt, wo des Negers schwarze Gestalt auf der niedrigen Landspitze ihre dunkeln Umrisse zeigte. Schocko ging jetzt langsam, alle zwei Schritte anhaltend und das arme Hündchen als Köder zeigend, stromaufwärts am linken Ufer des Baches. Jetzt wagten die übrigen Bestien sich nicht weiter, weil sie sich in dem engen Bette des Creeks nicht recht sicher fühlten, nur der Bracoon, der gefräßigste und größte von allen und sich seiner Stärke bewußt, wollte die Beute nicht fahren lassen. Bald kroch das Ungethüm, bald schwamm es dem Neger nach, je nachdem es die Tiefe des Wassers erlaubte, und richtete seine gierigen, wie Karfunkel glänzenden Augen fortwährend nach dem winselnden Hündchen, welches die eiserne Faust Schocko’s ihm vorhielt. Endlich gelangte dieser an den vorhin beschriebenen Graben, und auch in dessen Tiefe folgte die heißhungrige Bestie, mit aufgesperrten Kiefern ihr eigenthümliches heiseres Schnaufen ausstoßend, bis an das starke Gitter, welches den Zugang zum Teiche versperrte. Als Schocko mit sicherm Griffe dieses aufzog, schien der Alligator etwas über die ungewohnte Erscheinung betroffen zu sein und schwenkte seinen massiven Kopf rechts und links, als wenn er einen andern Ausweg suchte. So wie aber der unbarmherzige Neger den unglücklichen Hund mit lautem Geplätscher in den Weiher schleuderte, schoß der wilde Bracoon wie ein Pfeil vorwärts, weit in das stille Wasser hinein, und zermalmte mit eisernem Gebiß das grausam geopferte Thier, das kaum Zeit hatte, einen Schmerzensschrei auszustoßen. Teuflisch lachend schloß Schocko sofort das eiserne Gitter; er wußte, daß der Bracoon den Weiher nicht wieder verlassen konnte, und murmelte in sich hinein. „Des Fetisch Vetter wird heute ein gutes Frühstück haben. Massa, wir sind quitt!“

Die Sonne stieg eben am östlichen Himmel empor und warf ihre feurigen Strahlen über die im schönsten Sommerschmuck prangende Gegend. In dem kleinen Wäldchen des Gartens hingen glänzende, schwere Thautropfen an allen Zweigen, und die zierlichen Blüthen der Orangenbäume verbreiteten eine balsamische Atmosphäre, sobald sich ein Lufthauch regte. Da erschollen leichte Schritte, wie von zarten Mädchenfüßen, und näherten sich dem anmuthig daliegenden Weiher, auf dessen nur hin und wieder mit den schneeweißen Blüthen der Nymphäa bedeckter Oberfläche bunte Libellen ihr munteres Spiel trieben. Gleich darauf erschien Blanche in Begleitung Fiddy’s, ihres hübschen leicht aufgeschürzten Kammermädchens, und nahm auf der zu ihrer Bequemlichkeit angebrachten steinernen Bank Platz.

„Ach, liebe Fiddy,“ sagte sie, „ich habe heute eigentlich gar keine Lust zum Baden. Findest Du nicht, daß ich angegriffen aussehe?“

„Miß Lafitte hat bei der Hitze gewiß schlecht geschlafen,“ antwortete die junge Mulattin, „aber da wird das Baden gut thun und erfrischen.“

„Meinst Du?“ antwortete Blanche, „ich muß Dir nur sagen, daß ich kein Auge zuthun konnte, weil ich immer an die alte Urrica denken mußte. Als sie gestern Morgen im Hofe mit Dir sprach, saß ich am Fenster, und sie warf mir einen solchen Blick herauf, einen langen forschenden Blick, der mich wie der Biß einer Schlange traf. Sag, Fiddy, glaubst Du an das „böse Auge“?“

„Ei, die Leute sagen viel Sonderbares von der Alten; sie soll auch den Ort wissen, wo Ihr Großvater Lafitte eine Kiste mit Dublonen vergraben hat, als der Gouverneur von Louisiana seine Kanonenboote gegen ihn ausschickte. Aber das ist Alles nur eitles Geschwätz. Hat nicht neulich noch der Parishdecan in der Kirche gesagt, daß solcher Aberglaube unklug und unchristlich sei?“

Während dieses Gespräches hatte das treue und kluge Mulattenmädchen ihre Herrin entkleidet, und diese schickte sich an in das Bad zu steigen. Als Blanche einige Fuß vom Ufer bis an die Hüften im Wasser stand, zeigte sich weiter hinten im Weiher eine kleine, kaum bemerkbare Bewegung im Wasser, aber sie achtete nicht darauf und dachte, es sei vielleicht ein Terrapin (eine kleine Art Schildkröte), doch die Falkenaugen Fiddy’s hatten von ihrem höheren Standpunkte aus die entsetzliche Gefahr schon erkannt.

„Um Gottes willen zurück, Miß!“ schrie die Mulattin aus und rang die Hände. Da fiel ihr Blick wie durch des Himmels Fügung auf die starke, eiserne Stange, die Schocko bei seiner teuflischen Freude unvorsichtiger Weise am Rande des Teiches zurückgelassen hatte. Wie von plötzlicher Inspiration ergriffen, faßte das muthige Mädchen das schwere Eisen und war mit weitem Sprunge schon an der Seite seiner zitternden Herrin, ehe diese nur das drohende Verderben erkannt hatte. Leise, tückisch nach Katzenart, war der Bracoon auf dem Grunde des Weihers herangeschlichen, und schon waren die schwarzen Umrisse der gräulichen Eidechse auf dem weißen Sande sichtbar, schon bereitete sich die Bestie vor, vorwärts zu schießen und ihre fast besinnungslose Beute unten zu ergreifen, als der todesmuthige Sprung Fiddy’s und das dadurch verursachte laute Geräusch, wie auch das plötzliche Aufwallen des Wassers sie stutzen machten. Diesen Augenblick benutzte die Mulattin, da sie den eigentlich feigen Charakter des sich überfallen glaubenden Alligators kannte, ihre Herrin gegen das Ufer hin zurückzuschieben, und als der gierige Bracoon, der von seinem Erstaunen zurückgekommen war, einen zweiten Anlauf nahm, stieß das starke Mädchen ihm die massive eiserne Stange weit hinein in den rothen Rachen, so daß das wuthentbrannte Thier vor Schmerz mit dem riesigen Schwanze das Wasser zu Schaum schlug.

Fast hätte der heftige Anprall die Mulattin zu Boden geworfen, doch hielt sie sich mit der Kraft der Verzweiflung aufrecht, und die ohnmächtige Blanche mit dem linken Arme umfassend, suchte sie, fortwährend dem andrängenden Bracoon die Stange tiefer in den Schlund drückend, das Ufer zu gewinnen. Es gelang ihr, die schmächtige Gestalt ihrer Herrin auf das Trockene zu schieben, dann faßte sie das starke Eisen, an dem das scharfe Gebiß der Bestie krachend zerbrach, mit beiden Händen, drückte dem Alligator mit aller Kraft, welcher sie fähig war, die scharfe Spitze desselben so tief wie möglich in den blutigen Rachen und schwang sich mit der Gewandtheit einer Pantherkatze durch einen Satz auf das Ufer. Ihre besinnungslose Herrin zu ergreifen, dieselbe aus dem Bereich des Wassers zu ziehen und sie eine Strecke weit in den Garten zu tragen, war das Werk eines Augenblickes. Jetzt verließen Fiddy die Kräfte, und einen lauten Hülferuf ausstoßend, sank sie mit ihrer Bürde zu Boden, während der wuthentbrannte Bracoon, der endlich sich des Eisens entledigt hatte, an dem Rande des Weihers hin- und herschoß und nach seinen Opfern spähte, aber treu seiner Alligatornatur sich nicht auf festen Grund wagte.

Zehn Minuten später waren Fiddy und die noch immer ohnmächtige Blanche von den auf das Geschrei herbeigeeilten Sclaven sicher im Pflanzerhause untergebracht, und wer malt den Schrecken Lafitte’s, aber auch seine gleichzeitige Freude über der Tochter Rettung! Das Eis brach in seinem Herzen, und von Dankbarkeit durchdrungen schenkte er der muthigen Mulattin die Freiheit, welche diese nur unter der Bedingung annahm, daß sie zeitlebens bei ihrer jungen Herrin bleiben dürfe.

Jetzt galt es, den Bracoon zu tödten und die Art und Weise zu entdecken, wie dieser in den Weiher gelangt war. Nachdem Ersteres geschehen, wurden alle Sclaven der Pflanzung zusammengerufen, um einem Verhör unterworfen zu werden. Sie erschienen sämmtlich mit Ausnahme der alten Urrica und ihres Enkels. Der Umstand, daß Schocko den Tag vorher mit einer Eisenstange gesehen worden war, derselben, welche man am Grunde des Teiches verbogen und von dem mächtigen Gebiß des Alligators geschrammt gefunden hatte, verstärkte den dringenden Verdacht. Die beiden Aufseher holten nun die Bluthunde aus den Stallungen heraus und brachten sie, nachdem man ihnen einen alten Schuh des Negers zum Beriechen gegeben hatte, an den Teich. Dort angekommen, schlugen sie laut an, eilten an Graben und Bach hinauf bis zu der Stelle, wo Schocke zuerst den Bracoon gelockt hatte. Hier hielten sie an, als wenn sie die Spur verloren hätten, dann drehten sie um und liefen bis zum ersten Ausgangspunkte zurück, den sie in weiten Kreisen, die Nase dicht auf der Erde, umtrabten. Da schlug der größte scharf an und setzte sich, von der ganzen Meute gefolgt, von Neuem in Bewegung. Dieses Mal ging es in nördlicher

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